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Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Der Neoliberalismus ist gescheitert. Warum finden seine simplen Postulate noch immer Anklang? Weil das Unmoralische uns so reizvoll scheint.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

11 Kommentare

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  • W
    WaltaKa

    "Der Neoliberalismus ist gescheitert."

    Nein, leider im Gegenteil. Nachdem seine Wegbereiter (aus allen Parteien ausser der Linken, Herr Sinn und Co., die sogen. Initiative 'Neue' Soziale Marktwirtschaft, den Banken, die Befürworter und Verfechter aus den Medien, usw)zu Beginn der Krise abgetaucht sind, begann wenige Monate später wieder eine entsprechende Medienkampagne. Mittlerweile befindet sich der Neoliberalismus in Deutschland auf gutem Wege. Der Unterschied ist, das Wort "Neoliberalismus" ist verbrannt, seine Wegbereiter verfechten mit anderen Worten aber genau die Inhalte.

    Wir sollten uns vom verschweigen des Wortes nicht blenden lassen.

  • N
    Nordwind

    Warum finden die simplen Postulate des Neoliberalismus noch immer Anklang?

     

    Na, eben weil sie simpel sind.

     

    Der Axiomatische Kern:

     

    1. Definition des Homo oeconomicus.

    Diesen eindimensionalen Trottel findet man in keiner ernstzunehmenden Wissenschaft vom Menschen.

     

    2. Statische Gleichgewichte.

    Die hat in der Realität noch niemand beobachten können. Ist also nur ein Hilfskonstrukt.

     

    3. Gleichzeitigkeit und Vollständigkeit der Information.

    Gibt's nicht. So dusselig, dass man es nicht erklären muss.

     

    Aus falschen Annahmen kann man eben beliebig viele falsche Erkenntnise gewinnen.

     

    Diese Grundlagen zeigen nur was Ökonomen (speziell deutsche) intellektuell bewältigen können.

     

    Und für die Ausarbeiting dieses Mists gab es einige Pseudonobelpreise! Ganz wichtig um diesen Dreck verkaufen zu können.

     

    Es handelt sich beim Neoliberalismus nicht um Wissenschaft. Es ist eine Religion der immer noch viel Anklang findet weil sie eben falsche Aussagen oberflächlich plausibel erscheinen lässt.

  • O
    Oliver

    Wenn alle EU-Staaten wirklich ausschließlich miteinander konkurrieren würden, dann wären die beträchtlichen Lohnsteigerungen in Großbritannien, Schweden, Dänemark (und Luxemburg, Norwegen) sicherlich nicht möglich gewesen. Diese Lohnsteigerungen sind aber real und nachprüfbar.

    Worum es geht: Die Frage, wie sich Staaten ihre Wirtschaft strukturieren, welche Methoden und welche Ansätze sie verfolgen, zum Beispiel Orientierung auf Nachfrageorientierung, gibt es eben mehr den Ausschlag, als die Frage, wieviel verdient ein KfZ-Mechaniker in Aarhus, Oslo, Manchester, Berlin oder Malmö - der Autobesitzer in Stuttgart hat im Prinzip keine Chance, realistisch diese Preisgefälle für sich zu nutzen.

    Nun fahren einige Berliner zu Lidl in Polen, aber wer das wirklich bis auf den letzten Cent durchkalkuliert, der wird sehen, dass es nicht wirklich lohnt oder erst ab einem Einkauf von X Euros.

    Genausowenig konkurrieren ein Pizza-Bringdienst, eine Wäscherei, eine Espresso-Bar oder ein Klempner in den besagten Städten. Vielleicht konkurrieren die Männer am Band bei Ford, VW, Skoda, Fiat und Volvo - aber selbst hier hängt doch sehr viel von Marke, Marktpräferenzen und Image ab, dass es am Ende weitaus weniger eine direkte Konkurrenz ist, als wenn man Uran aus einem Land Y und einem Y vergleicht.

