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Debatte Obamas Wahl lässt hoffenDie Offenheit der Geschichte

Kommentar von Norman Birnbaum

In den USA sehen manche jetzt eine neue Ära demokratischer Vorherrschaft anbrechen. Obama will eine neue Politik. Doch wie weit er dabei gehen will - und kann - ist unklar.

N ach dem Einzug ins Weiße Haus wird Obama mit seiner Familie in einem Gebäude wohnen, das von Sklaven errichtet wurde. Die Freude, die US-Bürger aller Hautfarben nach seiner Wahl empfinden, ist begründet. Unsere Geschichte bleibt weiter offen, ihre Verbrechen, Grausamkeiten und Irrtümer können gelegentlich überwunden werden.

dpa

Norman Birnbaum, 1926 in New York geboren, war Professor für Soziologie an der Georgetown University in Washington, D. C., und Berater von Robert sowie Edward Kennedy. Er schreibt regelmäßig u. a. für "The Nation" und "El País".

Der designierte Präsident hat das Ziel, die Nation zu einen, zu einem der zentralen Themen seines Wahlkampfes gemacht. Neben dem Nachdruck, mit dem er auf der Verantwortung der Regierung für die Wirtschaft und der Notwendigkeit einer maßvolleren Außenpolitik beharrte, war es die Art und Weise, mit der er sich als Kandidat des Postrassismus präsentierte (ebenso wie seine Ruhe und Intelligenz), die eine Mehrheit der Wähler (53 Prozent) überzeugte, dass sie es riskieren könnten, ihm ihre Stimme zu geben.

Allerdings haben - besonders im Mittleren Westen und Süden sowie unter den älteren Wählern - die Weißen mehrheitlich gegen ihn gestimmt. Die meisten Stimmen holte er bei den Frauen, unter Wählern mit Hochschulabschluss, Afroamerikanern, Latinos, Gewerkschaftern und Jungwählern. Die Wahlbeteiligung lag um etwas mehr als 1 Prozent nur wenig höher als bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2004, bei den Afroamerikanern nahm sie um ganze 2 Prozent zu. Den Sieg brachten letztlich Obamas sorgfältig organisierte Kampagne und die Mobilisierung seines Wählerpotenzials, die er damit erreichte.

McCain kämpfte vergeblich mit der Hinterlassenschaft einer durch Fehler und Versagen bestimmten Präsidentschaft, und mit seiner Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten stieß er so manchen potenziellen Wähler vor den Kopf. Sein Alter, seine Unberechenbarkeit und sein Unvermögen, ein überzeugendes Programm zu entwickeln, sind diesen amerikanischen Helden teuer zu stehen gekommen. Angesichts der Zugewinne der Demokraten im Repräsentantenhaus und im Senat ist allerdings zu vermuten, dass jeder andere Republikaner die gleichen oder sogar noch größere Probleme gehabt hätte. Immerhin hat McCain 46 Prozent der Stimmen geholt.

Nun sind die Republikaner demoralisiert, und einige Demokraten sehen bereits den Beginn einer neuen Ära demokratischer Vorherrschaft - ähnlich wie in der Zeit von 1932 bis 1968 - anbrechen. Es ist jedoch eindeutig zu früh, die Geschichte der nächsten Jahrzehnte mit derart konkreten Attributen zu belegen. Dieser Moment der Offenheit, der Obamas Sieg überhaupt erst ermöglicht hat, kann genauso gut wieder verstreichen.

Im Wahlkampf wurden manche öffentlichen Debatten und parlamentarische Auseinandersetzungen, die uns erst noch bevorstehen, vorweggenommen. Die absurde Stigmatisierung Obamas als "sozialistisch", weil er für eine Politik der Finanzen und öffentlichen Ausgaben eintrat, ohne die keine zivilisierte Industrienation auskommt, war Ausdruck eines Marktfundamentalismus, der ebenso primitiv ist wie der biblische Literalismus der religiösen Traditionalisten. Die amerikanischen Banker und Industriellen greifen voller Zynismus zu diesem Begriff, wenn sie Regulierungen und Steuern abwehren wollen. Und nun verlangen sie - nach den Banken jetzt die zusammenbrechende Automobilindustrie - Milliarden von der Regierung.

