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Debatte SexualstrafopferBestrafen und heucheln

Kommentar von Thomas Galli

Gerechtigkeit durch harte Strafen: In Sexualdelikten steht meist der Täter im Mittelpunkt, das Opfer jedoch kommt oft zu kurz.

Der Täter steht im Mittelpunkt, nicht das Opfer. Bild: dpa

E in Frau wird von ihrem Vater viele Male vergewaltigt. Mit 17 Jahren hat sie den Mut, Anzeige zu erstatten. Im Laufe des Verfahrens stellt sich heraus, dass der Vater auch seine anderen fünf Kinder, Jungen wie Mädchen, sexuell missbraucht hat. Die Frau muss vor Gericht als Zeugin erscheinen. Der Vater wird zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Um das Opfer kümmert sich niemand, ihre Mutter wendet sich von ihr ab, da sie die Familie zerstört habe. Heute ist die Frau um die 50, leidet unter vielerlei körperlichen und psychischen Beschwerden und ist in dauernder ärztlicher Behandlung. Ihre Anträge auf finanzielle Entschädigung wurden abgelehnt. So weit ein Fall aus der Praxis.

Seit es Staaten gibt, stehen die Täter im Mittelpunkt ihres Strafrechts. Dies gilt auch bei schweren Gewalt- und Sexualstraftaten. Infolge dieses täterzentrierten Denkens, das seinen Niederschlag zunehmend in der medialen Berichterstattung findet, werden immer längere Strafen beziehungsweise präventiver Freiheitsentzug gefordert. Die Täter werden mit steigendem Aufwand und für viel Geld von Psychiatern, Psychologen und anderen Fachleuten begutachtet und therapiert – die Kosten für die Behandlung nur eines Sexualmörders können im Laufe der Jahre in die Millionen gehen.

Thomas Galli

39, Jurist, Kriminologe und Psychologe. Er ist Abteilungsleiter in der JVA Straubing. Der Beitrag gibt seine persönliche Sicht der Dinge wieder, nicht die seines Dienstherrn, des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz.

Dabei ist es sehr umstritten, inwieweit Bestrafung und Behandlung Einzelner langfristig tatsächlich zur Reduzierung krimineller Taten beitragen. Mit den Tätern als Projektionsflächen großer Wut und Angst lässt sich gut Politik machen. Die dafür aufgewandten Ressourcen wären langfristig aber sinnvoller in eine umfassende Aufarbeitung individueller und gesellschaftlicher Ursachen von schädigendem Verhalten investiert. Die Erfolge solcher Bemühungen sind dann freilich erst in vielen Jahren sichtbar, sodass die Früchte nicht die ernten könnten, die sie gesät haben. Es scheint daher kein großes staatliches Interesse an einer echten wissenschaftlichen Hinterfragung des Phänomens der Gewaltkriminalität zu bestehen.

Solange Hintergründe und die Folgen des Umgangs mit Gewaltkriminalität im Unbewussten gelassen werden, lässt sich die Illusion aufrechterhalten, dass wir nicht, wie derzeit, strafen wollen, sondern müssen; und dass wir demzufolge noch für den schlimmsten Mörder alles zu tun haben – und das auch mit Aussicht auf Erfolg tun können –, um ihn wieder zu integrieren.

Nicht mitleiden wollen

Vielleicht ist eine Ahnung dieser Selbstverleugnung und ein daraus folgendes Schuldgefühl mitursächlich dafür, dass es kaum echtes Interesse an den Opfern gibt. Dem Menschen scheint es leichter zu fallen, harte Strafen für Täter zu fordern, statt Verständnis und Mitgefühl für Opfer aufzubringen – aus Angst, dann im wahrsten Sinne des Wortes mitleiden zu müssen.

