Debatte Nahost-Konferenz: Geld allein ist nicht genug
Bei der Nahostkonferenz in Berlin wurde das Wort "Besatzung" peinlichst vermieden. Mal wieder wurde so getan, als sei der Terror das einzige Hindernis für einen Frieden.
A m frühen Dienstagmorgen, kurz bevor in Berlin die "Sicherheitskonferenz Palästina" eröffnet wurde, meldeten die Nachrichtenagenturen den Tod zweier Palästinenser, die in einem Studentenheim der Universität Nablus bei einer Kommandoaktion des israelischen Militärs erschossen wurden. Es waren angeblich "Militante" der Hamas und des Islamischen Dschihad, die einen Anschlag geplant haben sollen.
Christian Sterzing war von 1994 bis 2002 außenpolitischer Koordinator der Grünen-Bundestagsfraktion. Heute leitet er das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung für den arabischen Nahen Osten in Ramallah in den palästinensischen Gebieten.
Der Vorfall machte das ganze Dilemma dieser Sicherheitskonferenz deutlich: Wer wollte bestreiten, dass die palästinensische Polizei der Unterstützung und Reform, Ausbildung und Ausrüstung bedarf? Doch kann man dabei die israelische Besatzung völlig ausblenden? Die palästinensischen Polizisten lagen während des Vorfalls noch in ihren Betten: Auf Anordnung der israelischen Besatzungsmacht dürfen sie sich zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens nicht um die Sicherheit ihrer BürgerInnen kümmern. Während dieses Zeitraums übernimmt in palästinensischen Städten das israelische Militär das Kommando und führt Razzien, Verhaftungen und gezielte Tötungen durch, ohne dabei durch palästinensische Polizei gestört zu werden. So ist die palästinensische Polizei wohl die einzige in der Welt, die zum Schutz ihrer Feinde ausgebildet wird.
Gewiss, in den letzten Jahren waren die zivilen Sicherheitsstrukturen in den palästinensischen Gebieten in Auflösung begriffen. Die Rivalität zwischen der Fatah- und der Hamas-Bewegung sowie der "bewaffnete Widerstand" im Rahmen der zweiten Intifada hatten dazu geführt, dass die Grenzen zwischen politischen Milizen, Widerstandskämpfern, kriminellen Banden und bewaffneten Clangruppen immer mehr verschwammen. Die Sicherheitskräfte waren entweder hilflos oder als Partei an den Auseinandersetzungen beteiligt. Einen großen Teil der polizeilichen Infrastruktur hatte Israel im Rahmen der "Terrorbekämpfung" zerstört und damit den Handlungsspielraum der palästinensischen Sicherheitskräfte erheblich eingeschränkt, was zu quasianarchischen Verhältnissen führte. Auf der Wunschliste der PalästinenserInnen stehen Sicherheit und Ordnung seither ganz oben, während Israel auf der "Zerschlagung der terroristischen Infrastruktur" durch die Autonomiebehörde besteht.
Vieles hat sich in den letzten Monaten, seit die Regierung Salam Fayyad im Westjordanland ihr Amt antrat, gebessert: In Ramallah wird vor roten Ampeln wieder gehalten, bewaffnete Banden sind aus dem Straßenbild palästinensischer Städte verschwunden, Korruption und Vetternwirtschaft in den Sicherheitskräften werden bekämpft. Dass Hunderte von Hamas-Anhängern nicht mehr nur in israelischen, sondern auch in palästinensischen Gefängnissen verschwinden, nennen Zyniker einen Kollateralschaden dieser Konsolidierung. Im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen gibt es eine ähnliche Entwicklung - unter umgekehrten Vorzeichen: Dort sind es die Fatah-Mitglieder, die verfolgt und in Gefängnisse gesteckt werden.