Der neue Präsident und seine parlamentarische Mehrheit werden entscheiden müssen, welche neuen Gesetze die veränderten Beziehungen zwischen Staat und Markt regeln werden. Sie müssen auch entscheiden, wie solche Schritte konzipiert werden - ob sie nur vorübergehender Natur sein oder zu einer dauerhaften Veränderung des Gleichgewichts der Kräfte in den wirtschaftlichen Machtverhältnissen führen sollen. Als Obama im Wahlkampf davon sprach, "den Reichtum verteilen" zu wollen, setzte er damit aufs Neue eine alte Diskussion in Gang, die sich um das Selbstverständnis der amerikanischen Gesellschaft dreht. Es ist vollkommen unklar, wie weit er dabei gehen will - und ob die aufkommenden öffentlichen Forderungen nach finanzieller Unterstützung angesichts der Krise so kanalisiert werden können, dass sie in die Unterstützung eines neuen New Deal münden, von dem bisher noch nicht einmal ansatzweise klar ist, wie er aussehen soll.

Angesichts der veränderten internationalen Lage verbietet sich indessen jeder Vergleich mit Franklin Roosevelt im Jahr 1933. Die USA sind heute weitaus weniger souverän, was die Wirtschaft betrifft. Die Stimulierung der amerikanischen Wirtschaft mit einem internationalen Programm zum Wiederaufbau der defekten Kontrollmechanismen der globalen Wirtschaft zu verknüpfen, das ist eine gigantische Aufgabe - und dies umso mehr, als unter der amerikanischen Bevölkerung ein systematischer Mangel an Wissen über dieses Problem vorherrscht.

Noch weniger wissen die Amerikaner über die geopolitischen Voraussetzungen. Obama hat die Beendigung des Irakkrieges und gleichzeitig eine neue und größere Intervention in Afghanistan gefordert - als ob er nicht in der Lage wäre, Bushs grenzenlosen Krieg gegen den Terror zu beenden. Der US-Verteidigungshaushalt, der fast eine dreiviertel Billion Dollar pro Jahr umfasst, ist nicht tragbar, hier herrscht blinder, wenn nicht gar vollkommen außer Rand und Band geratener Keynesianismus. Schlimmer noch: Die imperiale Ideologie macht eine nüchterne Analyse der Grenzen nationaler Macht nahezu unmöglich. Das wissen Obama und seine außenpolitischen Berater. Doch wagen sie es auch zu sagen? Wenn nicht, könnte Obama genauso enden wie Johnson, Carter und der scheidende Präsident: Besiegt durch die Unmöglichkeit, Imperium und Sozialstaat, Nationalstolz sowie militärischen und politischen Realismus in Einklang zu bringen.

Die Widersprüche und Abgründe der Lage, die er von seinem Vorgänger erbt, werden Obama viel abverlangen. Pläne für große Reformen können aber nur von politischen und gesellschaftlichen Bewegungen kommen, die zurzeit noch zersplittert oder amorph sind. Steigende Arbeitslosigkeit und hohe Verluste bei ihren Ersparnissen schocken die US-Bürger. Doch sie haben keine Vorstellung von einer Alternative zum Kapitalismus amerikanischer Prägung. Sie betrachten den Irakkrieg als Fehler - aber sie können sich keine andere Rolle für die USA in der Welt vorstellen. Allein diese Schwierigkeiten aufzuzählen, macht deutlich, wie offen unsere Geschichte ist - aber auch, welche Hindernisse überwunden werden müssen.

Große US-Präsidenten waren stets vor allem überzeugende Lehrer. Es bleibt abzuwarten, welche Lehren der ehemalige Juraprofessor für die Nation bereithält. Für den Augenblick können wir hoffen, dass er nicht wie der mit großem rhetorischen Talent ausgestattete Technokrat Tony Blair handeln wird, sondern wie der kreative Anführer Willy Brandt. Es ist aber noch zu früh, darüber Gewissheit zu haben - nur Hoffnung.

Übersetzung: Beate Staib

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