    Der Neoliberalismus behauptet dieses Konkurrenzverhältnis, um - meist beflügelt von Aufdeckungen von Sozialmissbrauch - Einschnitte bei Löhnen und sozialen Sicherungssystemen durchzusetzen. Sieh mal der Arbeiter in Manchester, Antwerpen, Oslo, Tokyo, Detroit - egal wo, Du bist zu teuer, Deine soziale Absicherung kann keiner bezahlen und die Gesellschaft ist doch eh bankrott! Oh Gott, die Kosten explodieren.

    Das ist der Rapp des Neoliberalismus und auf den fallen die Menschen in großer Scharr rein, weil es sich mit Alltagserfahrungen deckt: Wer viel ausgibt, hat wenig am Ende in der Tasche. Nur ist die Tasche der Gesellschaft, des Arbeiters, des Staats, der Kommune und des Landkreises nicht identisch mit einem Individuum. Und deswegen hinkt auch diese Argumentation an allen Stellen.

    Als der SPD-Finanzminister mit der CDU ein Auffangpaket für die Banken schnürrte, da war dann auch nicht die Rede vom Bankrott, von Leistungsgerechtigkeit oder von der Höhe der Zuwendungen. Im Gegenteil ein Manager bei der Commerzbank durfte nach diesem Regelwerk legal 500.000 EURO vom Staat einstreichen - als Jahresgehalt und ohne Auflagen. Selbst ein solches Gehalt war in keinster Weise anstößig für die Politiker und die Menschen, die die Seiten von Wirtschaftszeitschriften füllen.

    Warum?

    Weil die Commerzbank die Dresdner Bank gekauft hat und damit ein neue, überlebensfähige Bank in deutscher Hand aus der bisherigen Krise entstanden ist. Dass ein wirklich kapitalistisches System nationale Grenzen eher nicht kennt und dass diese Bank dann auch an Alwalleed oder Warren Buffet hätte gehen können, das war als Argument plötzlich vollkommen ausreichend.

    Und die Gebühren für Colleges in der Schweiz, den USA oder England, Ferienhäuser und Luxusautomobil findet dann der Staat erhaltenswert, auch wenn er im Prinzip die ALDI-Tüten eines Langzeitarbeitslosen gerne durchsuchen will. Aber hier geht dann ja um eine andere Art von Show und Aktion - das sind eben Birnen und Äppfel.

    Sind es aber nicht für den Bürger und Steuerzahler, denn der kommt für die ALDI-Tüten des Arbeitslosen genauso auf wie für die College-Gebühren des Super-Pleite-Managers bei der Hyp oder Commerzbank - nur für seine Steuern und Abgaben erhält er eben bei dem Manager das schlechtere Geschäft.

    Ich denke, dass dieser Autor eine gute Debatte angestoßen hat. Wenn mehr Menschen anfangen, darüber nachzudenken, warum die neoliberale Doktrin noch nie gehalten hat, was sie versproche hat, dann wären wir ein Stück weiter. Der Mut zu neuen Ideen ist doch dringender den jeh gefragt. Wer sich die Rot-Grünen und dann Jahre der großen Koalition ansieht, der entdeckt doch eine große Ratlosigkeit bei den Politikern und den Wahlergebnissen.

    Was nützt es uns, wenn die Linke 2040 an die Macht kommt?

    Vielleicht viel in diesem Jahr, aber jetzt nützt das niemanden etwas, darum müssten die anderen Parteien ihre wirtschaftspolitischen Konzepte hinterfragen. Bei der SPD passiert dies ja nur noch über bitteres Leiden und dicke Trähnen, denn diese Partei gewinnt nur noch ganz selten eine Wahl, wenn dann meist in Klein-Mini-Dorf den Gemeinderat für 200 Personen. Bei den anderen Parteien hat sich eine gewisse Borniertheit breitgemacht, die zu nichts führt.

