Debatte Studiengebühren: Bildung für alle
Studiengebühren sind nicht ungerecht, denn es zahlen nur Privilegierte. Wer sich um Chancengleichheit sorgt, muss gegen schlechte Kitas und Sonderschulen kämpfen.
D as deutsche Bildungssystem zu absolvieren ist, als wollte man einen Hürdenlauf bestehen. SchülerInnen, die es bis in die Uni schaffen, sind die Gewinner des Rennens. Diese Auserwählten heißen Studierende. Ihre Chancen sind von Studiengebühren nur mäßig bedroht, denn sie haben viele Alternativen, Studienkredite etwa oder Unterstützung durch wohlhabende Eltern. Viele andere haben keine Alternative, für sie geht es darum, irgendeinen Abschluss zu erringen oder überhaupt in die Schule zu kommen. Wer Chancengleichheit will, muss sich zuerst um diese vergessene Gruppe kümmern.
Es gibt zum Beispiel Menschen, die überhaupt kein formelles Recht auf Bildung besitzen. Einige Bundesländer hindern Flüchtlinge daran, in die Schule zu gehen. Gar nicht zu reden von den Illegalen. Mutige Lehrer unterrichten sie - heimlich. Erfährt die Polizei von ihnen, werden sie oft abgeschoben. Schwer benachteiligt sind Kinder von Zuwanderern. Von deutsch-türkischen Kindern kommen nur 9 Prozent zum Abitur, dafür sind sie in Haupt- und Sonderschulen weit überproportional vertreten. Die Soziologin Heike Diefenbach warnt bereits vor einer "ethnischen Segmentierung" der Schulen.
Aber Bildungsarmut beschränkt sich nicht auf Zuwanderer. Hunderttausende hindert die schulische Selektion am Erfolg. Besonders betroffen sind 16 Prozent der Hauptschüler, die in katastrophal schlechten Schulen lernen müssen. Am schlechtesten geht es wohl den 420.000 Kindern in Sonderschulen. Dort lernten, sagt man, Behinderte. Tatsächlich werden 60 Prozent von ihnen als Lernbehinderte aus den Regelschulen ausgeschlossen. Sie werden in Förderschulen festgehalten, in denen, wie manche Forscher sagen, "kognitive Friedhofsruhe" herrscht. Acht von zehn Schülern erhalten dort keinen Abschluss.
All dies ist bekannt. Dennoch gibt es in Deutschland ein völlig verzerrtes Bild. Den Gerechtigkeitsdiskurs dominierte bald 20 Jahre lang das Thema Studiengebühren. Die Campusmaut, sagt man, gefährde die Chancengleichheit. Das ist grotesk. Jene 35 Prozent eines Jahrgangs, die an der Spitze der Bildungspyramide stehen, reklamieren für sich besondere Rechte. Sie wollen, dass ihr Elitedasein gratis bleibt, und lehnen jede Form von Auslese in der Uni etwa fürs Masterstudium ab - obwohl dies in anderen Gefilden des Bildungssystems vollkommen normal ist.
Erst seit einigen Jahren haben die Pisastudien auch die Verlierer des Bildungssystems im Fokus. Eine seltsame Koalition arbeitet nun daran, dies zu ändern. Es sind die Philologen, die sich um die Gymnasiasten sorgen, und die Kultusminister, die intern verabredet haben, über den Zusammenhang von Herkunft und Bildungserfolg nicht mehr zu sprechen. In diese Koalition gehören aber auch Studentenfunktionäre und eine antiemanzipatorische Linke. Sie versuchen, die öffentliche Aufmerksamkeit wieder weg von den echten Losern auf gebührengeplagte Studenten zu lenken. Das ist nicht links, sondern konservativ: Es hilft, den Status quo eines ungerechten Bildungssystems zu zementieren.
Studiengebühren sind keine Gefahr für die Bildungsgerechtigkeit, sondern ein wichtiger Beitrag, um sie erreichen. Auch die Studenten müssen für ihr Bildungsprivileg bezahlen. Es ist nicht einzusehen, warum dies über Steuern allein die Allgemeinheit tun soll. Ausgenommen von Gebühren sollten nur wenige Studenten sein - etwa die "untere soziale Herkunftsgruppe", zu der noch 13 Prozent der Studis zählen. Diese an den Unis aussterbende Spezies der Arbeiterkinder muss geschützt werden, etwa indem man Bafög-Berechtigte von Gebühren befreit.
Priorität im Kampf um Chancengerechtigkeit aber muss das Kellergeschoss des Bildungssystems haben: schlechte Kindergärten, selektive Grundschulen sowie die katastrophalen Haupt- und Sonderschulen. Sie sind nicht tragbar, wenn uns das Recht auf Bildung wichtig ist.
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