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Debatte SchweinegrippeWirrwarr der Experten

Kommentar von Gerd Glaeske

Zu früh hat sich die Politik auf das Allheilmittel Impfung fixiert. Mit ihrer Informationspolitik hat sie nur Ängste und Unsicherheiten verstärkt

Das Problem begann mit der Weltgesundheitsorganisation. Jahrelang konnte man auf der WHO-Webseite nachlesen, dass es sich bei einer Influenza-Pandemie um eine Krankheit mit hoher Sterblichkeitsrate handele. Im Mai 2009 wurde der Hinweis auf die hohe Mortalität gestrichen. Diese Definition, so entschuldigte sich die WHO, habe Verwirrung und Ängste hervorgerufen. Nun reichte der Verweis darauf, dass sich eine Grippepandemie durch eine Verbreitung über viele Länder und Kontinente auszeichnet.

Das trifft im Falle der Schweinegrippe zu: Ihr Erreger, das Virus H1N1 2009, reist seit April dieses Jahres um die Welt. Begleitet wird er von Heerscharen von Politikern und Wissenschaftlern, von Journalisten und Kommentatoren. Die einen profilieren sich als Warner und malen Schreckensszenarien aus. So sprechen pensionierte Wissenschaftler in der Zeitung mit den großen Buchstaben von 35.000 Todesfällen. Andere treten als Kritiker von Hysterie und Panikmache auf. Sie sagen: Die Infektionen verlaufen mild, und konsequent häufiges Händewaschen schütze besser als eine Impfung.

Bild: uni bremen

Gerd Glaeske ist Professor für Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung an der Universität Bremen. Zudem leitet er die Expertenrunde "Arzneimittel" der Stiftung Warentest.

Augrund der Pandemie-Klassifikation der WHO sah sich die Politik zum Handeln gezwungen. Mit 50 Millionen eingekauften Impfstoffdosen wollten sie signalisieren: Wir sind vorbereitet, wir schützen unsere Bevölkerung, wir haben alles im Griff. Bald sollte sich jedoch zeigten, dass die Handelnden gar nichts im Griff hatten: Die Ständige Impfkommission (Stiko), vor zwei Jahren schon unangenehm durch die wenig differenzierte Empfehlung zugunsten der HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs ins Gerede gekommen, war auch jetzt wieder mit einer Empfehlung zur Stelle.

Zwar war sie gegenüber der Politik, die aller Welt zu einer Impfung riet, zurückhaltender und empfahl nur besonderen Risikogruppen die Impfung, darunter auch schwangeren Frauen. Die aber sollten sich nicht mit dem Impfstoff impfen lassen, den die Bundesregierung eingekauft hatte, sondern mit einem, der keine Zusatzstoffe enthalte, da der "gestreckte" Impfstoff nicht für Schwangere zugelassen sei.

Nur, so erfuhr die noch mehr verunsicherte Öffentlichkeit, ist ein solcher Impfstoff weder in Deutschland erhältlich noch zugelassen und kann daher gar nicht "verimpft" werden. Aber es kam noch schlimmer: Zur gleichen Zeit wurde bekannt, dass dieser für Schwangere empfohlene Impfstoff ohne Zusätze auch von der Bundeswehr geordert worden war und dass Politiker Interesse daran zeigten, mit ihm geimpft zu werden. Geht es bei der Schweinegrippe also um Zwei-Klassen-Impfstoffe?

Darüber hinaus wurden Fragen der Wirksamkeit und der Nebenwirkungen laut. Die ehemalige Ministerin Ulla Schmidt verstieg sich dabei zu der Aussage, der eingekaufte Impfstoff mit den Zusatzstoffen sei sicher, schließlich sei er zugelassen. Dass die Zulassung eines Mittels aber nichts über die Sicherheit aussagt, muss ihr in diesem Moment entfallen sein: Auch Vioxx und Lipobay waren zugelassen, sicher waren sie trotzdem nicht. Die unerwünschten Wirkungen bis hin zu Todesfällen traten nämlich erst bei der breiten Anwendung zutage. Dies hat wohl auch die Herstellerfirma GlaxoSmithKline dazu bewogen, in den Vertrag mit der Bundesregierung über die Lieferung der 50 Millionen Impfdosen einen Passus aufzunehmen, der sie von der Haftung im Falle negativer Wirkungen freistellt. Begründung: "Aufgrund der besonderen Situation im Pandemiefall [liegen] weder umfangreiche klinische Daten noch Erfahrungen mit dem Pandemie-Impfstoff in seiner konkreten Zusammensetzung vor."