    Keine dieser Parteien löst ein sozial-ökonomisches Problem unserer Zeit. Weder wächst die Wirtschaft dynamisch, noch sinkt die Arbeitslosigkeit.

  • C
    claudia

    @Martin:

    >>Es gibt durch die Rationalisierung in der Wirtschaft einfach nicht genug Arbeit* für jeden.>(* im jetzigen Sinne mit 40Std./Woche als existenzsichernde Beschäftigung)

  • M
    Martin

    Mindestlöhne sind keine Lösung.

    Es gibt durch die Rationalisierung in der Wirtschaft einfach nicht genug Arbeit* für jeden.

    Man muss sich hier also was anderes einfallen lassen.

    Ein bedinungsloses Grundeinkommen würde dieses Dilemma lösen.

     

    (* im jetzigen Sinne mit 40Std./Woche als existenzsichernde Beschäftigung)

  • HH
    Hans Hirschel

    Was der Autor mit seinen Ausführungen sagen wollte, wird mir nicht recht klar. Staaten, die schließlich Steuern brauchen wie Menschen Atemluft konkurrieren im Übrigen sehr wohl miteinander, was sofort klar würde, wenn einmal wieder das Wort "Ökosteuer" und Überlegungen, wie sie angesichts von Klimakrise und wenig nachhaltigem "ökologischen Fußabdruck" weiter entwickeln könnte, ins Spiel der ökonomischen Kräfte gebracht würde.

     

    Vielleicht wirkt sein "Neoliberalismus ist doof" deshalb so abgeschmackt, weil auch der Herr Misik davon schweigt. Ich finde, dass er diesbezüglich ruhig etwas mehr (Öko-) Sozialismus wagen ;-) könnte.

     

    Gruß Hans Hirschel

  • V
    VWL-Modellbau

    Was die Theorien und Modelle der VWL-Professoren in der Praxis bedeuten, ist nicht so schwer zu verstehen. Sie sollen die herrschenden Verhältnisse rechtfertigen und das Publikum für dumm verkaufen.

     

    Dafür wird so ein Professor vielleicht sogar in den Sachverständigenrat berufen, wo er dann Lohnsenkung und Sozialabbau fordern kann und Subventionen und Steuergeschenke für das Kapital.

     

    Dass die Linke "die Klaviatur der modernen Medienmaschinerie" nicht beherrsche, kann man so nicht sagen. Es fehlt der Linken halt das Geld, mit dem die Superreichen die Massenmedien längst gekauft haben. Deren Leute sitzen überall, sogar in der SPD und den Gewerkschaften, wie man seit der Agenda2010 weiß.

     

    Trotzdem wird die herrschende Klasse mit dem Neoliberalismus fallen. Die Menschen erleben ja alle, was ihnen in diesem System blüht, und mit dem Internet kann sich endlich Widerstand regen. Man sehe sich nur die Kommentarspalten der Systempresse an. Die haben bald fertig.

  • C
    claudia

    >>Da hängt die ganze Welt dem neoliberalen Glauben an, dass die Wirtschaft in der Wirtschaft gemacht wird und die Politik die Märkte am besten ungestört arbeiten lässt.>...noch weltfremdere Annahmen beiseite gestellt - etwa die von den "effizienten Finanzmärkten">Es braucht auch hier eine gewisse Abstraktionsleistung, um zu erkennen, dass höhere Mindestlöhne sich in eine stabilere Binnennachfrage übersetzen.>>

    Das wohl schon, wenn man von „Mindestlohnhöhen” spricht.

    Aber zu verstehen, daß der Produktmenge immer eine adäquate Kaufkraft gegenüber stehen muß.wenn ein Markt funktionieren soll, das braucht kaum Abstraktionsvermögen, sondern nur ein Mindestmaß an Logik.

