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Debatte Pyrrhussieg in GazaZur Gewalt keine Alternative

Kommentar von Micha Brumlik

Hamastan und Israel dulden sich gegenseitig und treiben Handel, ohne sich förmlich anzuerkennen - so wie es die BRD und die DDR einst taten. Ein Gedankenexperiment.

U m den Preis einer schweren moralischen Niederlage wird Israel in diesem Krieg die Hamas besiegen. Mit dem Tod von etwa dreißig Zivilisten, der beim Beschuss einer UNRWA Schule in Gaza bewusst in Kauf genommen wurde, hat Israel die ohnehin geringe Nachsicht der Weltöffentlichkeit verloren.

Sogar wenn es stimmt, dass Milizionäre der Hamas aus dieser Schule Mörsergranaten auf israelische Truppen gefeuert haben, hätte man dieses Ziel verschonen müssen: Die moralischen Gründe dafür verstehen sich von selbst, die strategischen Gründe inzwischen auch: im stets medial geführten asymmetrischen Krieg stellt moralisches Versagen eine echte, keineswegs nur symbolische Niederlage dar. Umso mehr scheinen daher Vertreter einer pragmatischen Vernunft recht zu behalten, die schon vor mehr als zwei Jahren die EU Regierungen aufgefordert haben, den Boykott der Hamas-Regierung zu beenden. Dabei wurde das gelegentlich geäußerte Angebot vereinzelter Hamas-Politiker, Israel einen fünfzigjährigen Waffenstillstand, eine "Hudna" anzubieten, ebenso unterstrichen wie das mehr oder minder konfliktfreie Nebeneinander der chinesischen Volksrepublik und Taiwans.

Manche gar dachten an den 1972 geschlossenen Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, der die ökonomischen und humanitären Beziehungen zwischen beiden Staaten regelte, ohne dass Bonn damit Ostberlin förmlich anerkannt und auf das Ziel der Einheit verzichtet hätte. Lassen sich die hinter dem chinesischen und dem deutschen Beispiel stehenden Verhältnisse auf den Palästinakonflikt übertragen?

Man stelle sich folgende international garantierte Regelung vor: Wie andere Terrororganisationen wandelt sich die Hamas zu einer nur noch politischen Partei und legt die Waffen nieder. Als Regierungspartei in Gaza stellt sie den Raketenbeschuss ein, im Gegenzug öffnet Israel die Grenze für einen freien Waren- und Güteraustausch und erlaubt Arbeitern aus Gaza, in Israel ihr Geld zu verdienen. Ansonsten bleiben beide Parteien ihren Grundsätzen treu: Die Hamas betont, dass sie den israelischen Staat nie und nimmer anerkennen werde. Dessen Territorium stelle heiliges islamisches Land dar, und in einem künftigen, von der Scharia regierten Staat dürfen Millionen von Nichtmuslimen, also Dhimmis, ohnehin kein politisches Mitspracherecht haben. Israel hingegen erklärt, dass ein jüdischer und demokratischer Staat und das Land Israel die Wiege des jüdischen Volkes ist. Daher kann es sich nie und nimmer mit einem Gebilde abfinden, das die eigene Existenz für illegitim erklärt.

Abgesehen von diesen Erklärungen, so träumt die pragmatische Vernunft weiter, blühen Handel und Wandel zwischen Israel und Gaza, eine Entwicklung, die früher oder später dazu führt, dass beide Seiten ihre politischen Identitäten allmählich aufgeben und sich in einer EU-nahen, von den UN garantierten Konföderation näherkommen.