Ausbildung und Ausrüstung für die palästinensische Polizei sind nötig. Doch die Berliner Konferenz litt von Anfang an unter zwei Defiziten: Zum einen wurde der Eindruck erweckt, es handele sich in Palästina um normale Verhältnisse in einem Entwicklungsland. Peinlich wurde das Unwort "Besatzung" vermieden. Dabei entscheidet Israel in den palästinensischen Gebieten über fast jedes Detail - zum Beispiel, ob die palästinensische Polizei Straftäter über Stadtgrenzen hinaus verfolgen, ob sie gepanzerte Fahrzeuge fahren oder schusssichere Westen tragen darf (das würde deren Träger ja auch gegen das israelische Militär schützen!).
Mit der Konferenz wurde zum anderen der Eindruck erweckt, als seien Sicherheit und Bekämpfung des Terrors das einzige Problem für den Friedensprozess in Nahost. Tatsächlich haben sich die PalästinenserInnen gemäß der Roadmap, die in Annapolis im November 2007 noch einmal bekräftigt wurde, verpflichtet, für Sicherheit zu sorgen und die "terroristische Infrastruktur" zu zerschlagen. Alle Welt bescheinigt der Autonomieregierung ernsthaftes Bemühen und erste Erfolge. Doch auch Israel hat Verpflichtungen übernommen. Warum veranstaltet man eigentlich keine Konferenz zur israelischen Siedlungspolitik? Warum wird nicht einmal gefragt, wie das israelische Militär die PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten im Licht von Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Völkerrecht behandelt? Stattdessen bestellte man in Berlin nur wieder einmal die palästinensische Regierung zum Rapport.
Schon in der Roadmap wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beide Seiten ihren Verpflichtungen "parallel" nachkommen sollen. Doch weder Israel noch das Nahostquartett scheinen das allzu ernst zu nehmen, im Gegenteil: Seit der Annapolis-Konferenz hat Israel den Ausbau seiner Siedlungen im Westjordanland und in Jerusalem beschleunigt und, laut UN-Angaben, die Straßensperren und Checkpoints noch ausgebaut - entgegen allen Versprechungen. Täglich rückt ein Ende des Konflikts durch eine Zwei-Staaten-Lösung noch weiter in die Ferne. Inflationär sind inzwischen die Bekenntnisse zur Notwendigkeit eines lebensfähigen palästinensischen Staates, die von israelischer, amerikanischer und europäischer Seite ausgesprochen werden. Doch die Tatsachen, die vor Ort geschaffen werden, sprechen eine andere Sprache. Die internationale Ignoranz gegenüber dieser Entwicklung ist gefährlich.
In Berlin wurde derweil Geld gesammelt, um die Sicherheitsbemühungen der palästinensischen Autonomieverwaltung zu unterstützen. Damit setzt die deutsche Regierung ihre Bemühungen fort, die "palästinensischen Strukturen zu stärken", um die "Rahmenbedingungen für weitere Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien" zu verbessern. Ein EU-Aktionsplan aus dem Jahr 2007 und das Programm "Zukunft für Palästina" des Auswärtigen Amtes ergänzen diese Maßnahmen. Kein Land der Welt erhält pro Kopf so viel finanzielle Unterstützung aus Deutschland wie Palästina. Kann man aber den angeblichen Friedensprozess fördern, indem man die israelische Politik und deren Folgen für die besetzten Autonomiegebiete und eine zukünftige Friedensregelung ignoriert? Kann es Sicherheit für PalästinenserInnen nur tagsüber geben, während nachts israelisches Militär Unsicherheit verbreitet? Und wie will man die palästinensische Wirtschaft beleben, wenn überall Straßensperren den Handel behindern?
Alle Bemühungen, wie jetzt in Berlin, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Deutschland und die EU aus dem "Kerngeschäft" des Friedensprozesses verabschiedet haben. Die Konferenz in Berlin zeugte nur von politischer Hilflosigkeit deutscher und europäischer Nahostpolitik wie auch vom Unwillen, sich den Wurzeln des Konflikts zuzuwenden. Man verteilt Pflaster für die Wunden der Besatzung, statt sich um eine Therapie zu kümmern.
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