Es sind nur wenige Eindrücke aus den letzten Monaten, die hier wiedergegeben werden können. Sie zeigen aber ein Informationschaos sondergleichen. Chaos tritt immer dann auf, wenn Raum für unterschiedliche wissenschaftliche Meinungen existiert, die für sich genommen auch gut begründbar sind. Das ist das eine. In diesem Fall liegt ein wesentlicher Grund für das Wirrwarr darin, dass Wissenschaftler von Instituten, die dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nachgeordnet sind, in politische Räson genommen wurden. Politik sollte sich von der Wissenschaft beraten lassen und auf dieser Basis Informationen aufbauen. Wird die Wissenschaft aber gezwungen, politische Entscheidungen zu legitimieren, dann führt das auf Dauer sowohl zur Diskreditierung von Wissenschaft wie zum nun herrschenden Wirrwarr. Aktivität in der Politik ist noch kein Hinweis auf Qualität. Die wäre erst dann erreicht, wenn unabhängige Wissenschaftler zu Rate gezogen worden wären - neben denen des BMG nachgeordneten Instituten wie das Stiko, das Robert-Koch-Institut und das Paul-Ehrlich-Institut.

Kommunikation, die überzeugen soll, muss gekonnt sein. Sie muss die Menschen dort abholen, wo sie mit ihren Bedenken, ihren Ängsten, ihren Unsicherheiten stehen. Der starre Blick auf die Impfung ist da nicht hilfreich. Bei Licht betrachtet handelt es sich bei dieser Fixierung zunächst um eine Finanzspritze für die Hersteller der Impfstoffe. Die Aktienkurse sind der beste Spiegel dieser Entwicklung.

Sämtliche Informationen, die einem Aufruf zum Impfen vorausgehen müssen, sind sträflich vernachlässigt worden. Weder wurde über die meist milden Verläufe der Schweinegrippe aufgeklärt noch auf vorbeugende hygienische Maßnahmen - Händewaschen - hingewiesen. Auch eine Erklärung dafür, warum vor allem jüngere Menschen erkranken, blieben die Behörden schuldig: Die Älteren sind diesem angeblich so neuen Virus nämlich schon bei früheren Influenza-Infektionen bereits begegnet, weshalb sich ihr Immunsystem gegen dieses Virus stärken konnte.

Risikoinformation muss für die Zielgruppen verständlich sein, sonst führt sie zu noch mehr Unsicherheit und Ängsten. Im Falle der Schweinegrippe hat die total verfehle Risikokommunikation eine allgemeine Impfverdrossenheit ausgelöst. "Ich kann nur hoffen, dass hier nie die Pest ausbricht", wird der Berliner Frauenarzt Albrecht Scheffler im Zusammenhang mit den planlosen, auch chaotischen Impfaktionen zitiert. Recht hat er.

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8 Kommentare

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  • M
    medienkritikerin

    @Aufgeklärte Bürgerin

    Ein einfaches Beispiel: hätte dem TAZ-Kommentator Carini jemand ein klein bisschen mehr Mathematik beigebracht, dann hätte er nach 4 Toten in Schweden nicht mit "Tod durch Impfung" Öl ins Feuer giessen müssen. Man muss nicht Fachexperte (Statistiker oder Mathematiker) sein, um erkennen zu können, dass rein statistische Gründe zu solchen Todesfällen kurz nach Beginn einer Massenimpfung führen (ohne im Einzelfall einen ursächlichen Zusammenhang auszuschliessen). Genauso kann man auch der Schweinegrippe-Panik einiges an Schwung nehmen, wenn man ein bisschen Verständnis für Zahlen hat (zumindest sobald Zahlen vorliegen). Und ein wenig mehr (natur)wissenschaftliches Denken würde schon helfen, um bei einigen momentan kursierenden Rundmails zu erkennen, dass nicht alles stimmen kann, was da als Wahrheit verbreitet wird. Zum wissenschaftlichen Denken und Arbeiten gehört beispielsweise auch dazu, dass man sich über die Qualität seiner Quellen Gedanken macht (z.B. auch über die finanzielle Unabhänigkeit der Institutionen, aber halt nicht nur).

  • AB
    Aufgeklärte Bürgerin

    @ medienkritiker

     

    Ihr Zitat: "Eine bessere Bildung würde erstens die Kommunikation erleichtern und zweitens auch dazu führen, dass wieder deutlicher wird, dass ein generelles Misstrauen in Institutionen eben auch nicht bedeutet, dass man besonders aufgeklärt und im positiven Sinne kritisch ist."

     

    Wie sollen wir diesen Satz verstehen?

     

    Eine "bessere Bildung" ist schön und gut - bedeutet jedoch nicht, dass die "besser Gebildeten" auf jedem Fachgebiet Experten sind.