Die pragmatische Vernunft sollte allerdings realistisch träumen: Da beide Parteien trotz des eisern eingehaltenen Waffenstillstandes auf ihrer Identität beharren, wird die Hamas jede Gelegenheit nutzen, mit sämtlichen Mitteln unterhalb von Waffengebrauch und Wirtschaftsboykott gegen den Staat Israel zu agitieren - bis hin zur Aufforderung an die ohnehin ambivalenten israelischen Araber, ihrem Staat die Loyalität aufzukündigen. Zudem wird die Hamas unter den Bürgern des künftigen Palästinastaates im Westjordanland und in Ostjerusalem damit werben, dass Fatah mit ihrer Anerkennungspolitik einen zu hohen Preis gezahlt habe und auskömmliche Lebensverhältnisse bei erklärter Feindschaft mit Israel durchaus möglich sind.

Spätestens hier zeigt sich, dass das chinesische und deutsche Modell als Vorbild nicht taugen. Denn sowohl im chinesischen als auch im deutschen Fall waren sich beide Seiten allen politischen Differenzen zum Trotz darin einig, Parteien im Rahmen einer - hier ethnisch verstandenen - Nation zu sein. Das war und ist im chinesischen Fall bis auf einige taiwanesische Separatisten unstrittig. Die DDR hingegen hatte spätestens mit dem Grundlagenvertrag die Fiktion einer neu gegründeten, sozialistischen deutschen Nation aufgegeben. Das politische Konstrukt der einen Nation, das nach Bürgerkrieg und im Kalten Krieg ein friedliches Auskommen bei weltanschaulicher Feindschaft ermöglicht hat, entfällt jedoch im Konflikt Israel/Hamas. Schon alleine der Gedanke, Israel und Hamastan könnten sich gegenseitig zusichern, füreinander kein Ausland zu sein, führte zu folgendem absurden Ergebnis: Sowohl fundamentalistische jüdische Siedler als auch radikale Islamisten wären legitimiert, ihre theokratischen Ansprüche mitsamt dem jeweiligen Ausschluss von Muslimen beziehungsweise Juden zu erheben.

Schließlich: Sogar wenn man davon absieht, dass die Hamas eine antisemitische Partei ist und man diese Passagen aus ihrer Charta wider besseres Wissen als missglückten Ausdruck von Antizionismus konzediert, wird klar: Mit dieser Partei ist kein Kompromiss im Sinne der politischen Moderne möglich. Vergleicht man etwa die Charta der Hamas mit dem längst ad acta gelegten antizionistischen Programm der Fatah, einen demokratischen Staat in Palästina bei Gleichberechtigung aller muslimischer, christlicher und jüdischer Bürger anzustreben, wird das sofort deutlich. Das inzwischen obsolete Programm der Fatah proklamierte wenigstens - glaubwürdig oder nicht - die Idee einer demokratischen Nation. Anders die Charta der Hamas: Sie kennt kein demokratisches, souveränes Staatsvolk, sondern nur Gott unterworfene Muslime hier und widerwillig geduldete Dhimmis dort. Scharia und moderner Nationalstaat aber sind, auch in seiner verspäteten Schwundform, unvereinbar. Ideen jedoch, die einander unauflösbar widersprechen, können auch in der Wirklichkeit nicht koexistieren. Hier weist keine dialektische Synthese einen Weg. Die respektablen Träume der pragmatischen Vernunft zerschellen deshalb. Denn man hat es hier mit einem der glücklicherweise eher seltenen Fälle eines genuinen Feind/Feind-Verhältnisses zu tun, das in der Sache nur durch Gewalt zu entscheiden ist.

Dabei mag trösten, dass die menschlichen Träger solcher Feindschaften korrupt, bisweilen lernfähig und manchmal sogar einsichtig sind und mit dem möglichen Gesinnungswandel der Personen auch die tödliche Feindschaft der Ideen stirbt.

Gleichwohl ist das historische Drama noch lange nicht beendet. Zwar verschwindet die demokratisch legitimierte Hamas ob der inneren Widersprüchlichkeit ihres Prinzips, fürsorglicher Gottesstaat und Terrorzelle in einem zu sein, von der weltgeschichtlichen Bühne. Ihre Zeit ist abgelaufen.

