Debatte Neue Mobilität: Brumm, brumm war gestern
Führen Autokrise, Carsharing und Ökoautos die Männlichkeit in eine neue Krise? Eine Erfolgsgeschichte über die Emanzipation am Steuer.
D er Präsident des Kraftfahrt-Bundesamtes ist kein Feminist, aber wenn Eckhard Zinke über die Daten seines Verkehrszentralregisters spricht, dann hat man den Eindruck, er halte einen Vortrag über die Rolle des Mannes in unserer Gesellschaft: Derzeit hat das Register die Angaben von rund neun Millionen Verkehrssündern gespeichert. Deutlich mehr als sieben Millionen davon sind Männer.
Besonders hartgesottene Typen werden sagen: Männer sitzen häufiger am Steuer und fahren länger als Frauen. Stimmt, doch die schlechtere Bilanz bleibt bestehen. Und jedes Jahr steigen die Punktestände der automobilen Machos, jedes Jahr setzen sich noch mehr Männer volltrunken ans Steuer, fahren noch mehr Männer bei Rot über die Ampel oder ignorieren Überholverbote. Der häufigste Verstoß unter Männern ist zu schnelles Fahren. Frauen hingegen verstoßen vor allem gegen die Vorfahrtsregeln.
Wie aber sind die Zahlen zu deuten? Erschließt sich aus dem Fahrverhalten auf der Autobahn der private und berufliche Alltag? Ist mit dem Mann am Steuer, der nicht nur die Geschicke der Familie lenkt, sondern auch seine Aggressionen über das Gaspedal auslebt, auch heute noch eine gängige Rollenverteilung und eine typische Männer-Identität beschrieben? Hat sich, was die Geschlechterverhältnisse angeht, doch viel weniger geändert als gemeinhin angenommen? Wären demnach Frauen weiterhin vor allem Beifahrerinnen? Im Wagen und auch im Rest des Lebens? Wie viel Wirklichkeit steckt in diesen Klischees?
Ende der Generation Golf
Tatsächlich ist die Emanzipation am Steuer eine Erfolgsgeschichte. Frauen sind als Renn- und Rallyefahrerinnen erfolgreich, sie lenken sowohl Busse als auch Brummis, und die männlichen Kollegen haben in aller Regel daran nichts mehr auszusetzen. Sprüche über Frauen, die angeblich nicht einparken können, klopft nur noch der Landproll, der vor Jahren gehänselt wurde, weil er einen Opel Manta fuhr. Spätestens durch die Krise hat das Auto, einst des Mannes liebstes Spielzeug, als Projektionsfläche ausgedient.
Was nicht heißt, dass sich Rüpel auch weiterhin rüpelhaft fortbewegen. Doch das Automobil verliert, was seine Eigenschaft als Identitätsstifter angeht, zunehmend an Bedeutung. Die Autowerbung zeigt dies deutlich: Längst wird der Kauf jedes Neuwagens nicht mehr als Status- und Geschlechtersymbol, sondern vor allem als ökologische Heldentat gepriesen, selbst wenn die Produktion alles andere als umweltfreundlich ist. Die Werbung wirkt. Wer sich noch ein Auto leisten kann, gibt auf schicken Partys inzwischen mit dem Erwerb eines supersauberen Ökomotors an. Nicht unwahrscheinlich, dass ausgerechnet jene westdeutschen Bürgerkinder, die im Golf ihre Gruppenidentität suchten, irgendwann sogar den Verzicht aufs eigene Fahrzeug zum Maßstab ihres Handelns erklären. Generation Golf? Auto war gestern. Von einer automobilen Schwanzverlängerung spricht niemand mehr. Und das ist auch gut so.
Mobil ohne Libido
Was den Wandel weiter vorantreibt, sind Angebote, die den Besitz eines Personenkraftwagens überflüssig machen. Im schwäbischen Ulm wird mit "car2go" derzeit das lukrativste Carsharing-Modell getestet: Ähnlich wie bei Leihfahrrädern der Bahn steigt man in einen Wagen ein, fährt zum Ziel, parkt und kümmert sich nicht weiter um das Auto. Die Preise liegen deutlich unter dem Taxi- und Mietwagentarif, und da die flexiblen Fahrzeuge von einem Serviceteam betankt, gewartet und gereinigt werden, sind libidinöse Bindungen eher nicht zu erwarten. Wobei die alten Liebesbezeugungen gegenüber dem Auto ohnehin selten geworden sind. Gibt es denn noch Männer, die am Samstagnachmittag den Wagen reinigen? Daheim vor dem Stellplatz ist das Ritual verboten, und die Waschstraßen vermelden Jahr für Jahr schlechtere Umsätze.
Derzeit gibt es, was die Meinungen zur Automobilität angeht, noch große Unterschiede zwischen Stadt und Land. In Gegenden wie Brandenburg oder in der hessischen Provinz gelten andere Maßstäbe als in Köln oder Berlin. Wer der Einöde zu entfliehen gewohnt ist, wem die Umwelt gleichgültig, das Klima im Wagen aber wichtig ist, wird zunächst nicht merken, dass sich unser Verständnis von Mobilität langsam wandelt. Wird aber dann erstaunt feststellen, dass der Wagen, den man sich mit freundlicher Unterstützung der staatlichen Abwrackprämie gekauft hat, doch nur ein Übergangsmodell ist. Wer sich hingegen für den Wandel interessiert, stellt fest, dass er erstaunlich rasant verläuft.
Techniker schwärmen längst vom Automobil der Zukunft, das in jeder Hinsicht auto ist: Die Energie produzieren diese rollenden Roboter selbst, und auch die Steuerung werden sie übernehmen. An jeder Ecke wird ein solcher Robo stehen und darauf warten, einen Passagier mitzunehmen; der Robo-Besitz wäre natürlich überflüssig. In diesen gar nicht so fernen Zeiten ist die Organisation des Verkehrs die Aufgabe von Riesenrechnern. Nein, Rennwagen gäbe es auf unseren Straßen ganz gewiss nicht mehr. Porsche müsste sich eine neue Marktlücke suchen. Vielleicht ahnen die Herren aus Stuttgart, was die Zukunft bringt, und greifen deshalb nach dem Wolfsburger Volkswagen? Vom Individualverkehr sprächen nur noch die Freunde des Oldtimers, die ihre Schmuckstücke zu gegebenen Anlässen ausführen dürften. Wahrheit oder Wunschmusik von Autofuturologen, die beweisen wollen, dass ihr Gehalt gerechtfertigt ist?
Traditionalisten werden gegen diesen Fortschritt kämpfen, vor einem automobilen Sozialismus warnen und weiter freie Fahrt für freie Bürger fordern. Es wird einfühlsame Therapeuten geben, die vor einer weiteren Krise der Männlichkeit warnen, wenn das Brumm-brumm-Gefühl nicht mehr auf den Straßen, sondern nur gegen Eintritt auf privaten Rennstrecken ausgelebt werden darf.
Mit dem Verschwinden des klassischen Automobils wird sich auch die Geschlechterhierarchie auf den Straßen verschieben. Die Flensburger Sündenkartei verlöre ihre Relevanz. Damit herrschte zwar noch nicht Gleichberechtigung in allen gesellschaftlichen Bereichen, aber ein zivilisierter Straßenverkehr würde mehr bewirken als so manche Gleichstellungsbeauftragte.
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