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Debatte ReligionskritikAch Gott

Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Religionskritik hat in Philosophie und Kunst große Tradition. Doch nicht jede Verhöhnung ist aufklärerisch. Bigott wird es, wenn sie sich nur gegen die Religion der Anderen richtet

D er Durchschnitts-Christ sei "eine erbärmliche Figur, ein Mensch, der nicht bis drei zählen kann", und Jesus ein "Idiot" - so schrieb der große Philosoph Friedrich Nietzsche. Das ist jetzt schon ziemlich lange her. Ein paar Jahre sind dagegen erst vergangen, da hat die taz den Gekreuzigten despektierlich "Balkensepp" genannt.

Bild: taz

ROBERT MISIK ( 42) lebt in Wien. Er schreibt für die taz, für "Falter" und "Profil" (siehe www.misik.at). Ende Februar erscheint sein neues Buch "Gott behüte! Warum wir die Religion aus der Politik raushalten müssen" (Ueberreuter-Verlag).

Mohammed sei ein "Kinderschänder", der Islam solle dorthin zurückgeworfen werden, wo er hergekommen ist, "hinter das Mittelmeer", so äußerte sich vor vier Wochen die FPÖ-Politikerin Susanne Winter. In den einschlägigen Internetforen geht es seitdem hoch her. Die "Hinternhochbeter", wie die Muslime hier abschätzig genannt werden, sollen sich nicht so aufführen.

Sind die Schrammen in religiösen Gefühlswelten nicht ziemlich gerecht verteilt? Klar, Religionskritik muss erlaubt sein, Invektive und Spott inklusive. Mehr noch: Religionskritik ist ein hehres Erbe der Aufklärung. Hätte es die Verve nicht gegeben, mit der religionskritische Philosophen, Essayisten, Literaten, aber auch Filmemacher und bildende Künstler gegen das Heilige angegangen sind - unsere Gesellschaften wären mit Sicherheit weniger lebenswerte Orte. Der Philosoph Ludwig Feuerbach schrieb gegen die "Christentümelei" an, der Aufklärer Voltaire gegen die "niederträchtige" Kirche, die die Menschen "verdorben" habe. Der britische Denker Bertrand Russell machte sich über die Vorstellung lustig, es gäbe einen Gott, der uns wie "ein Big Brother im Auge behält". Und von Woody Allen ist der Satz verbürgt: "Es gibt nicht nur keinen Gott, schlimmer noch, es ist auch unmöglich, am Wochenende einen Klempner zu bekommen."

Das westliche Christentum hat sich daran gewöhnt, dass es gelegentlich durch den Kakao gezogen wird, auch wenn die Kirchen hin und wieder die Gerichte anrufen. "Die" Muslime dagegen reagieren schon bei der kleinsten Karikatur hysterisch. Nur, ist die Sache so einfach? Ist Religionskritik etwa nicht gleich Religionskritik?

Nein, nicht jeder Spott ist Aufklärung. Wenn die Nazis die jüdische Religion verächtlich machten, dann war das keine Religionskritik, sondern ein Aspekt der mörderischen Judenhetze. Wenn in Indien ein Hindu den Islam oder ein Muslim die Hindus beschimpft, dann würde das kein vernünftiger Mensch "Religionskritik" nennen, sondern als Teil eines latenten Religionskrieges ansehen, der sich regelmäßig in Pogromen entlädt.

Historisch jedenfalls ist das, was man gemeinhin "Religionskritik" nennt, etwas, das "subversiv von innen" kommt, wie der Leipziger Philosoph Christoph Türcke formuliert - und sehr oft nicht einmal von areligiösen Menschen, sondern von Leuten, die emotional in das Kritisierte verstrickt sind. Kritik, besonders wenn sie sich mächtige religiöse Autoritäten vornimmt, kommt ohne Spott nicht aus. Aber Spott ist auch nicht gleich Spott. "Hohn und Spott", schreibt Christoph Türcke, "waren stets nur da aufklärerisch, wo Schwache sie als Waffe gegen Mächtige führten." Wenn Mächtige oder kulturell Etablierte über Underdogs spotten, dann ist das eine Siegerpose von oben herab und schrammt hart an rassistisches Ressentiment heran. Kurzum: Es macht schon einen Unterschied, ob ein Exmuslim den Propheten Mohammed einen "Kinderschänder" nennt oder ob die Kritik von Spießbürgern aus Charlottenburg kommt, die über die rückständigen Türken und Araber die Nase rümpfen.

Auch der Islam hat seine Religionskritik. Schon im Mittelalter gab es islamische Freigeister. In ihrer Tradition stehen Intellektuelle und Künstler wie Salman Rushdie, die Schriftstellerin Taslima Nasrin oder der ägyptische Islamgelehrte Nasr Hamid Abu Zaid, der von Religionsgerichten seines Landes als "Häretiker" verurteilt und zwangsgeschieden wurde und heute in den Niederlanden lebt. Ein besonders bemerkenswerter Autor ist ein Intellektueller, der unter dem Pseudonym Ibn Warraq schreibt. Als Muslim geboren, hat er in einem fulminanten Werk mit dem Islam abgerechnet. Titel: "Warum ich kein Muslim bin". Auch die subversive Kritik "von innen" kann bisweilen überspitzt und ungerecht sein - nur hat die Maßlosigkeit ihre Berechtigung, weil sie eine Reaktion auf das Eiferertum ist.

