piwik no script img

Debatte Polens KonservativeWeiter auf Rückwärtskurs

Kommentar von Holger Münch

Die Konservativen haben ihre Hasstiraden nur kurz gemäßigt. Jetzt bereiten sie die Schlammschlacht für die Parlamentswahlen im Herbst vor.

E uropa atmet auf. Von Moskau und Berlin bis Brüssel herrscht Erleichterung darüber, dass dem beim Flugzeugabsturz in Smolensk verunglückten Präsidenten Lech Kaczynski nicht dessen Zwillingsbruder Jaroslaw, sondern der liberale Bronislaw Komorowski im Amt folgt. Zu gut sind vielen noch die Auswüchse jener Ära in Erinnerung, in der die beiden Kaczynski-Brüder nach ihren Siegen bei den Parlamentswahlen 2005 und den Präsidentschaftswahlen 2006 mit Brachialrhetorik und ultrarechten Koalitionspartnern Polens Ruf international kräftig ramponierten.

Versöhnung als vorübergehende Leitwährung

In Polen selbst machten sich die Zwillingsbrüder gegen exkommunistische Altkader und Homosexuelle und für nationale und erzkatholische Werte stark, Lech Kaczynskis Eintreten für die Todesstrafe brachte diesem sogar eine Ermahnung durch EU-Kommission und Europarat ein. Doch mit der europäischen Integration standen die Zwillinge ohnehin auf Kriegsfuß. Gegen das Ausland grenzten sie sich misstrauisch ab - vor allem gegen die großen Nachbarn Deutschland und Russland. Und Israel verprellten sie, als sie den Chef der teilweise antisemitischen "Liga der Polnischen Familien" zum Erziehungsminister ernannten.

Bild: privat

Holger Münch ist freier Journalist und Autor. Er lebt und arbeitet in Berlin. Wichtige Buchpublikationen von ihm sind u.a. "Leitbilder und Grundverständnisse der polnischen Europapolitik" (VS Verlag 2007).

Dann kam die Katastrophe von Smolensk und alles schien plötzlich anders. Der Tod des Präsidenten und der konservativen Führungselite setzte das Land unter Schock und führte zum konfliktärmsten Wahlkampf des demokratischen Polens. Auch Jaroslaw Kaczynski verzichtete ganz auf die von ihm bekannten, scharfen Töne. Stattdessen profilierte er sich als versöhnlicher Staatsmann, der sogar seinem Lieblingsfeind, den Postkommunisten, die Hand entgegenstreckte. Als Premier war er ihnen seinerzeit mit einem scharfen Durchleuchtungsgesetz auf den Leib gerückt. Nun buhlte er um ihre Wähler, indem er sich wie sie für ein solidarisches, gehaltsunabhängiges Gesundheitssystem in die Bresche warf.

Mit seiner zurückhaltenden Kampagne konnte Jaroslaw Kaczynski seine Zustimmungswerte binnen weniger Wochen von knapp über 20 auf zuletzt fast 47 Prozent steigern. Trotz seiner Niederlage ging er daher als Gewinner aus den Präsidentschaftswahlen hervor - und es ist nicht unwahrscheinlich, dass er sich dieses Ergebnis genau so gewünscht hat. Einerseits konnte er damit seinen Führungsanspruch in der Partei eindrucksvoll untermauern. Die Reihen der verunsicherten Partei sind wieder eng geschlossen, ein Generationenwechsel ist in weite Ferne gerückt. Zum anderen hat er sich eine ideale Ausgangsbasis geschaffen, um bei den Parlamentswahlen im nächsten Herbst den amtierenden Premier Tusk herauszufordern: Als Staatspräsident hätte er sich kaum so energisch ins parteipolitische Getümmel stürzen können.

Harte Bandagen für den Wahlkampf im Herbst

Die Freude darüber, Polen hätte seine katholisch-nationale Rückwärtsgewandtheit abgeschüttelt, ist deshalb verfrüht; die Hoffnung, dass Polen und Europa nun einen neuen, geläuterten Jaroslaw Kaczynski erleben werden, ist unbegründet. In einem Interview ließ er kürzlich verlauten, sein Angebot, einen gemäßigteren Ton in der politischen Auseinandersetzung anzuschlagen, werde von den anderen Parteien offenbar nicht angenommen. Daher werde er wohl künftig wieder dazu gezwungen sein, härtere Bandagen anzulegen. Mit anderen Worten: Der Burgfrieden ist vorüber.

Nicht nur im Tonfall, auch inhaltlich bleibt Kaczynski der alte. So dürfte das lange vor der Katastrophe von Smolensk verabschiedete Programm seiner Partei "Recht und Gerechtigkeit" seine Kampagnen für die Kommunalwahlen Ende des Jahres sowie die Parlamentswahlen im Herbst 2011 prägen. Darin findet sich nicht nur der Ruf nach einer weiteren "Reinigung" der Verwaltung von politisch belasteten Staatsdienern, sondern auch die populistische Forderung nach Veröffentlichung der Namen von Sexualstraftätern auf "Pranger-Listen" nach britischem Vorbild. Mit Blick auf Europa wird nach dem Vorbild von General Charles de Gaulle ein "Europa der Vaterländer" propagiert, was faktisch einen weitgehenden Rückbau der erreichten europäischen Integration bedeuten würde.

Wird Jaroslaw Kaczynski Donald Tusk besiegen?

Inzwischen schreckt Jaroslaw Kaczynski auch nicht mehr davor zurück, die Tragödie von Smolensk politisch für sich zu instrumentalisieren. So macht er die Tusk-Regierung indirekt für das Unglück verantwortlich, indem er ihr vorwirft, keine modernen Flugzeuge angeschafft zu haben, und kündigt forsch an, mit allen rechtlichen, politischen und moralischen Mitteln dafür zu sorgen, dass die Untersuchung der Absturzes endlich "die Wahrheit ans Licht" bringe - ganz so, als ob diese bislang bewusst verschleiert worden wäre.

Und das dürfte erst der Anfang sein. Denn Polen stehen harte Reformen im Sozialsystem bevor, das Renten- wie das Gesundheitssystem gelten als chronisch unterfinanziert. In der gegenwärtigen Regierungskoalition aber gehen die Vorstellungen, welche Schritte nun nötig sind, weit auseinander. Der verstorbene Präsident Lech Kaczinsky hatte den Reformeifer der Regierung wiederholt ausgebremst, indem er gegen deren Gesetze 18-mal sein Veto einlegte. Nun hat Donald Tusk freie Hand. Mit zu harten Reformen aber läuft er Gefahr, die Kluft zwischen Reich und Arm zu vergrößern und neue gesellschaftliche Konflikte heraufzubeschwören.

In jedem Fall wird Jaroslaw Kaczynski genügend Munition erhalten, um seinem Rivalen Tusk in einem Jahr das Amt wieder abzujagen und Europa erneut das Fürchten zu lehren. Dabei ist die Statistik mit ihm. Denn seit 1989 ist noch keiner polnischen Regierung eine Wiederwahl vergönnt gewesen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • W
    Wolle

    Der Herr heißt wohl Donald Tusk und nicht Ronald Tusk.