Debatte NGOs in Deutschland: Demonstrieren und Klinkenputzen
Die NGOs in Deutschland befinden sich in einer tiefen politischen Krise? Diese Sichtweise missachtet die Erfolge, die sie errungen haben. Eine Gegenrede.
I m Saarland muss ein Energieriese auf den Bau eines neuen Kohlekraftwerkes verzichten - auf Druck der örtlichen Bevölkerung, unterstützt durch NGOs. Große Energieversorger geraten mit ihrem klimaschädlichen Verhalten in die Defensive. Und die Autoindustrie, die Ökologie gegen Arbeitsplätze ausspielen will, verliert an gesellschaftlichem Rückhalt. Dies alles sind Erfolge von Nichtregierungsorganisationen, die sich seit Jahren auf verschiedenen Ebenen für eine ökologische und soziale Gesellschaft einsetzen.
Von einer "tiefgreifenden politischen Krise", wie sie NGOs an dieser Stelle von einigen NGO-Vertretern kürzlich attestiert wurde, kann also keine Rede sein. Natürlich beinhaltet der Aktionsradius von NGOs auch die Lobbyarbeit in behaglich eingerichteten Kaminzimmern. Er darf sich darauf aber nicht beschränken. Die jüngste Initiative zahlreicher NGOs, Kirchen und Gewerkschaften ist eine gemeinsame Demonstration in Berlin und an der Braunkohlekraftwerks-Baustelle Neurath am kommenden Samstag.
Der politische Druck von der Straße ist nach wie vor essenziell. Denn obwohl Kanzlerin Angela Merkel den Klimaschutz in den vergangenen Monaten ganz oben auf ihre Agenda gesetzt hat, sind wir noch lange nicht da, wo wir hinmüssen. Bis 2015 müssen die klimaschädlichen Treibhausgase weltweit ihren Zenit erreicht haben, wollen wir die schlimmsten Folgen des Klimawandels verhindern. Danach müssen sie sinken. Das heißt: Weg von den fossilen hin zu erneuerbaren Energieträgern mit einer signifikant höheren Energieeffizienz. Wir müssen unsere Land- und Forstwirtschaft neu gestalten, die Entwaldung muss gestoppt werden. Die Dimension dieser Herausforderung scheint trotz aller Rhetorik bei den politischen Entscheidungsträgern nicht präsent zu sein. Sonst wäre es kaum möglich, dass die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag nicht bereit ist, die Senkung der Treibhausgase in Deutschland bis 2050 um 80 Prozent festzuschreiben.
Klimawissenschaftler und Ökonomen betonen unisono, dass dies notwendig sei. Die Kosten von Nichthandeln würden die Kosten dieses Handelns bei weitem übersteigen. Falls unterstellt wird, dass sich die CDU/CSU bewusst der Schadensbegrenzung verweigert, ist die Botschaft dieser Politik: Wir wollen die Zukunft nicht zum Wohle der Mehrheit gestalten, sondern lassen sie sehenden Auges von wenigen zugunsten deren ökonomischer Interessen vernichten. Ebenso unverständlich ist, dass Bundeskanzlerin Merkel sich persönlich für das gigantische Kohlekraftwerk Lubmin an der Ostsee einsetzt. Zumal es sich um einen Kraftwerkstyp handelt, der im dänischen Heimatland des Investors Dong längst aussortiert ist. Kurzum: Es gibt noch immer diese bemerkenswerte Lücke zwischen Ankündigungen auf internationalen Konferenzen und dem konkreten Handeln zu Hause. Damit diese Lücke geschlossen wird, brauchen wir auch öffentlichen Protest gegen eine Politik forscher Ankündigungen und zögerlicher Umsetzungen.
Und der entsteht nicht aus dem Nichts. Dabei muss klar werden, dass viele Menschen in Deutschland die Forderungen der NGOs unterstützen und von der Bundesregierung ein glaubwürdiges Klimaschutzkonzept erwarten, mit dem kurz- und mittelfristig anspruchsvolle Emissionsreduktionen erreicht werden - das aber gleichzeitig den Bogen bis ins Jahr 2050 spannt. Nur dann wird deutlich, dass die neue Kohlekraftwerksgeneration mit Effizienzgewinnen von bis zu 30 Prozent wenig hilft, wenn im Jahr 2050 mindestens 80 Prozent der klimaschädlichen Treibhausgase reduziert sein müssen. Dies zu zeigen, darum geht es am 8. Dezember. Deshalb ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen in Berlin und Neurath für eine konsequente Klimapolitik demonstrieren, die eben nicht gleich vor den ökonomischen Interessen bestimmter Lobbygruppen einknickt. Am morgigen Samstag muss deutlich werden, dass eine breite gesellschaftliche Bewegung sich für eine andere Politik einsetzt.
Doch das alleine wird auch nicht reichen. Gestern hat das Kabinett das deutsche Klimaschutzpaket verabschiedet, auf Bali in Indonesien findet derzeit der Weltklimagipfel statt. Hier wie dort gilt es, den Regierenden auf die Finger zu schauen. Dazu ist es notwendig, den öffentlich artikulierten politischen Willen von Berlin und Neurath mit hoher fachlicher Expertise im diplomatischen Betrieb und der juristischen Fachsprache einer Weltklimakonferenz zu unterstützen. Es gilt, Druck zu machen und für den nationalen und internationalen Politikbetrieb kompatible Vorschläge für ein strenges globales Klimaschutzregime nach vorne zu bringen. Es gilt, die Politik hinter den Sonntagsreden zu bewerten, das Kleingedruckte kritisch zu analysieren und mit konkreten Gegenentwürfen auf politisches Zögern und Taktieren zu antworten.
Idealerweise funktioniert politische Veränderung so. Oder so ähnlich. Es kommt, und das ist die Erfahrung der im Forum Umwelt und Entwicklung kooperierenden NGOs von nunmehr fast zwei Jahrzehnten politischer Arbeit, bei den großen gesellschaftlichen Fragen auf das richtige Zusammenspiel von politischem Druck durch öffentlichen Protest und fachlich fundierter Expertise an. Dass dieses Zusammenspiel mal mehr, mal weniger gelingt, ist keine Frage. Dass dies so ist, hat viel mit Demokratie zu tun: Weder der massenhafte Protest noch beharrliches Klinkenputzen lassen sich "von oben" lenken und verordnen - zumal es hier weder ein "Oben" noch ein "Unten" gibt.
Im Dezember sind alle politischen Akteure, die sich einem konsequenten Klimaschutz verpflichtet fühlen, dazu aufgerufen, eine Glanzleistung hinzulegen. Was wir benötigen, ist öffentlicher Druck und Protest hier, der im fernen Bali an die politisch Verantwortlichen weitergetragen werden kann. Deshalb ist es wichtig, dass sich am 8. Dezember möglichst viele am Aktionstag der Klimaallianz beteiligen, in Berlin und in Neurath - damit die Lücke zwischen Ankündigung und politischem Handeln möglichst schnell geschlossen werden kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend