Debatte Seehofer und die CSU: Ein Oberbayer für Berlin

Als CSU-Parteichef ist Horst Seehofer eine gute Wahl, für Angela Merkel könnte er im Wahlkampf 2009 sogar der Joker sein. Nur Ministerpräsident sollte er nicht werden.

Die Wähler tun den Parteien manchmal den unverdienten Gefallen, ihnen zu helfen, personelle Fehlentscheidungen zu korrigieren. Auch weil Helmut Kohl sich weigerte, Mitte der Neunzigerjahre den Stabwechsel innerhalb der CDU zu vollziehen, schickten die Wähler 1998 die ganze Partei in die Opposition, wo der Spendenskandal dann Angela Merkels Feuertaufe spendete. Die CSU konfrontierte die Bayern in den letzten Monaten mit einem Duo der Führungslosigkeit, in dem sich Beckstein und Huber systematisch selbst entmachteten. Jetzt gab ihr der Wähler in kollektiver Weisheit eine zweite Chance, mit Horst Seehofer den richtigen Parteichef zu wählen.

Für die CSU als tief verunsicherte "Wir waren Bayern"-Partei ist das aus verschiedenen Gründen eine sinnvolle Wahl. Aber gut möglich, dass sie sich auch das noch vermasselt, indem sie Seehofer in einer Mischung aus Furor, Panik und Eitelkeiten auch noch zum Ministerpräsidenten wählt. Für ihn wäre dies eine buchstäblich dramatische Schwächung, müsste er dann doch zwei Bühnen bespielen: Berlin und München, Bund und Land. Dazu müsste er sich als CSU-Chef in zwei verschiedene Koalitionskostüme zwängen: einmal mit der SPD in Berlin, andererseits mit der FDP in München - eine schier unspielbare Rolle. Mit der Regieanweisung aus Landtagsfraktion und Sonderparteitag, in Bierzelten und in Talkshows weiterhin unverwechselbare CSU-pur-Texte vorzutragen, stünde das Scheitern dann auch schon im Drehbuch.

Besser wäre die Ämterteilung. Denn während ein Ministerpräsident Goppel oder Hermann als klare Nummer 2 der CSU die Partei an leidige Kompromisse mit der Bayern-FDP gewöhnen könnte, würde Seehofer die CSU vom Fleck weg am Berliner Kabinettstisch, im Koalitionsausschuss, ja überhaupt in Berlin stark vertreten. Die Doppelspitzen haben bislang ja nur deshalb nicht funktioniert, weil Ministerpräsident Stoiber Waigel den CSU-Vorsitz streitig machte und Erwin Huber weder in Berlin noch in München Souveränität besaß. Horst Seehofer dagegen ist ein Mann, der seine Partei statt mit Laptop und Lederhose per Seitensprung und SMS mit der Moderne versöhnt. Seine eigentliche Mission erfüllt er auf Bundesebene: Dort muss er sich nicht als Landespolitiker neu erfinden - und kann die vermutlich letzte Chance nutzen, die CSU als "Bundespartei" zu erhalten, ehe sie zu einer Regionalpartei mit folkloristischem Reservat in Berlin absteigt.

Vor allem aber könnte Seehofer in Angela Merkels Bundestagswahlkampf 2009 der Joker sein - in mehrfacher Hinsicht. Nicht nur, dass er als Parteivorsitzender seine Ressortthemen Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz nahtlos zur Chefsache erheben könnte: Damit würde er für die Union deutschlandweit den Frust ihrer agrarisch geprägten Wählerschichten auffangen. Als Verbraucherschutzminister könnte er zudem mit den Grünen auf einem ihrer zentralen Kampffelder die Klingen kreuzen.

Aber Seehofers Wirkung reicht tiefer. Es geht um den Punkt, an dem die CDU derzeit wirklich zutiefst verzweifelt: Warum übertragen sich die Popularitätswerte der Kanzlerin nicht auf ihre Partei? Warum bleibt die Union in Umfragen wie angenagelt bei 35 Prozent, während sie früher stets über 40 und in den Achtzigern bisweilen an die 50 Prozent heranreichte?

Die Antwort ist nicht schwer. Angela Merkels Popularität geht darauf zurück, dass sie die selbst verschuldete programmatische Engführung der CDU als Wirtschaftspartei - als XXL-FDP - persönlich überwunden und sich zu einer verlässlichen Maklerin der großen Koalition entwickelt hat. Die Sympathiewerte für die Kanzlerin sind damit allerdings gebunden an ihre Bereitschaft, den Ausgleich mit der SPD zu suchen. Bei der Rückkehr zu einem "Lagerwahlkampf" an der Seite der FDP würde sie binnen kürzester Zeit auf den Umfragewert ihrer Partei sinken.

Und: Eine wirtschaftsliberale Union an der Seite der FDP wird nicht besser, sondern eher schlechter abschneiden als vor drei Jahren - zumal sich die Aufschwungshoffnung damals für kaum jemanden ausgezahlt hat, während Rezessionsangst plus Hartz-IV-Realität plus Energie- und Nahrungsmittelinflation plus vorauseilende Schatten der US-Finanzkrise heute schon leitende Angestellte den Cent umdrehen lassen. Dankenswerterweise verzichtet die FDP aber diesmal auf eine Koalitionsaussage. Die Union kann sollte ihr dies gleichtun und die Frage, ob sie erneut zu einer großen Koalition bereit wäre, mit dem ostentativen Verweis auf die Leistungsbilanz der großen Koalition unter CDU-Führung wirkungsvoll unbeantwortet lassen.

Statt Merkel/Westerwelle würden 2009 dann Merkel/Seehofer durch die Lande touren. Angela Merkel könnte das im Wirtschaftsflügel der Union vermisste Profil sogar noch deutlicher herauskehren als vier Jahre zuvor, während Seehofer als running mate hier als gesundheits- und sozialpolitisch zuverlässig wärmender bayerischer Kachelofen eine ganze große Koalition ersetzen und so nicht nur die Wahlkampfattacken der SPD parieren, sondern sogar zumindest in das westdeutsche Wählerpotenzial der Linken hineinwirken könnte.

Als kampfbewährter Garant der sozialen Marktwirtschaft (Stichwort Bürgerversicherung) gleicht Seehofer die Defizite der CDU - soll heißen den Totalausfall ihres sozialen Flügels von Peter Müller über die CDA bis zu Althaus/Böhmer in Ostdeutschland - aus. Im gleichen Zug könnte er dem dramatischen Wählerverlust der CSU bei Arbeitern und Arbeitslosen, die sich vom Pendlerpopulismus des wirtschaftsliberalen Huber begreiflicherweise nicht ködern ließen, begegnen. So könnte sich Horst Seehofer angesichts einer "drohenden" CDU/FDP/CSU-Koalition der Mittel- und Unterschicht als eine Art Lebensversicherung andienen - und außerdem die 50 Prozent CSU-Stimmen in Bayern, die die Union deutschlandweit erst in die Nähe der Regierungsfähigkeit bringen, sichern.

Auf diese Weise würde mit Seehofer nicht nur gegen die SPD gekämpft, sondern auch noch um deren Wähler, während die Kanzlerin - ohne die FDP - um die Wähler der FDP wirbt. Der Seehofer-Bonus würde damit dreimal gebucht: auf das Konto der CDU, deren soziale Leitplanke der ehemalige CSA-Chef bildet. Auf das Konto der CSU in Bayern, die sich in der Koalition mit der FDP im Freistaat ja ein Profil sichern muss, das konservative, aber eben auch soziale Konturen aufweist. Und auf das Konto von CDU/CSU im Bund: entweder um eine starke Position in einer Koalition mit der FDP oder den Grünen zu haben, oder um auf der Zielgeraden eine absolute Mehrheit zu erzielen, was in einer hochvolatilen Wählerschaft mit dieser strategischen Aufstellung kein völlig unrealistisches Ziel sein muss.

Deren Wähler würden die Union dann aber zur Wiedertaufe in ihre christlich-sozialen Quellen drücken. Hier wäre dann aus linkskatholischer Sicht ein gut bayerisches "Prosit!" angezeigt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.