Es sind aber die Opfer, die den Schaden erlitten und an ihm ein Leben lang zu tragen haben: Sie – und nicht der Staat – wurden sexuell missbraucht, geschlagen, beraubt, ihre Angehörigen wurden getötet. Diese Ungerechtigkeiten zuungunsten weniger gälte es solidarisch zu tragen und, soweit überhaupt möglich, auszugleichen. Die staatliche Vergeltung in Form einer Übelzufügung am Täter mag manche Opfer kurzfristig befriedigen, ein annähernder Ausgleich des ihnen geschehenen Unrechts ist dadurch nicht möglich. Vielmehr sind sie sogar gezwungen, dem Staat bei der Geltendmachung seines Strafanspruchs zu helfen, indem sie wie eingangs beschrieben als Zeugen aussagen müssen – und dadurch erneut in eine passive Rolle gedrängt werden.

Zwar wurden im Laufe der letzten Jahre einige bemerkenswerte Fortschritte hinsichtlich der Interessen der Opfer im Strafrecht erzielt: So wurden etwa Stiftungen zur Opferhilfe eingerichtet, im Strafverfahren ist es seit 2009 möglich, dass Aussagen von Opfern unter 18 Jahren aufgenommen und dann in der Hauptverhandlung anstelle einer persönlichen Vernehmung wiedergegeben werden. Nach wie vor fehlt aber ein langfristiges und staatlich gestütztes Sichkümmern um sie. So sind sie für den Erfolg der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen – die gegen die Täter meist aussichtslos sind – vor allem auf das Opferentschädigungsgesetz angewiesen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Krankenkassen und Opferhilfevereinigungen.

Keine Rede ist aber davon, dass ihnen jahrelang ein staatliches Team von Experten zur Aufarbeitung des Geschehenen beiseite stünde, wie dies gerade bei den schwersten Straftätern der Fall ist. Das schadet nicht nur den unmittelbar Betroffenen, sondern der ganzen Gesellschaft. Viele Straftäter waren, vor allem in ihrer Kindheit, selbst Opfer von Missachtung, Misshandlung oder Missbrauch. Sie müssten als Opfer langfristig bei der Aufarbeitung ihrer Traumata unterstützt werden, um künftige Straftaten vermeiden zu helfen.

Harte Konsequenzen

Auch wenn bei Weitem nicht alle Opfer zu Tätern werden, so leiden viele doch oft ein Leben lang, brauchen kostenintensive medizinische und sonstige Hilfe und bleiben zum Teil arbeitsunfähig. Eine frühzeitige, intensive und ausdauernde Unterstützung würde ihre Heilungschancen erhöhen und am Ende sogar Kosten sparen. Auch würde es vielen Opfern guttun, wenn sie deutlich mehr über das Vorgehen gegen den Täter mitentscheiden dürften und damit ein Stück verloren gegangener Wirkmächtigkeit zurückgewinnen könnten.

Jeder, der anderen Schlimmes antut, muss mit harten Konsequenzen rechnen, schon als spür- und sichtbares Zeichen allgemeiner Missbilligung. Auch der Versuch einer „Resozialisierung“ von Straftätern mit vernünftigem Einsatz knapper Ressourcen bleibt sinnvoll.

Ein Strafrecht jedoch, das versucht, Unrecht fast ausschließlich auszugleichen und zu vermeiden, indem es vergeltend und vorbeugend auf einzelne Täter einwirkt, ist Ausdruck einer pharisäerhaften Gesellschaft, die zur Wahrung eines positiven Selbstbildes nicht nur die gesellschaftlichen Mitursachen und Folgen jeder individuellen Straftat, sondern auch die Ursachen und Folgen des Strafens selbst ausblendet.

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12 Kommentare

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  • DP
    Daniel Preissler

    @Wüstenratte

     

    Ich finde sowohl Richtung als auch Argumentatin des Artikels als streitbar. Für Ihren Beitrag schäme ich mich jedoch gegenüber dem Autor.

  • W
    Wüstenratte

    Da ist er wieder der sogenannteOpferbonus. Wieviele "Vergewaltigungen" sind erstunken und erlogen von Frauen die auf diese Weise Karriere machen?? Wer "kümmert" sich da um den Mann?? Der wird voerverurteilt, muß sich verteidigen und ist in seinem Umfeld der Böse und seine Karrire ist im Arsch.Ist natürlich besser wenn der Mannseine "gerchte" Strafe erhält. Na danke!

