Debatte Palästina: Ratlos in Ramallah
Die palästinensiche Autonomiebehörde steckt in der Falle. Der Gang vor die UN hat nicht geholfen. Die Situation droht sich weiter zu verschlechtern.
D ie Palästinenserführung steht ein Jahr nach dem Aufnahmeantrag an die Vereinten Nationen mit leeren Händen da. Die Hoffnungen auf eine staatliche Anerkennung Palästinas haben ebenso sich in Luft aufgelöst wie die auf eine nationale Versöhnung mit der Hamas.
Nun wird in Ramallah gegen die Gehaltskürzungen und Steuererhöhungen, mit denen die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) gegen ihre akute Finanznot vorgehen will, demonstriert. Aber ein Ende der israelischen Besatzung ist ebenso wenig in Sicht wie ein palästinensischer Staat.
Soll man sich also von der Zwei-Staaten-Konzeption verabschieden (wie Carlo Strenger, „Wir haben verloren“)? In beiden Gesellschaften wird zwar immer häufiger über eine „Ein-Staat-Lösung“ diskutiert. Doch in Palästina und vor allem im jüdisch-zionistischen Israel ist die Vorstellung des eigenen Staates ideologisch so tief verankert, dass politische Mehrheiten für einen gemeinsamen Staat kaum vorstellbar sind. Dafür zu kämpfen würde für die Palästinenser bestenfalls einen Status als Bürger zweiter Klasse festschreiben.
war grüner Bundestagsabgeordneter und leitete von 2004 bis 2009 das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah. 2011 gab er den Sammelband "Palästina und die Palästinenser. 60 Jahre nach der Nakba" heraus.
Die Idee des gemeinsamen Staates für Palästinenser und Israelis entspringt der Verzweiflung über das Scheitern des Friedensprozesses. Einer Ein-Staat-„Lösung“ mangelt es aber genauso wie derzeit der Zwei-Staaten-Regelung an einer Strategie, um sie verwirklichen zu können. Aus guten Gründen mochte bisher kein relevanter Akteur die Zwei-Staaten-Regelung ad acta legen.
Begrenzte Optionen
So bleibt es für die Autonomiebehörde beim Ziel eines palästinensischen Staates neben Israel. Aber die Suche nach einer neuen Strategie gleicht einer Quadratur des Kreises. Die Optionen sind begrenzt, alle sind mit Risiken verbunden.
Der Versuch einer Internationalisierung des Konflikts über den UN-Aufnahmeantrag ist mangels einer Mehrheit im Sicherheitsrat erst einmal gescheitert. Der Antrag auf einen Beobachterstatus, den Präsident Mahmud Abbas jetzt stellt, ist nur ein schaler Ersatz. Eine andere Option wäre die Mitgliedschaft in UN-Organisationen wie FAO und WHO.
Doch die bereits erfolgte Aufnahme in die Unesco Ende 2011 dient eher als abschreckendes Beispiel: Die US-Regierung strich ihre finanziellen Zuschüsse an die Unesco, Israel stoppte die Weiterleitung von Steuereinnahmen an die Autonomiebehörde. Jede weitere Mitgliedschaft Palästinas in einer UN-Organisation wäre mit herben finanziellen Verlusten nicht nur für die PA, sondern auch diese UN-Organisation verbunden.
Bleibt die Option einer nationalen Versöhnung mit Hamas. Das eigene Haus in Ordnung zu bringen, fordern alle von den Palästinensern. Nur ein geeintes Palästina kann als glaubwürdiger und verlässlicher Partner in Friedensverhandlungen auftreten. Doch Israel und die USA können sich eine nationale Versöhnung nur als bedingungslose Unterwerfung der Hamas vorstellen.
Jede auch nur indirekte Beteiligung der Hamas an der Bildung einer Autonomieregierung hätte deshalb die Einstellung der amerikanischen und israelischen Zahlungen zur Folge. Friedens- und Versöhnungsprozess schließen einander aus. Diese absurde Konsequenz internationaler Nahostpolitik hat sich nicht ausgewirkt, weil Fatah und Hamas nicht zu einer echten Versöhnung bereit sind. Voraussetzung dafür wäre die Bereitschaft, den absoluten Herrschaftsanspruch im jeweiligen Gebiet aufzugeben und demokratische Wahlen zuzulassen. Doch die Festigung der eigenen Macht hat weiterhin Priorität.
Macht’s doch selbst!
Gibt es also keine Alternative zum politischen Stillstand? In periodischen Abständen wird aus Verzweiflung über die eigene politische Ohnmacht und Perspektivlosigkeit die freiwillige Auflösung der Autonomiebehörde debattiert. Warum die Arbeit der Besatzer erledigen? Sollen sie doch selbst wieder ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen, Müllabfuhr und Gesundheitswesen organisieren und dafür zahlen! Aber Tausende von öffentlich Bediensteten hätten dann kein Einkommen mehr, Chaos droht, die Lebensverhältnisse würden sich weiter verschlechtern.
Die palästinensische Westbank ist faktisch zu einem international finanzierten Protektorat geworden, das zwar einige Städte und Ortschaften verwaltet, dessen Aktivitäten jedoch in wesentlichen Bereichen dem israelischen Veto unterliegen. Für jeden Versuch, Bewegung in die erstarrten Fronten zu bringen, müssen die Palästinenser einen hohen Preis zahlen.
Nicht zufällig steckt die PA in einer existenziellen Finanzkrise. Die Zuwendungen internationaler Sponsoren und die Steuerzahlungen Israels bleiben immer dann aus, wenn unliebsame politische Initiativen der Palästinenser drohen oder bestraft werden sollen.
Abwarten und nichts tun
Zudem leiden die Palästinenser unter der geringen internationalen Aufmerksamkeit für ihren Konflikt. Palästina gilt international keineswegs mehr als zentraler Konflikt in der Region. Die Krisen und Kriege im Irak, Iran oder Afghanistan, die Instabilität in der Region aufgrund des Arabischen Frühlings stehen auf der politischen Agenda viel weiter oben. Auch die Europäer plagen andere Sorgen. Also lautet die internationale Devise: Abwarten! Unter dem Status quo zwischen Jordan und Mittelmeer leidet ja außer den Palästinensern niemand.
Eine konsequente strategische Neuorientierung palästinensischer Politik, die Auswege aus den Dilemmata eröffnet, steht noch immer aus. Die zögerlichen Internationalisierungsversuche bei den Vereinten Nationen, die halbherzigen Versöhnungsdokumente der Führungen eröffnen keinen Weg aus der Sackgasse.
Der Ruf nach einem umfassenden zivilen Widerstand gegen die Besatzung wird deshalb in vielen politischen Gruppierungen in der Westbank, darunter auch der Fatah, lauter.
Keine dritte Intifada, sondern ein ziviler Volksaufstand, der neben der Verweigerung der Kooperation mit der Besatzungsmacht und Wegen aus der finanziellen Abhängigkeit auch die Demokratisierung der politischen Strukturen auf seine Fahnen schreibt, um die nationale Spaltung zu überwinden und internationale Unterstützung zu gewinnen. Doch ohne einen Preis zu zahlen, ist auch dieser Weg nicht zu haben.
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