Heißt all das aber nicht im Endeffekt, dass Religionen überhaupt nur von "innen" kritisiert werden können? Nicht unbedingt. Zunächst: Die Religion der Mehrheit, besonders dann, wenn sie für sich das Recht in Anspruch nimmt, die moralische Ordnung in einer Gesellschaft für alle wesentlich mitzuprägen, kann wohl ohne große Scham auch von Angehörigen einer (religiösen) Minderheit aufgespießt werden. Bestes Beispiel: jüdische Satiriker, die über das Christentum ihre Scherze machen. Kompliziert wird es aber, wenn etablierte Angehörige der Mehrheitskultur eine Religion angreifen, deren Anhänger vornehmlich einer unterprivilegierten Minderheit angehören. Sakrosankt kann natürlich auch die Religion einer Minderheit nicht sein. Es kommt dabei aber immer auf den Zungenschlag und auf den Kontext an.

Einen Maßstab für alle Fälle gibt es nicht, und die Grenzen sind fließend. Nehmen wir nur das Christentum: Als jede Pore des Lebens vom Katholizismus kontrolliert war und die Kardinäle die Kanonen segneten, da konnte eigentlich keine Schmähung beleidigend genug sein. Heute, wo das Christentum in Europa liberalistisch ausgedünnt ist und sich auch fromme Christen wie eine Minderheit fühlen, ist die Verhöhnung billig. Als George Grosz im Ersten Weltkrieg Jesus mit Gasmaske am Kreuz zeichnete, wofür er einen spektakulären Blasphemieprozess aufgehalst bekam, war das beherzte Kirchenkritik. Wenn die Popdiva Madonna heute während eines Konzert aufs Kreuz steigt, ist das eine kalkulierte Pose.

Vor allem aber hat sich das, was als "Religionskritik" in den Kanon der westlichen Geistesgeschichte einging, nicht als Bashing einer bestimmten Religion verstanden, sondern, wie der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann anmerkt, "als Kritik des religiösen Bewusstseins als solchem". Es ist ja kein Zufall, dass wir ein Kunstwerk wie Giovanni Da Modenas Fresco "Der Prophet in der Hölle" (Mohammed wird darauf vom Teufel in den Abgrund gezogen) als Ausdruck der Kreuzzüglermentalität ansehen, während Voltaires Kritik am fanatischen Propheten ("ein Kamelhändler") aufklärerisch verstanden wird.

Mehr noch: Religionskritik hat sich nicht darin erschöpft, die weltliche Macht der religiösen Autoritäten zu bekämpfen. Sie hat in Frage gestellt, was der Glaube als solcher mit Menschen macht: dass er verhindert, dass sie die Welt mit klarem Kopf sehen. Dass er sie neurotisiert, weil sie von der Vorstellung stetiger Sündhaftigkeit besessen sind. Und dass er sie infantilisiert, weil sie sich unter der Beobachtung eines allmächtigen Gottes wähnen, dem man sich nur auf Knien nähern darf.

Mit einem Wort: Religionskritik wollte nicht gegen eine Religion hetzen. Sondern Menschen schaffen, die sich nicht verhetzen lassen.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

5 Kommentare

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  • RG
    Robert Groenewold

    Spott gegen den Islam ist nicht unbedingt eine Herabwürdigung einer Minderheit sondern eine Abwehrreaktion gegen eine totalitäre Bedrohung, die, anders als z.B. der Hinduismus, den Anspruch hat, die ganze Menschheit zu "beglücken".

    Als Hitler in Deutschland herrschte, war es natürlich für Charlie Chaplin legitim, "von außen" Hitler und den Nationalsozialismus mit dem "großen Diktator" zu karikieren.

    Als der Kommunismus noch den Ostblock beherrschte, war es natürlich legitim, ihn zu verspotten, gerade auch im Westen, also "von außen".

    Und weil der Islam keine "fremde, ausländische" Religion mehr ist, sondern eine deutsche, (französische, dänische usw.) und das ja auch sein will, darum ist ein Spott über den Islam eben ein Spott "von Innen". D.h. ein Deutscher, der sich über den Propheten lustig macht ist nicht anders anzusehen als ein Deutscher, der sich über den Papst lustig macht. Und der Deutsche (Däne, Franzose usw.) muss dafür sicher nicht erst in den Islam ein- und wieder austreten oder abwarten, bis mehr als 50 Prozent der Deutschen Muslime sind.

