Debatte Pakistan: Unfähigkeit mit System

Der Mord an Bhutto konnte geschehen, weil pakistanische Behörden versagten. Inkompetenz oder staatliche Duldung? Für die Zukunft Pakistans ist das entscheidend.

Das Attentat auf Benazir Bhutto liegt nun schon weit mehr als einen Monat zurück. Doch bisher ist kaum etwas unternommen worden, um die Hintergründe aufzuklären. Staatstreue Beamte machen den Anführer der pakistanischen Taliban, Baitullah Mehsud, für das Attentat verantwortlich, doch dieser Vorwurf wurde zurückgewiesen. Es ist offensichtlich, dass eine Seite lügt.

Eines jedoch ist sicher: Der Staat hat die Pflicht, jeden seiner Bürger zu schützen. Und hier hat der Staat eine seiner Bürgerinnen nicht geschützt, die sehr viele Menschen als ihre Führerin betrachteten und die - auch nach offizieller Darstellung - bedroht war. Zumindest insoweit ist das Musharraf-Regime verantwortlich zu machen. Aber auch eine unmittelbare Verantwortung von Staatsfunktionären ist nicht vollkommen auszuschließen.

Das pakistanische Militär besitzt die erforderliche Technik, um Anrufe innerhalb von Sekunden zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen. Immerhin war es in der Lage, ein angebliches "Gespräch" zwischen Baitullah Mehsud und seinem Feldkommandanten "Maulvi" aufzuzeichnen. Dass es jedoch nicht fähig oder willens war, im Laufe des angeblich minutenlangen Gesprächs den Aufenthaltsort des "Maulvi" oder von Baitullah Mehsud zu lokalisieren, riecht nach mangelnder Kompetenz - oder stillschweigender Duldung.

Mangelnde Kompetenz oder stillschweigende Duldung, dieses Muster hat sich mittlerweile in verschiedenen Politikfeldern zu einem Kennzeichen des Musharraf-Regimes entwickelt. Das jüngste Beispiel dafür bildete der Fall des Mullahs Fazlullah in der Region Swat. Bereits seit über einem Jahr war in den Medien über einen illegalen Radiosender berichtet worden, den der Mullah betreibt. Obwohl den pakistanischen Behörden die Technik zur Störung von Radiosignalen zur Verfügung stand, unternahmen sie keinen Versuch, die Ausstrahlung dieser Sendungen zu stören. Dass sie diese Technologie besitzen, wurde erst dadurch deutlich, dass diese Radiosignale seit Beginn der Militäroperation in Swat in der Tat gestört worden sind.

In der Roten Moschee in Islamabad hatten sich pakistanische Streitkräfte zuvor heftige Kämpfe geliefert mit Militanten, die sich dort verschanzt hatten, was zahlreiche Opfer auf beiden Seiten forderte. Auch der Konflikt um die Rote Moschee hatte zunächst über ein Jahr vor sich hin geschwelt, ehe es schließlich zur Konfrontation kam. Die Frage, die sich dann stellte, lautet: Wie war es möglich, dass die militanten Moscheebesetzer mitten in Islamabad haufenweise Hightech-Waffen ansammeln konnten - in einer Stadt, von der es heißt, dass es dort mehr Geheimdienstleute gibt als sämtliche Hausmeister, Gärtner und Taxifahrer zusammengenommen? Kein Staatsfunktionär hat bisher darauf eine Antwort für nötig erachtet. Und wieder fragt man sich: Unfähigkeit oder Duldung?

Zuvor gab es die Affäre um den internationale Schwarzhandel des Atomphysikers Dr. Abdul Qadeer Khan mit geschmuggelter Atomtechnologie und nuklearem Material. Seine illegalen Aktivitäten wurden nicht etwa durch die pakistanischen Behörden aufgedeckt, sondern durch die Vereinigten Staaten. Nach offizieller pakistanischer Lesart hatte er den Schmuggelring auf eigene Faust betrieben; pakistanische Staatsbeamte sollen weder daran beteiligt gewesen sein noch überhaupt etwas davon gewusst haben.