Mit dem Pyrrhussieg in Gaza aber ist dem zionistischen Staat - da er unfähig ist, sich aus dem Westjordanland zurückzuziehen - keine Ewigkeitsgarantie, sondern allenfalls eine weitere Frist beschert.

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Autor und Kolumnist
1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“

3 Kommentare

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  • W
    Wachtmeister

    Zur Gewalt gibt es immer eine Alternative, zum Beispiel die Kapitulation. Die Israelis haben allerdings aus der Geschichte gelernt und ziehen den Kampf der Kapitulation vor. Eigentlich vernünftig, oder?

  • W
    Watzlaff

    Ist schon "lustig" wen man sieht, wie sich ein Professor der Erziehungswissenschaften, mit wilden Konstruktionen, eine Rechtfertigung für das

    brutale Vorgehen der Israelis im Gaza zurechtzubiegt. Aus dem Blickwinkel eines Gauls mit Scheuklappen, das brav den Wagen, zieht beladen mit der johlenden Meute von honestly concerned. "Sieg! Sieg ! Macht sie fertig- jetzt!" tönt's von hinten und überdeckt alles was an Stimmen der Mäßigung und Vernunft den Weg kreuzt. Aber es ist ja, die Hamas eine Organisation , die massgeblich von Israel gefördert wurde, um einen Bruderzwist in Palästina zu entfachen , da darf man die alten Instrumente der Verteufelung und Dehumanisierung des Gegeners , völlig ungezwungen zu neuen Zwecken anwenden.

     

    Bravo Herr Brumlik, meinen Bekannten könnte ich einen Besuch Ihrer Veranstaltungen nur unter einer Hinsicht empfehlen: das Brecht - Wort: Der Geist ist fruchtbar noch aus dem das kroch ! auf seine aktuelle Relevanz zu überprüfen.

  • CR
    christine rölke-sommer

    Zur Gewalt keine Alternative?

    Dieser beitrag von Micha Brumlik macht mich ärgerlich.

    Zum einen, weil er die alternative militärischer sieg ./. moralische niederlage aufbaut. Zum nächsten, weil er mit seinem gedankenexperiment den konflikt ent-historisiert. Zum dritten, weil er die de-konstruktion von nation und nationalstaat, falls überhaupt, dann nur halbherzig betreibt. Und zum vierten, weil er die forderung nach einstellung der kampfhandlungen durch Israel – und Hamas – ohne wenn und aber ins unmoralische wendet – und diese immoralität im aktuellen hiesigen kontext als die schlimmere erscheinen lässt.

     

    Da ich gerade von Elie Wiesel, „Die Nacht zu begraben, Elischa“ lese, ist mir mal wieder sehr deutlich geworden, dass auch die zionistische bewegung in (nicht unerheblichen) teilen nach heutigem sprachgebrauch eine terror-organisation war. Und, das setze ich gleich hinzu, weil ich alles andere, das ich in meinem bisherigen leben zu dieser bewegung gelesen habe, nicht einfach vergessen kann, es gehört auch dazugesagt, dass sie eine art neu-auflage (unter anderem) der east-india-company war, kurz: ein quasi-kolonialistisches unternehmen. Was darauf verweist, dass der umgang und die entwicklung von lösungsmodellen für diesen konflikt immer auch davon abhängig ist, in welchen historischen kontext dieser gestellt wird.

     