  • CS
    Christoph Schirrmacher

    Ein wirklich toller Artikel, ich lese ihn wirklich begeistert, bis ich auf den vorletzten Absatz stoße. Dort wird dem Glauben per se unterstellt, dass dieser die Welt vernebelt, sie neurotisiert und infantilisiert.

    Das mag ja durchaus auf viele Gläubige welcher Religion auch immer zutreffen, aber auf alle Gläubige? Ist das nicht doch wieder das ebenfalls in dem Artikel kritisierte "Religionsbashing"?

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Das GEISTIGE - eine Feldwirklichkeit, die als zeitloses Wechselwirkungsfeld mit allem Seinsfelder wechselwirkt und als Attraktor auf alle Wechselwirkungssysteme gesetzlich akzelerierend wirkt - ist evolutionsphysikalisch bislang nicht in den Blick der Wissenschaften geraten. Deshalb wird die Akzelerationsdynamik des Evolutionsprozesses nicht nach den Inhalten des alles erklärende Steuerungsmodells und nach dem organisierenden Ziel befragt. Die Wissenschaftler sagen: alle Erscheinungen seien letztlich durch Zufall entstanden.

     

    Solange das GEISTIGE, z.B. der christliche Heilige Geist, und seine Wirkungsbeziehung zu den physikalischen Erscheinungen nicht in ein Evolutionsprozessmodell eingegangen ist, solange geht Religionskritik am Kern der monotheistischen Religionen vorbei.

     

    Sie hat nach meiner Meinung ihre eigentliche Aufgabe noch nicht erkannt: auf das GEIST-

    Monopol der Religionen hinzuweisen, die gesellschaftlichen Macht- und kulturellen Bewußtseinsfolgen dieser Lücke zu benennen, z.B. die Möglichkeit, Menschen zu verhetzen, und die (Evolutionsprozess-) Physiker aufzufordern, diese evolutionsprozesstheoretische Erkenntnislücke mit wissenschaftlichen Methoden, z.B. der Hypothesenbildung über das GEISTIGE, zu schließen.

  • NA
    Nichts als die Wahrheit

    "Mit einem Wort: Religionskritik wollte nicht gegen eine Religion hetzen. Sondern Menschen schaffen, die sich nicht verhetzen lassen."

     

    Gibt es doch schon: Man nennt sie Taliban.

  • M
    molinocampo

    Ich glaube Sie irren, Sire....

     

    "Es ist ja kein Zufall, dass wir ein Kunstwerk wie Giovanni Da Modenas Fresco "Der Prophet in der Hölle" (Mohammed wird darauf vom Teufel in den Abgrund gezogen) als Ausdruck der Kreuzzüglermentalität ansehen, während Voltaires Kritik am fanatischen Propheten ("ein Kamelhändler") aufklärerisch verstanden wird."

     

    Könnte es nicht sein, daß sich die intendierte Aussage von Giovanni Da Modenas Fresco nicht vielmehr mit Voltaires Mohammed-(eigentlich: Islam-)Kritik in einem wichtigen Punkte trifft?

     

    Nämlich im Punkte einer ETHIK, die über Detailfragen bzgl. theologischer und spiritueller Praxis, oder der Kritik an einer Amtskirche (mit allem was daran hängt) hinausgeht?

     

    Der volle Wortlaut des Voltaire-Zitats gibt darüber nämlich ausreichend Auskunft:

     

    ?Ich gebe zu, daß wir ihn hochachten müßten, wenn er, als legitimer Herrscher geboren oder mit Zustimmung der Seinen an die Macht gelangt, Gesetze des Friedens erlassen hätte. Doch daß ein Kamelhändler in seinem Nest Aufruhr entfacht, daß er mit ein paar Koreischiten seine Brüder glauben machen will, daß er sich mit dem Erzengel Gabriel unterhielte; daß er sich damit brüstet, in den Himmel entrückt worden zu sein und dort einen Teil jenes unverdaulichen Buches empfangen zu haben, das bei jeder Seite den gesunden Menschenverstand erbeben läßt, daß er, um diesem Werke Respekt zu verschaffen, sein Vaterland mit Feuer und Eisen überzieht, daß er Väter erwürgt, Töchter fortschleift, daß er den Geschlagenen die freie Wahl zwischen Tod und seinem Glauben läßt: Das ist nun mit Sicherheit etwas, das kein Mensch entschuldigen kann, es sei denn er ist als Türke in die Welt gekommen, es sei denn, der Aberglaube hat in ihm jedes natürliche Licht erstickt."

     

    Auf was Voltaire hier nämlich anspielt, ist die GEWALTSAMKEIT, die dem Islam von ANFANG an (nämlich schon in Gestalt seines Propheten) eigen war - im Grunde hätte Voltaire in DIESEM Punkt wohl keine Probleme gehabt, mit Benedikt/Ratzingers Rede von Regensburg konform zu gehen.....

     

    Kein Geringerer als Goethe veranlasste übrigens seinerzeit, daß "Mahomet" ins Deutsche übersetzt wurde (das zur angeblichen Islam-Seligkeit des Dichterfürsten)