Debatte Piratenpartei: Digitaler Klassenkampf
Die Partei der Netzaktivisten thematisiert soziale Gerechtigkeit. Um ernster genommen zu werden, muss sie dringend ihr nerdiges Image loswerden.
E in wenig infantil und unseriös scheint sie ja zu sein. Aktionen wie die neulich am Berliner Alexanderplatz, wo man rollenspielerisch gegen das Verbot von Killerspielen demonstrierte und das gute alte Schachspiel als blutrünstiges Spektakel zu inszenieren suchte, lassen die Nerds von der Piratenpartei wie groß gewordene Kinder erscheinen.
Kein Wunder, dass diese Aktion, mit der die Partei der Netzaktivisten ein Zeichen setzen wollte, seitens der etablierten Politik nicht einmal belächelt wurde. Die Piratenpartei kommt aus Schweden und hat wie vieles, was aus Schweden kommt, von Abba über Nina Persson bis zu Ikea, immer auch etwas Niedliches. Und Niedliches kann man nicht ernst nehmen.
Gegründet hat sich die Piratenpartei mehr oder weniger aus juristischen Gründen. Unter dubiosen Umständen wurden die Betreiber der Suchmaschine Pirate Bay im April dieses Jahres von einem schwedischen Gericht wegen Urheberrechtsverletzungen zu Freiheitsstrafen und Schadenersatz von 3,6 Millionen Dollar verurteilt. Dubios war daran vor allem der Umstand, dass Richter Thomas Norström, ein Lobbyist und Mitglied mehrerer Urheberrechtsorganisationen, das Urteil mitverantwortete.
Eine Neuverhandlung wegen Befangenheit lehnte das oberste schwedische Berufungsgericht ab. Woraufhin erneut Befangenheitsvorwürfe, diesmal gegen einen der Berufungsrichter, laut wurden. Verhandelt wird unterdessen weiter: Die Betreiber von Pirate Bay erwägen die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Wie es nach dem Verkauf von Pirate Bay an ein IT-Unternehmen weitergeht, wird sich erst herausstellen.
In Schweden löste das erste Urteil gegen Pirate Bay eine dermaßen große Empörung aus, dass sich tatsächlich eine rechtschaffene Partei gründete. Bei der Europawahl erzielte sie auf Anhieb mehr als 7 Prozent der Stimmen und damit einen Sitz im Brüsseler Parlament. Zur Bundestagswahl wird die Partei ebenfalls antreten. Schafft sie es, ihr Image nicht abzulegen, sondern um Nuancen zu erweitern, die über das Infantile und Nerdige ihrer vorwiegend männlichen Mitglieder hinausgehen, wird die Piratenpartei nicht nur bei der nächsten Wahl gut abschneiden. Denn ihre Themen sind die Themen der Zukunft.
Die Metapher vom Urheberrecht als dem Öl des 21. Jahrhunderts ist inzwischen abgegriffen, falsch ist sie aber nicht. Um Wissen, Information, um Beherrschung des Diskurses dreht sich nicht erst seit dem 11. September die politische Welt. Das Urheberrecht sorgt dafür, dass die eigentlichen Ideengeber geschützt und für ihre Ideen belohnt werden. Sänger nimmt Platte auf, Radio spielt Platte ab, Käufer besorgt sich Platte, physisch oder nicht; natürlich soll Sänger für sein Werk irgendwie entlohnt werden.
Andererseits funktioniert das Urheberrecht tatsächlich weitgehend anders, denn den eigentlichen Urhebern wird ihr Recht in der Regel schnell abgekauft: von den Verwertern. Von Verlagen, Plattenfirmen, Filmverleihen zum Beispiel. In der Folge schützt das Urheberrecht nicht mehr den Urheber, sondern die Verwerter. Recht als Ware.
Die Piratenpartei indes vertritt den Konsumenten, der bislang eben nur als solcher wahrgenommen wurde: als Käufer, als Geldausgeber. Woher das Geld kommt, das der Konsument ausgibt, ob es überhaupt da ist und ob es gleichmäßig verteilt ist, das hat die Kulturverwertungsindustrie bisher herzlich wenig geschert. Genauso wenig wie die Frage, ob sozialisierte Kultur eine wünschenswerte Utopie für die Menschheit wäre.
Der Zugang zu Wissen und Kultur lief, wie überall im Kapitalismus, über Geld. Wer keins hatte, hatte Pech. Wer die wichtigsten Platten der letzten Jahre nicht kaufen konnte, konnte auch nicht mitreden und somit auch kein kulturelles Kapital in echtes umsetzen. Die Klassen reproduzierten sich.
Die digitale Revolution machte genau da eine Lücke, eine Falte auf: Musik wurde von Tonträgern befreit und unendlich tauschbar bei ungefähr gleich bleibender Soundqualität, und so Filme, und so Bilder, und so Texte. Plötzlich konnten sich der Hartz-IV-Empfänger, der Sechstklässler, der Rentner nach Wunsch das Gesamtwerk von Cole Porter, Eminem oder Heino anhören, ohne dafür zahlen zu müssen. Eine Frage von Legalität war das im Einzelfall nicht, sondern eine von technischen Möglichkeiten.
Die Kulturverwertungsindustrie, erschüttert und alarmiert, versuchte sich auf dem Feld der Jurisprudenz gegen die Folgen der Digitalisierung (die sie nicht zuletzt selbst mitverantwortete) zu wehren. Und nun wehrt sich der Konsument gegen die Reaktion. Daher gibt es die Piratenpartei.
Urheberrecht, Datenschutz oder das Erbrecht sind Anliegen, die in einer offenen, freien, demokratischen Gesellschaft immer wieder neu verhandelt werden müssen, falls soziale Gerechtigkeit wirklich ein Ziel sein soll. Verhandelt werden sollten die Fragen aber nicht nur vor Gericht, sondern auch in der außergerichtlichen Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch in der Politik, konkreter, in den Parlamenten.
Die Piratenpartei vereint zum ersten Mal Tauschbörsianer, Netzaktivisten und Otto Normaluser und mit ihnen die neue, sozusagen digitale Klasse, die auf die etablierten Parteien Druck ausüben kann, der mal nicht aus den Reihen der Verwerter und Lobbyisten kommt. Das ist ihre Chance, daran wird sie zu messen sein, und nicht an den Aktionen wie der auf dem Berliner Alexanderplatz.
Ein letzter Einwand, ein letzter Einwurf an dieser Stelle. Natürlich kommt es auch darauf an, wie Realität vermessen wird. Solange man Geld nicht selbst drucken darf, solange kein 3D-Drucker eine Wohnung, eine Beziehung, ein Medikament, ein Möbelstück, ein Lebensmittel ausdrucken kann, wird es immer noch darauf ankommen, sich politisch zur materiellen Welt zu positionieren. Zu der Restwelt, die nicht digitalisierbar ist.
Die Piratenpartei mag sich als die einzige demokratische Organisation sehen, die verstanden hat, wie das Internet funktioniert. In diesem Punkt sollte sie allen anderen Parteien Vorbild sein. Sie sollte aber auch sehen und erkennen, dass es eine Welt außerhalb des Netzes gibt. Und immer geben wird.
RENÉ HAMANN spielte als Kind auf großen Spielplätzen gern Piratenschiff, inklusive Entern, Kentern und Einkerkern. Heute lebt er als seriöser taz-Autor und Schriftsteller in Berlin. Im Buchhandel erhältlich u. a.: "Das Alphabet der Stadt" (Verbrecher Verlag 2008).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“