    Nun würde es den rahmen eines kommentars sprengen, wollte ich hier insgesamt die genese des konfliktes in und um Israel/Palästina darstellen. Deshalb merke ich vorab nur kurz an, dass dieser konflikt nicht das resultat der shoa ist und auch nicht das resultat des nur sehr partiell von allen konfliktparteien akzeptierten UN-teilungsplanes von 1947. Die geschichte reicht weiter zurück und zwar bis ins 19. jahrhundert, mindestens. Sie hat mit der fehlgeschlagenen modernisierung (im sinne von weiterentwicklung entsprechend den erfordernissen der zeit) des osmanischen reiches zu tun und mit der (vermutlich) spätestens ende des 18. jahrhunderts einsetzenden penetration der region durch die nach außen als kolonialisierende auftretenden europäischen mächte, die sich im inneren zu den nationalstaaten des 19. jahrhunderts umzubauen begannen. Im zuge dieser entwicklungen entstanden nationalstaatliche bewegungen, die staatliche unabhängigkeit auf einem je aus eigener geschichte heraus für geeignet erachteten boden anstrebten. Gleichzeitig entstanden in den schneller und mehr oder weniger geglückt etablierten nationalstaaten bewegungen, die es unternahmen, die beschaffenheit des erwünschten staatsbürgers zu definieren und herzustellen. Zu diesen bewegungen gehörte einerseits in Europa der politische antisemitismus und andererseits neben etlichen anderen auch die zionistische bewegung.

    Die entstehung solcher nationalstaatlicher bewegungen beschränkte sich allerdings nicht auf Europa. Sie fand andernorts ebenfalls statt; zu andernorts gehörte auch das auseinanderbrechende und von außen auch territorial im stärker demontierte osmanische reich. Es war daher kein wunder, dass die zionistische bewegung in dem moment, in dem sie die in kolonisation umbenannte ansiedlung jüdischer menschen in Palästina übernahm, diese in einer region weiterführte, in der neben anderen auch eine palästinensische nationalbewegung im entstehen begriffen war. Die gründungsgeschichte der bilu’im-siedlung Gedera ist ein beredtes beispiel für die konfligierenden interessen, die zu diesem zeitpunkt (nämlich dem ausgehenden 19. jahrhundert) begannen, in der region Palästina/Nah-Ost aufeinanderzutreffen.

     

    Es dürfte unmittelbar einleuchten, dass immer dann, wenn zwei nationalstaatliche bewegungen ansprüche auf ein- und denselben boden erheben, um diesen in nationales territorium bevölkert von jeweils erwünschten staatsbürgern umzuwandeln, ein gewaltförmig ausgetragener konflikt in der luft liegt. So verhielt es sich auch in Palästina, weshalb bereits zu zeiten des yishuv der konflikt Israel/Palästina entstanden war. Vielleicht hätte er vermieden werden können, hätten sich innerhalb des yishuv die durchsetzen können, welche für einen bi- oder multi-nationalen staat eintraten. Nun, sie setzten sich nicht durch, sondern der erst para- und später militärisch ausgetragene konflikt setzte sich durch. Und mit dem konflikt dessen logik, in der sich die konfliktparteien und wir mit ihnen immer noch befinden.

     

    Es wird daher alles nichts helfen, die einzige alternative zur gewalt ist: keine gewalt, zumindest keine militärische gewalt. Alles andere führt nur dazu, dass Israel sich als staat letzten endes selbst vernichten wird. Dies wäre kein Pyrrussieg mit moralischem kollateralschaden mehr, sondern es wäre die atomare vernichtung der region Naher und Mittlerer Osten als region insgesamt.

    Es wird daher weiter für den moment nichts anderes helfen, als „die gebiete“ ohne wenn und aber zu einem unabhängigen nationalstaat zu erklären – oder aber, sie definitiv zu annektieren und im dann entstandenen Groß-Israel den demokratischen umbau zu beginnen. Was nichts anderes bedeutet, jedenfalls für den moment, als das anti-zionistische projekt der Fatah in angriff zu nehmen. Zusammen mit Fatah und Hamas.

     

    Das liest sich vermutlich hoffnungslos naiv und größenwahnsinnig zugleich. Und ich gestehe, dass es mir auch so vorkommt. Allerdings sehe ich in einer zeit, in der wir rund um den globus feststellen müssen, dass der nationalstaat des 19. jahrhunderts sowieso nicht mehr zukunftstauglich ist, keinen anderen ausweg als den, praktisch nach gänzlich neuen formen von staatlichkeit zu suchen. Und – wenn nicht jetzt, wann dann?