     

    Ein generelles Misstrauen in "Institutionen" wäre meines erachtens genauso falsch wie eine generelle Hörigkeit.

     

    Was der Bürger braucht, sind Informationen.

    Kritisch recherchiert, neutral zusammengefasst und für den Laien halbwegs verständlich. (Zumindest wenn es öffentliche Aufrufe zu gesundheitlichen Eingriffen betrifft)

     

    Ein abschließendes Urteil wird dann jeder Einzelne für sich selbst fällen - und vor allem selbst entscheiden, welcher "Institution" mehr Vertrauen geschenkt wird.

  • M
    medienkritiker

    @Piggeldy

    Kritik an der Stiko ist aus verschiedenen Gruenden sicher angebracht. Und wenn Stiko-Mitglieder witschaftliche Vorteile durch Verbindungen zur Pharmabranche haben, ist das bedenklich.

    Die Frage zur Neutralität muss aber auch jenen gestellt werden, die sich momentan meist als die lautesten Impfkritiker profilieren. Z.B. wird es den Autoren des unten genannten Buches wirtschaftlich ebenfalls nicht schlechter gehen, wenn die Auflage des Buches wieder kräftigt steigt. Und genauso wollen auch die Impfkritiker immer nur mein Bestes.

  • P
    Piggeldy

    Bei Institutionen wie dem RKI, PEI und der StiKo handelt es sich mitnichten um unabhängige Gremien , sondern etliche Mitglieder sind direkt oder indirekt mit der Pharmaindustrie verbandelt.

    Seit einigen Jahren kann man beobachten , dass immer mehr Impfungen durchgedrückt werden , auch gegen harmlose Kinderkrankehiten wie Windpocken.

    Als Eltern kann man beobachten , wie die Angst systematisch geschürt wird . Vor Jahren ist man noch recht gelassen mit Kinderkrankheiten umgegangen , heutzutage sieht man bei jedem Huster Pest und Cholera.

    Insofern hat diesesa Impfchaos auch sein Gutes- ein weiterer Schritt zum mündigen Patienten der sich nicht mehr alles kritiklos aufschwatzen lässt.

     

    Der Satz : Wir wollen doch nur Ihr Bestes ! war schon immer verdächtig.

  • AM
    Angelo M.

    zum Buch "Virus-Wahn" der entsprechenden link:

    www.torstenengelbrecht.com/de/buch_viruswahn.html

  • AM
    Angelo M.

    @drstiehl:

    In dem Buch "Viren-Wahn", aus dem emu-Verlag, kommen renommierte, unabhängige Wissenschaftler aus aller Welt zu Wort. Ein wirklich lesenswertes Buch!

  • M
    medienkritiker

    Sehr geehrter Herr Glaeske,

    Ihre Analyse ist sicher in sehr vielen Punkten richtig und wichtig. Die Institutionen unterschätzen sicher die Macht (oder haben kein Mittel dagegen gefunden), mit der Falsch- und Fehlinformationen über das Internet vertrieben werden. Rundmails von irgendwelchen AllgemeinmedizinerInnen werden leider von scheinbar immer mehr Menschen ohne Hinterfragen als glaubwürdiger eingeschätzt, als gut oder schlecht kommunizierte Empfehlungen irgendwelcher Kommissionen. Das hat nicht nur mit der Qualität der Kommunikation der Institutionen zu tun, sondern auch mit einer steigenden Selbstüberschätzung jedes einzelen. Wir fühlen uns ja alle so schlau, uns ueber jedes Thema unabhängig im Internet informieren zu können. Wenn dann dazu kommt, dass Zeitungen wie die TAZ heute relativ sinnfreie Kommentaren zum "Todesurteil Impfung" und morgen zu "Gute Gründe für die Impfung" publizieren, muss selbst der beste Kommunikator vermutlich erst mal schlucken.

    Sie werden dieses Problem abschwächen aber nicht lösen, in dem die Verantwortlichen ihre Kommunikation optimeren. Auch in diesem Fall geht der Weg nur über eine deutliche Verbesserung der Bildungssituation. Eine bessere Bildung würde erstens die Kommunikation erleichtern und zweitens auch dazu führen, dass wieder deutlicher wird, dass ein generelles Misstrauen in Institutionen eben auch nicht bedeutet, dass man besonders aufgeklärt und im positiven Sinne kritisch ist.

  • D
    drstiehl

    Sehr geehrter Herr Glaeske,

    können Sie uns sagen, welche Institute bzw. Wissenschaftler in dieser Frage wirklich unabhängig sind?

    Nicht nur die Bevölkerung ist verunsichert - wir Ärzte auch!