  • A
    aujau

    Soviel Geld, die Legionen von Überlebenden sexueller Gewalt zu entschädigen, gibt es gar nicht.

    Aber was helfen könnte, wäre die Möglichkeit für Mütter/Väter, ihre Kinder mit wirklich kindgerechter Fürsorge aufwachsen zu lassen ( Teilzeit mit guter Entlohnung, Berufsrückkehrgarantie, ausgebauter Betreuung), ein verändertes Bewußtsein der Bevölkerung zu Kindheit, Menschenrechten, Lebensqualität statt Überkonsum, echter Autorität statt Imponiergehabe, die Möglichkeit Respekt von Verängstigung unterscheiden zu können, Selbstachtung statt Statusneurose, gesellschaftliche Auseinandersetzung über Sextourismus und seine Ursachen sowie sexistisches/rassistisches Anspruchsdenken als Selbstwertersatz u.s.w.

    und nicht zu vergessen mehr wirklich gute Selbsthilfe- und Therapieangebote.

    Allerdings gehören Gewalttäter so oder so auch bestraft.

  • M
    manfred

    @Anita:Es geht nicht darum ob jemand die falschen leute kennt-erneute schuldzuweisung an das opfer-sondern wie gesamtgesellschaftlich mir der problematik umgegangen wird:Gleichgültig und desinteressiert nämlich.Der Kommentator schildert dies sehr treffend und kenntnisreich.

  • B
    Betroffener

    Gebt uns "Opern" die Millionen/Milliarden? und macht endlich wissenschaftliche Forschung wie der Autor hier fordert statt mit dem Strafrecht bzw. Srafvollzug noch mit einem Bein im ausgehenden Mittelalter zu stecken.Ausserdem trifft es eh nur die kleinen Täter.Oder sitzt etwa ein hochkarätiger Politiker, Unternehmer ,Bundesverdienstkreuzträger wegen Missbrauch ein?Man denke nur an die Odenwaldschule.Getreu dem Motto:Die Kleinen hängt man und die Grossen lässt man laufen!Verlogenheit und Heuchelei kennt eben keinen Gipfel.

  • J
    Jaheira

    Der Artikel suggeriert, dass Straftäter mit Hilfe überversorgt wären. Soweit ich weiß, stimmt das einfach nicht. In der Haft bekommt nicht jeder, der möchte, einen Therapeuten, und nach der Haft werden Ex-Knackis ungefähr so gut versorgt wie andere Hartzer auch.

     

    Selbstverständlich könnten durch eine schnelle Verurteilung und eineumfassende Betreuung von Straftätern Rückfälle vermieden werden.

     

    Der Autor suggeriert, Vergewaltiger würden ihren Opfern den Therapeuten wegnehmen. Tatsache ist doch, dass beide Gruppen ausreichend Hilfe haben könnten. Allein, es fehlt der politische Wille.

  • A
    Anita

    @x-Odenwaldschüler

     

    Ich hab auch eine Freundin, die als Kind missbraucht wurde und sie wird nirgendwo ausgegrenzt, obwohl es das ganze Dorf mitbekommen hat, weil der Täter gefasst wurde.

    Du kennst die falschen Leute.

    Dass eine Therapie bei dir nicht möglich ist, ist natürlich eine Zumutung und deine Wut ist mehr als berechtigt.

    Ein Provisorium könnte eine Selbsthilfegruppe sein, wie es sie inzwischen in jeder größeren Stadt gibt.

     

    Artikel:

    Ich finde nicht, dass Täter, bei denen absehbar ist, dass sie irgendwann wieder aus dem Gefängnis kommen, nicht ausgiebig therapiert werden sollen. Das Geld, das jetzt in den Täter investiert wird, sparen wir später bei den doch-nicht-Opfer-Gewordenen. Und letzteren geht es dann sogar viel besser.