Dr. Qadeer Khan war ein Mann von großer Bedeutung für die Nation, er wurde von mehr als einem hochkarätigen Sicherheitsdienst beschützt. Wer allerdings einen solchen Polizeischutz nur einen Tag lang erlebt hat, der weiß, dass dies eine zweischneidige Sache ist. Denn eine solche Eskorte mag dem betreffenden Menschen einerseits Schutz bieten. Gleichzeitig aber raubt sie ihm zu einem gewissen Grad auch seine Privatsphäre. Es ist kaum vorstellbar, dass der Atomwissenschaftler in der Lage war, einen internationalen Handel mit hochsensiblem Material zu betreiben und angeblich C-130-Flugzeuge der pakistanischen Luftwaffe für den Transport seiner Waren um die ganze Welt zu nutzen, ohne dass dies die Aufmerksamkeit seiner "Eskorte" erregt hätte.

Was immer hinter all dem steht: in jedem Falle ist das Thema von größter Wichtigkeit. Nimmt man mangelnde Kompetenz als Ursache für die drei hier beschriebenen Fälle an, müsste man daraus den Schluss ziehen, es mit komplettem Staatsversagen zu tun zu haben. Die Regierung ist nicht in der Lage, ihre eigenen Vorschriften durchzusetzen: Sie ist unfähig, illegale Rundfunksender zu kontrollieren. Sie ist unfähig, die Anhäufung von Waffen an jedem beliebigen Ort zu verhindern. Sie ist unfähig, das Leben und das Hab und Gut ihrer Bürger zu schützen. Und sie ist unfähig, Menschen zu kontrollieren, die mit dem Schmuggel von gefährlichem Material Geschäfte machen. Davon ausgehend kann man sagen, dass sie wahrscheinlich auch unfähig ist, die ihr übertragene Aufgabe zur Unterstützung der Vereinigten Staaten in deren Krieg gegen den Terror zu erfüllen.

Sollte dies alles allerdings auf stillschweigender Duldung beruhen, so wäre das Ganze ungleich beunruhigender. Wenn es so ist, dass die Vorkommnisse von Swat, in der Roten Moschee und der Schmuggel von Nuklearmaterial mit stillschweigender Duldung von Staatsfunktionären geschehen konnten, kann man nur den Schluss ziehen, dass es eine Clique mächtiger Leute gibt, die in den Schaltzentren der Macht sitzen und die meinen, sich gegenüber keinerlei Grundsätzen oder Institutionen verantworten zu müssen. Sie scheinen sich über nationales wie internationales Recht erhaben zu fühlen.

Vor diesem Hintergrund muss man die Forderung nach einer internationalen Untersuchung der Ermordung Benazir Bhuttos sehen. Durch die wiederholte und dauerhafte Aussetzung verfassungsmäßiger Prozesse und der Rechtsstaatlichkeit wurden Machtzentren geschaffen, die außerhalb der Verfassung und außerhalb von Recht und Gesetz stehen. Diese dunklen Zentren, die sich in und um Teile des Staatsapparates eingenistet haben, sind die Brutstätten für ein breites Netz aus kriminellen und terroristischen Zellen.

Daher sind nun Maßnahmen gefordert, um gegen diese Zustände vorzugehen. Wenn der Mord an Benazir Bhutto auf mangelnde Kompetenz des Staates zurückzuführen ist, dann ist es dringend geboten, die Syndrome des staatlichen Versagens auszumerzen. Geschah er mit stillschweigender Duldung, dann muss in den Schaltzentren der Macht aufgeräumt werden. Eine umfassende Wiederherstellung des Rechtsstaats liegt im Interesse der politischen Gemeinschaft und der Zivilgesellschaft in Pakistan.

Im Interesse der internationalen Gemeinschaft liegt es, die pakistanische Bevölkerung dabei zu unterstützen, den Rechtsstaat wiederherzustellen - um zu vermeiden, dass Pakistan zum weltweiten Brennpunkt der Rechtlosigkeit, Kriminalität und des Terrorismus wird.

Aus dem Englischen von Beate Staib

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