Debatte Pakistan: Das Gespenst des Islamismus
Präsident Musharraf ist in Pakistan isoliert, nur die USA stärken ihm noch den Rücken. Damit schaden sie der Rückkehr zur Demokratie und der Zivilgesellschaft des Landes.
W er die Entwicklung in Pakistan in den vergangenen Wochen verfolgt hat, kann keinerlei Zweifel daran haben, was der politische Wille des pakistanischen Volkes ist: Es hat dem seit Jahren hochgradig unpopulären Militärherrscher Pervez Musharraf mit großer Mehrheit das Misstrauen ausgesprochen, ebenso den islamistischen Parteien. Wäre nicht in der einen oder anderen Region das Wahlergebnis zugunsten Musharrafs Partei PML- Q gefälscht worden, wäre das Ergebnis noch klarer ausgefallen, als die knappe Zweidrittel-Mehrheit der Opposition nahe legt.
Leider verläuft der Prozess der Regierungsbildung nicht ganz so, wie in Demokratien üblich. Zwar führen die Wahlsieger Regierungsverhandlungen: die PPP der ermordeten Oppositionsführerin Benazir Bhutto, die PML-N des ehemaligen Premierministers Nawaz Sharif sowie die Awami National Party ( ANP), eine Regionalpartei der linken Mitte aus North-West Frontier Province, die einen Erdrutschsieg gegen die in ihrer Region fünf Jahre lang dominanten Islamisten erzielte. Doch es gibt noch einen Spieler, der nie zur Wahl stand aber erheblichen Einfluss ausübt: die USA.
US-Präsident George W. Bush gratulierte nach der Wahl nicht etwa den Siegern. Sondern Präsident Musharraf, dass er so großzügig war, Wahlen abzuhalten. Wer in der Vorwahlzeit in Pakistan unterwegs war, traf dort hin und wieder amerikanische Wahlbeobachter, die bereits vor dem Urnengang wussten, dass dieser "frei und fair" sein würde - im Gegensatz zu dem, was die Beobachter der Europäischen Union später feststellen sollten. Doch während sich die EU auf die Rolle des Zaungastes beschränkt, meint Washington, sich nach wie vor in die Politik Pakistans einmischen zu müssen.
Dabei hält es dem Wahlergebnis zum Trotz an einem gescheiterten Präsidenten fest, in dessen Amtszeit der radikale Islamismus und der Terrorismus zu einem Hauptproblem Pakistans wurden. Ginge es nach den Pakistanern, würde die zukünftige Regierung mit ihrer Zweidrittel-Mehrheit lieber heute als morgen ein Amtsenthebungsverfahren gegen Musharraf einleiten. Doch hinter den Kulissen drängt Washington darauf, einen modus vivendi mit dem Mann zu finden, von dem es meint, er sei der einzige Garant dafür, dass Pakistans Atomwaffen nicht in falsche Hände fallen.
Dabei fehlt Musharraf jede Legitimität, und die Begründung für seine Unterstützung ist Unsinn. Sicher, man darf berechtigte Zweifel daran haben, dass mit Nawaz Sharif und dem in der Vergangenheit als "Mr. Ten Percent" bekannt gewordenem Bhutto-Witwer Asif Ali Zardari Pakistan zu einer korruptionsfreien Musterdemokratie wird. Doch das sagt nichts über das Schicksal der pakistanischen Atomwaffen aus. Das Land, das sein Atomprogramm bereits 1972 begann, ist vermutlich schon seit Anfang der 80er Jahre im Besitz der Bombe, auch wenn dies erst 1998 durch eine Testreihe offiziell wurde.
Von der Gefahr, dass Islamisten die Bombe in ihren Besitz bringen könnten, ist in all diesen Jahren nie die Rede gewesen. Unter den gewählten Regierungen von Nawaz Sharif und Benazir Bhutto waren die Islamisten nicht so stark wie heute. Damals halfen die USA tatkräftig mit, den pakistanischen Geheimdienst ISI in die Lage zu versetzen, die afghanischen Taliban als politische und militärische Kraft in der Region aufzubauen. In klassischer Zauberlehrlings-Manier richten sich diese Kräfte nun gegen ihren Erschaffer. Wenn also heute in Pakistan Teile des Geheimdiensts und der Armee von Islamisten infiltriert sind, dann ist dies auch ein Ergebnis einer US-Politik, die demokratischen Prozessen misstraut, und lieber auf militärische und geheimdienstliche Undercover-Aktionen setzt.
