Debatte Nobelpreis für Obama: Ehrung ohne Nutzen

Sein Afghanistan-Kurs macht Obama zum Kriegspräsidenten. Doch ist er das Beste, was den USA und der Welt passieren konnte. Zuhause kämpft er aber gegen eine reaktionäre Opposition.

Hat Barack Obama den Friedensnobelpreis, den er heute in Oslo verliehen bekommt, verdient? Die einfache und weit verbreitete Antwort lautet: Nein. Denn der US-Präsident führt Krieg in Afghanistan und hat erst letzte Woche dessen Eskalation durch die Entsendung weiterer 30.000 Soldaten angekündigt. Viele, die dem Präsidentschaftskandidaten aus den USA bei seinen Auftritten in Berlin und anderen Hauptstädten wie einen neuen Messias umjubelt haben, sind deshalb von ihm enttäuscht.

Dabei hat Obama schon in seinem Wahlkampf und bei all seinen Auftritten in Europa den Krieg in Afghanistan ausdrücklich gerechtfertigt und sogar zusätzliche Soldaten aus Deutschland und anderen Staaten angemahnt. Seine Kritik am Irakkrieg seines Amtsvorgängers Bush begründete er gerade damit, dass dieser die militärischen Ressourcen der USA am "falschen Ort - dem Irak - vergeudet habe, statt sie im "richtigen" Krieg in Afghanistan zu bündeln. Bei aller berechtigten Kritik an seinem fatalen, zum Scheitern verurteilten Kriegskurs, mit dem Obama seinem Land ein neues Desaster wie in Vietnam bescheren und seine Wiederwahl im Jahr 2012 verspielen dürfte, kann man dem US-Präsidenten also nicht vorwerfen, er habe, wie sein Vorgänger Bush in Sachen Irakkrieg, sein Volk und die Welt in die Irre geführt und belogen.

Obama handelt heute in Afghanistan genau so, wie er es im Wahlkampf angekündigt hat. Warum sich drei der fünf Mitglieder des Nobelpreiskomitees im Oktober dennoch für den Kriegspräsidenten Obama als diesjährigen Träger des Nobelpreises aussprachen, ist weiterhin unklar. Halten sie den Krieg in Afghanistan ebenfalls für "richtig" und "notwendig"? Hofften sie, der Preis könne Obama zu einer Beendigung des Krieges bewegen? Oder wollten sie den US-Präsidenten in seiner übrigen außenpolitischen Agenda ermutigen?

Für Letzteres gäbe es gute Gründe. Denn abgesehen von seiner fatalen Kriegspolitik in Afghanistan, die ein anderer US-Präsident möglicherweise noch entschiedener betrieben hätte, ist Präsident Obama auch weiterhin das Beste, was den USA und dem Rest der Welt passieren konnte. Das gilt im Vergleich zu den personellen Alternativen, die 2008 zur Wahl standen. Und das gilt mit Blick auf die gigantischen Herausforderungen, vor denen die USA und die Welt heute stehen.

Obama hat zwei Dinge intellektuell begriffen und akzeptiert: erstens, dass die USA nicht nur angesichts aufstrebender Rivalen wie China oder Indien als Weltmacht im relativen Abstieg begriffen sind. Und zweitens, dass die USA auf einer ganzen Reihe von Politikfeldern - von Energie über Umwelt und Nahostkonflikt bis zur Aufrüstung - in den letzten Jahrzehnten eine Politik betrieben haben, deren Fortsetzung nicht im wohlverstandenen Eigeninteresse der USA und des amerikanischen Volkes liegen kann. Für beide Erkenntnisse mehrten sich die Indizien bereits seit Ende des Kalten Krieges. Doch alle drei Vorgänger von Obama im Weißen Haus, von George Bush senior über Bill Clinton bis George Bush junior, konnten sich diesen Tatsachen verschließen. Im Taumel über den Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus, eines zeitweisen Booms der US-Wirtschaft in den Neunzigerjahren und mit Verweis auf die "neue globale Bedrohung" des Terrorismus nach dem 11. September 2001 wurden sie verdrängt.

Weltmacht im Abstieg

Obamas Gesundheitsreform sowie seine außen- und umweltpolitische Agenda markieren den Versuch, diese Erkenntnisse konkret in eine andere Politik umzusetzen. Dabei sieht sich der Präsident im US-Kongress einer republikanischen Opposition gegenüber, die einen katastrophalen Konfrontationskurs betreibt. Zu keinem einzigen Thema haben die Republikaner bislang sachliche Gegenvorschläge unterbreitet. Sie sind ausschließlich darauf aus, Obama in all seinen Vorhaben scheitern zu lassen. Ihr einziges Ziel ist, bei den Zwischenwahlen im nächsten Herbst die Mehrheit im Kongress und im Jahr 2012 das Weiße Haus zurückzuerobern. Unterstützt wird diese republikanische Opposition in weiten Teilen der USA von einer fanatisch-ideologischen und häufig offen rassistischen Angstpropaganda gegen den "Sozialisten" und "Muslim" Obama, der "die Sicherheitsinteressen der USA" verrate. Ob Merkel, Sarkozy oder Brown - keine RegierungschefIn eines anderen demokratischen Landes muss unter ähnlich schwierigen innenpolitischen Bedingungen Politik betreiben wie Obama.

Destruktive Opposition

Am deutlichsten und für den Rest der Welt folgenreichsten zeigt sich dieses Dilemma beim Thema Klimaschutz. Hier hat der Präsident all die völlig unhaltbaren Positionen seines Vorgängers Bush geräumt und sich bereits im Februar eindeutig zu der Verpflichtung bekannt, die CO2-Reduktionen der USA bis 2050 um mindestens 80 Prozent zu reduzieren. Doch das Klimagesetz, das Obama im Kongress eingebracht hat, wird dort nicht nur von den Republikanern blockiert und verwässert - sondern auch von demokratischen Abgeordneten, in deren Wahldistrikten die Öl-, Kohle- oder Automobilindustrie viel Einfluss besitzt.

Obama ist auch der erste US-Präsident in der Geschichte, der sich zum Ziel einer atomwaffenfreien Welt bekannt hat. Ein erster konkreter Schritt auf diesem Weg wäre das Nachfolgeabkommen zum Start-Vertrag mit Moskau. Ohne atomare Abrüstung in den USA und Russland ist es unmöglich, auch Paris oder Teheran und Pjöngjang zum Verzicht auf Atomwaffen zu bewegen. Doch auch dieses ambitionierte Projekt droht im Kongress zu scheitern. Sogar dass die Obama-Regierung im Nahostkonflikt zurückruderte und von ihrer Forderung nach einem Siedlungsstopp in den von Israel besetzten Gebieten abrückte, geht im Wesentlichen auf Senatoren und Abgeordnete zurück, die Obama mit der Drohung, seine Gesundheitsreform scheitern zu lassen, erpressten. Damit wurde die positive Wirkung seiner Kairoer Rede an die arabische Welt zunichtegemacht.

Kann der Friedensnobelpreis Obama unter diesen Umständen irgendwo von Nutzen sein? Wohl kaum.

ANDREAS ZUMACH

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Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.

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