  • IB
    Ingo Bernable

    Der Text macht zwei Fehlannamen. 1.) Hilfestellung für die Betroffenen und Resozialisierung der Täter müssen kein Widerpsruch sein, auch wenn beides teuer sein mag. 2.) Staatliche Sanktionierung kann ausschließlich unter der Prämisse einer angestrebten Resozialisierung legitim sein. Qua Staat verübte Vergeltung ist einer aufgeklärten Gesellschaft nicht nur unwürdig, sie stellt letztlich auch die Legitimation einer institutionalisierten Justiz in Frage.

  • X
    x-Odenwaldschüler

    Das Problem ist die Gleichgültigkeit und das Desinteresse in der Gesellschaft.Allgemein ist man über "Kinderschänder"empört und ruft nach exzessiver Bestrafung.Kommt man jedoch persönlich mit solchen-"missbrauchten"Menschen in Berührung ,will man mit diesen plötzlich nichts mehr zu tun haben.Das Opfer wird gesellschaftlich ausgegrenzt und isoliert auch von der eigenen Familien und vom Freundeskreis.Auch deshalb schweigt man lieber abgesehen davon das auch heute einem oft immer noch nicht geglaubt wird.

  • E
    Ex-Odenwaldschüler

    Als nicht geouteter Betroffener ist das für mich einer der besten Kommentare zu diesem Thema.Was nützt mir die Bestrafung des Täters wenn in Sachen Odenwaldschule die Verjährungsfrist greift und ich schweigen muss um nicht selbst vor Gericht zu stehen.Ich bin von meiner Ursprungsfamilie-dieselbe die mich auf die Odenwaldschule brachte -ausgegrenzt.Sie will mit mir nichts mehr zu tun haben.Seit ich in meinem Freundeskreis über meinen Missbrauch berichtet habe,wollen die Freunde nichts mehr mit mir zu tun haben.Ich stehe jetzt ganz alleine da.Eine Therapie gibt es nicht erst recht nicht von der Krankenkasse ,da der Verursacher ja die Odenwaldschule ist bzw. der ehemalige Lehrer der wiederrum nicht benannt werden darf da ja alles verjährt ist.

  • CR
    C. Rosenblatt

    Guter Artikel!

     

    Ich hätte mir vielleicht etwas mehr zur (katastrophalen) Situation rund um Entschädigungen durch das Opferentschädigungsgesetz gewünscht.

    (vgl. hier "Initiative Phönix" wieder setzen sich Betroffene für Betroffene ein...)

    Doch unterm Strich fasst der Artikel gut zusammen.

     

    Danke dafür!

  • D
    Danke

    Guter Artikel. Danke.

     

    Das offizielle Bayern hat natürlich nichts damit zu tun.

    Verstehn wir schon.

     

    Es ist genau so, wie Herr Galli schreibt, sogar noch schlimmer.

     

    Es fängt in den Schulen an, wo couragierte einzelne Mütter darauf dringen, dass ihre Mädchen, vor allem auch Mädchen mit Behinderung respektvoll und nicht sexistisch und verachtungsvoll von Mitschülern und Betreuern behandelt werden.

     

    Diese Mütter werden dann wie störende outlaws behandelt.

    Abgesehen von massiven Übergriffen, die z. B. Mädchen mit geistiger Behinderung nur nach massiver Beweislage anklagen können, wenn überhaupt.

     

    Es gibt in unserer Gesellschaft kein Gespür dafür, was sich abspielt. Die Betroffenen sollen gefälligst ihre Klappe halten.

     

    Hier ist ja wieder nix zu verdienen. Später an den medizinischen Folgekosten jede Menge.

    Warum also etwas ändern in unserer Gesellschaft, nicht wahr, Bayern?

     

    Läuft ja prima.

     

    Trotzdem danke dafür, dass du dem Herrn Galli nicht das Maul verbietest.

     

    Ach ja, und natürlich gibt es auch Frauen, die übergriffig, respektlos und verkommen sind.