Leider war die Regierung von US-Präsident George W. Bush nach dem 11.September 2001 nicht in der Lage, die katastrophalen Attentate auch als eine Folge der eigenen, fehlgeschlagenen Afghanistan-Politik zu analysieren. Stattdessen setzte sie ihre verfehlte Strategie in der Region fort, indem sie Musharraf zu einem ihrer wichtigsten Verbündeten im "Krieg gegen den Terror" erklärte. Damit ermöglichte sie es dem Putschisten, der damals schon den Zenit seiner Popularität überschritten hatte, seine Macht auszubauen. Erfolgreich überzeugte Musharraf die Bush-Regierung, dass nur er den Islamismus würde unter Kontrolle halten können, während dieser in Wahrheit stärker und stärker wurde. Aller Rhetorik zum trotz, ließ er den Radikalen freie Hand, um Washington mit dem Gespenst des Islamismus Millionen aus der Tasche zu ziehen, die - wie wir heute wissen - zum großen Teil in dunklen Kanälen der Armee und des Geheimdienstes verschwunden sind.
Gleichzeitig konnte er Bush davon abhalten, andere politische Kräfte in Pakistan als Partner auch nur in Erwägung zu ziehen. Die Ablösung des Obersten Richters Iftikhar Chaudhry und die Verhängung des Notstandes Ende vergangenen Jahres hatten nichts mit einer drohenden Gefahr für den Staat zu tun, wie der Präsident behauptete. Sie dienten vielmehr dazu, unliebsame Gegenspieler loszuwerden. Dabei zerstörte Musharraf die letzte Institution im politischen System Pakistans, die noch dazu in der Lage war, unabhängig vom Militär zu funktionieren. Selbst frühere Freunde von Musharraf sagen, er habe den Bezug zur Realität verloren. Doch das hindern die USA nicht daran, ihm weiterhin zu vertrauen.
Dabei gibt es längst genügend Kräfte in Pakistan, die vernünftige Alternativen zu seiner Chaosherrschaft aufzeigen. Nicht, dass sie gegen Missmanagement und Korruption gefeit wären. Doch Demokratie ist ein in die Zukunft offener Prozess, der nur dann positiv verlaufen kann, wenn man demokratische Kräfte psychologisch und finanziell stärkt. Die Oppositions-Forderung - auch wenn sie von Nawaz Sharif kommt - die Justiz wieder einzusetzen, ist nicht nur legitim. Sie ist die einzige Möglichkeit und der erste Schritt, den zerstörten zivilen Institutionen wieder etwas Vertrauen zu verschaffen. Die Bewegung der Juristen, die dazu beigetragen hat, dass diese Wahlen relativ fair abgelaufen und zu einem Erfolg für die Opposition wurden, wird auch weiter auf der Straße Druck machen.
Der Rückzug der Armee aus der öffentlichen Verwaltung, der begonnen hat, ist ein weiterer Schritt. Viele andere müssen folgen. Zum Glück hat der neue Armeechef General Ashfaq Parvez Kayani erkannt, dass man die Macht des Militärs nicht weiter ausbauen kann, ohne seine Funktionsfähigkeit als Streitkraft zu beeinträchtigen. Auch deshalb hat Musharraf die Unterstützung eines Teils des Offizierscorps verloren.
Ohne Rückhalt im Volk und mit Teilen der Armee gegen sich, wird der Präsident keine produktive Rolle mehr spielen können. Musharraf ist ein Mann der Vergangenheit, der nur noch einen Freund hat: die USA. Sollten diese wider bessere Vernunft an ihm festhalten, droht Pakistan eine neue Legitimitätskrise. Die einzigen, die sich das wünschen können, sind die Islamisten.
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