Debatte Rassismus gegen die Roma: Herder lebt
Der Hass auf die Roma ist das Erbe der Aufklärung. Deshalb steckt er so tief in unseren Köpfen.
D er EU-Gipfel endete letzte Woche in einem Eklat. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy fühlte sich wegen seiner Romapolitik zu Unrecht angegriffen und behauptete dreist, auch in Deutschland würden demnächst Roma-Lager geräumt. Berlin dementierte sofort, und auch der Zentralrat der Sinti und Roma aus Deutschland teilte umgehend mit, dass solche Lager in Deutschland gar nicht existierten. Damit hatte Sarkozy nicht gerechnet.
Einfacher erwies sich die Verständigung mit dem rumänischen Amtskollegen Traian Basescu. Rumänien und Frankreich, ließ man verlautbaren, wollen im Konflikt um die Roma-Rückführungen auf einen Vermittler verzichten. In Rumänien, sagte Rumäniens Staatspräsident Basescu, gebe es eine Million Roma, die integriert seien. Für die Nomaden unter den Roma müsse aber eine intelligentere Lösung gefunden werden als die einfache Ausweisung oder Rückführung in ihr Land, fügte der rumänische Staatschef hinzu.
Streicht den NGOs das Geld
ist Schriftsteller und Publizist. In seiner Heimat Rumänien gehörte er in den 1970er Jahren zum Dissidenten-Literaturkreis "Aktionsgruppe Banat", seit 1987 lebt er in Berlin. Zuletzt forschte er zur Geschichte des Holocaust in Rumänien.
Basescu fiel bereits als Oberbürgermeister von Bukarest besonders unangenehm auf, als er die Öffentlichkeit im Jahr 2003 mit dem schmissigen Vorschlag überraschte, für die Roma am Rande der Hauptstadt Stellplätze einzurichten und sie auf diese Weise aus der Ortschaft zu entfernen. Vor drei Jahren, als er bereits Präsident war, beschimpfte er eine Journalistin als "stinkende Zigeunerin". Wenn er nun erklärt, man möge den Nichtregierungsorganisationen auf europäischer Ebene keine europäischen Gelder mehr zur Verfügung stellen, dann heißt dies im Klartext, Roma-NGOs unterschlagen die Hilfsmittel, können mit Finanzen nicht umgehen und verleumden zudem die offizielle Integrationspolitik des rumänischen Staates. Und er setzte dann noch eins drauf und sagte, es sei ein Fehler gewesen, die gängige Bezeichnung "Zigeuner" abgeschafft und durch den Begriff "Roma" ersetzt zu haben.
Seit Jahrhunderten gelten Roma als nicht integrierbar. Als einer der ersten formulierte diese These der bekannte deutsche Aufklärer Johann Gottfried Herder (1744-1803). Obwohl er mit seinem Plädoyer für Toleranz und Völkerverständigung wegweisend für die europäische Geistesgeschichte war, formulierte er in seinem Hauptwerk "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" (1784/91) all jene Vorurteile gegen Roma und Juden, die später den ideologischen Ausgangspunkt für den militanten und mörderischen Antisemitismus und Antiziganismus des 20. Jahrhunderts lieferten. Herder beschreibt die Roma als ein "zahlreiches, fremdes, heidnisches, unterirdisches Volk", als eine "verworfene Indische Kaste, die von Allem, was sich göttlich, anständig und bürgerlich nennet, ihrer Geburt nach entfernt ist". Wozu taugen die Zigeuner in Europa, fragt sich Herder weiter und antwortet: "zur militärischen Zucht, die doch Alles aufs Schnellste discipliniert". Übersetzt in die Sprache Sarkozys, hieße das: Polizeieinsatz, Zwangsräumung, Ausweisung und Beschneidung der Freizügigkeit.
Gedudel stört Volksmusik
In Rumänien mag man derartige harsche Lösungen, gelten Roma doch schlechthin als Leute, die dem Image des Landes schaden. Häufig werden im östlichen Europa deshalb Roma als eine schwer sozialisierbare, kriminelle und parasitäre Kategorie beschrieben. Und nicht zuletzt als eine demografische Gefahr und eine Volksgruppe, die insbesondere mit ihrem Gedudel die rumänische Musiktradition durch eine geschmacklose Subkultur verseucht.
Kurz nach der rumänischen Revolution von 1989 entluden sich die Spannungen zwischen Roma und der Mehrheitsbevölkerung in pogromartigen Ausschreitungen. Extremistische Parteien forderten die Errichtung von Internierungslagern für Roma oder deren Ausweisung aus dem Land. Vereinzelt hörte man auch den Ruf nach der Antonescu-Lösung. Die von dem Hitlerverbündeten und faschistischen Militärdiktator Ion Antonescu eingeleitete ethnische Säuberungsaktion kulminierte in den Jahren 1941-1944 in der Internierung rumänischer Roma in KZ-ähnlichen Einrichtungen, in denen Tausende verhungerten.
Ohne politische Vertretung
Laut offiziellen Statistiken leben in Rumänien 500.000 Roma, in inoffiziellen Schätzungen ist die Rede von zwei bis drei Millionen. Durch den Zusammenbruch der sozialistischen Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe hatten nach 1990 fast alle Roma ihre Arbeit verloren. In ihren zumeist am Rande der Ortschaften angesiedelten Behausungen herrschte totale Armut. Eine Folge dieses desolaten Zustands war auch der Anstieg der Kriminalität.
Als die ersten bettelnden Roma in Deutschland auftauchten, wurden sie Anfang des vergangenen Jahrzehnts in Rostock mit Molotowcocktails empfangen. 2010 halten französische Einsatzkräfte der Polizei die Vertreibung der Roma für ihre Aufgabe.
In Rumänien existiert keine Interessenvertretung der Roma und Sinti - wie im Falle anderer nationaler Minderheiten. Die verschiedenen Romaparteien, die im Laufe der Jahre entstanden und sich wegen innerer Querelen rasch auflösten, schafften es nicht, bei den Parlamentswahlen als Block aufzutreten. Die Folge davon ist, dass im rumänischen Parlament nur ein einziger Romaabgeordneter sitzt, der für die Minderheitenvertretung automatisch ein Mandat bekommt.
Das "Romaproblem" ist nicht ausschließlich ein rumänisches oder bulgarisches, sondern es ist ein europäisches Problem. Solange die einzelnen Regierungen die Integrationsproblematik vor sich herschieben und nur dann etwas sagen, wenn es zu folgenschweren Maßnahmen wie in Frankreich kommt, wird diese Bevölkerungsgruppe weiter stigmatisiert und unter Ausgrenzung, der traditionellen Diskriminierung und latenten Ablehnung zu leiden haben. Die gezielte Einschulung der Romakinder, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Roma und eine fachkundige Beratung durch ausgebildete Sozialarbeiter, verbunden mit einer sachgerechten sozialen Direktunterstützung dieser Unterprivilegierten, wären ein wirkungsvoller Anfang. Alles andere wird nicht viel bringen - und Ausweisungen verhindern wegen ihrer moralischen und politischen Ineffizienz tatsächliche Lösungen.
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