     

    >>Weit verbreitet ist auch der Irrglaube, dass Volkswirtschaften gegeneinander konkurrieren, so wie Unternehmen das tun.>...oder Gewerkschafter, die Mindestlöhne fordern...>Der Minister kann zwei Universitätsstudien absolviert haben und auch sonst ein blitzgescheiter Kerl sein.

  • KK
    Karl Kraus

    @Any Body

    Definiere im Reich der Ökonomie bitte den Begriff "wissenschaftlich". Was so mathematisch daher kommt, ist in der Regel eine Art Spiel, ein wenig unterfüttert mit der einen oder anderen empirischen Untersuchung, aber mit wenig Möglichkeit, wirklich wissenschaftlich vorzugehen. Innerhalb der ökonomischen Theorie an den Universitäten kann man ganz viel ganz wissenschaftlich behandeln. Aber es ist ein Unterschied, ob man daraus dann mächtige Handlungsmuster ableitet und in die Wirklichkeit transferiert. Das ist so, als hätte man zur Erhaltung der seelischen Gesundheit einer Gruppe Menschen einen Stab Psychologen, die zwar tolle Forscher und Untersucher sind, aber dann mit ihren MODELLEN hingehen und den gesamten Laden schmeißen wollen. Das Problem der Ökonomie ist immer die Diskrepanz zwischen Annahmen und der Wirklichkeit. Was fehlt, ist nicht der Versuch, gut zu arbeiten und zu forschen, sondern ein Funke Bescheidenheit und Zurückhaltung im Umsetzen der Ideen.

  • H
    Hanna

    Hinzufügen: Es gibt auch Hunderte PR- und Politik-Handwerker, die nichts anderes tun, als sozialstaatliche- und ausgleichende Elemente einer Gesellschaft als schädlich, unproduktiv, missbräuchlich, irreführend, negativ und im moralischen Sinne verwerflich darzustellen.

    Diese Ideologie-Maschine wird mit simplen Geld gemschiert und sie trägt eine soziale Gruppe der Superreichen und Mächtigen.

     

    Diese Gruppen machen allerdings ihre Arbeit auch besser als ihre Gegenspieler - und das war mal anders.

    Die Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und politischen Gruppen der Linken und des sozialen Ausgleichs beherrschen die Klaviatur der modernen Medienmaschinerie nicht. Das Internet haben sie noch nicht verstanden und entsprechend einfach ist es, Tausende Seiten und Broschüren und Pamphlete mit neoliberalen Botschaften voll zu mahlen.

    Eine Gegenmacht sieht anders aus.

     

    Alleine die Kampagne "Du bist Deutschland" der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) wird in die Geschichte der PR und Lobby-Arbeit eingehen: Diese eigentlich auf den Arbeitgeberverband Gesamtmetall zurück gehende Aktion hat in mehreren Wochen die Menschen bestrahlt - gänzlich ohne Widerstand. Insofern flirtet die Masse wohl nicht mit der verdreht, unmoralischen Variante einer idiotischen und nicht funktionierenden Wirtschaftsidee namens Neoliberalismus, sondern sie wird ideoligisch nicht anderwertig erreicht.

    Da selbst der DGB noch Millionen einnimmt, kann es am Geld alleine nicht liegen, obwohl die andere Seite doch langsam darin schwimmen kann, aber es ist wohl auch der Mangel an Einsicht, die richtigen Leute mit der richtigen Ausstattung an die richtige Stelle zu plazieren.

  • AB
    Any Body

    Ich mag die TAZ für ihre andere Sichtweise auf die Geschehnisse. Aber gerade in einem Artikel über böse neoliberale Wirtschaftstheorie, in dem man die "ökonomische Alphabetisierung" fordert, sollte man diese auch selbst erfahren haben ...

     

    Der Autor verfügt offenbar über eher begrenzte Kenntnisse, wie _wissenschaftliche_ Theorien entstehen, was Theorien und Modelle überhaupt sind und was diese für den Praxiseinsatz bedeuten.