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Debatte Muslime in DeutschlandKeine fünfte Kolonne des Dschihads

Kommentar von Eberhard Seidel

Die über drei Millionen Muslime in Deutschland sind keine religiösen Extremisten, sondern der Mehrheitsgesellschaft ähnlicher, als dieser lieb sein mag.

2 008 könnte ein gutes Jahr für die Islamdebatte in Deutschland werden. Denn die Studie "Muslime in Deutschland. Integration, Integrationsbarrieren, Religion und Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstaat und politisch-religiös motivierter Gewalt" des Innenministeriums liefert, was lange in einer emotional geführten Auseinandersetzung fehlte: Zahlen, Daten, Fakten.

Rund 5.000 Muslime, einheimische Nichtmuslime und Nichtmuslime mit Migrationshintergrund wurden befragt - in Gruppendiskussionen und Einzelinterviews. Die repräsentative Erhebung des Instituts für Kriminalwissenschaften der Universität Hamburg ist ein wichtiger Schritt hin zur sozialwissenschaftlichen Gleichstellung der muslimischen Minderheit.

Zur Erinnerung: 1980 hat Bundeskanzler Helmut Schmidt die erste Sinus-Studie zum Rechtsextremismus in Auftrag gegeben. Seitdem liefern Dutzende weiterer Untersuchungen Erkenntnisse, wie es um die Demokratiefähigkeit, Fremdenfeindlichkeit, Gewaltbereitschaft und den Antisemitismus der Deutschen bestellt ist. Die Ergebnisse sind Grundlage für die politische, pädagogische und repressive Auseinandersetzung mit den Problemen.

Für die muslimische Teilbevölkerung galt ein anderes Maß. Bar jeder abgesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse wurde über die Unvereinbarkeit des Islam mit der Demokratie schwadroniert, über die Gewaltbereitschaft der Muslime.

Die Studie "Muslime in Deutschland" könnte die Auseinandersetzung vom Kopf auf die Füße zu stellen. Denn die Ergebnisse stellen klar: Die mehr als drei Millionen Muslime in Deutschland sind keine fünfte Kolonne eines weltweit agierenden Dschihadismus. Sie haben mehr Ähnlichkeiten mit der Mehrheitsgesellschaft, als dieser möglicherweise lieb sein mag.

Der größte Unterschied zwischen muslimischer Minderheit und Mehrheitsgesellschaft besteht in der Bedeutung der Religion. Bei rund vierzig Prozent der Muslime in Deutschland wurde eine starke Ausrichtung an religiösen Regeln und Ritualen, fundamentale Orientierungen und die Tendenz, den Islam gegenüber anderen Religionen aufzuwerten, festgestellt. Ein Grund zur Aufregung? Ausdrücklich betonen die Autoren der Studie, Karin Brettfeld und Peter Wetzels: "Dies ist aber bei weitem nicht gleichzusetzen mit dem Umfang des Potenzials demokratiedistanter, intoleranter oder gar islamismusaffiner Haltungen unter Muslimen."

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass etwa acht bis zwölf Prozent der mehr als drei Millionen Muslime in Deutschland eine "deutliche demokratiedistante Einstellung" aufweisen. Und das Potential der Muslime, die für eine "islamisch konnotierte Radikalisierung" erreichbar sind, wird auf zehn bis zwölf Prozent geschätzt, also auf rund 350.000 Personen. Und knapp sechs Prozent der Muslime akzeptieren "massive Formen politisch-religiös motivierter Gewalt". Das ist beunruhigend. Denn sechs Prozent von drei Millionen sind immerhin rund 180.000 Menschen.

Schockieren können diese Zahlen allerdings nur jene, die all die Studien zur Demokratiefeindlichkeit und zur Gewaltbereitschaft der Mehrheitsgesellschaft bislang nicht zur Kenntnis genommen haben. Zwischen neun und dreizehn Prozent der Deutschen, also mehr als sieben Millionen Personen, verfügen über ein geschlossenes, rechtsextremes Weltbild. Sie lehnen die Demokratie ab, befürworten Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele und pflegen einen veritablen Antisemitismus.

Tatsächlich kommt die Studie "Muslime in Deutschland" zu dem Ergebnis: "Ein signifikant höheres Maß an Autoritarismus/ Demokratiedistanz junger Muslime im Vergleich zu einheimischen Nichtmuslimen ist nicht nachzuweisen. () es handelt sich hier also nicht um ein für junge Muslime spezifisches Phänomen." Interessantes bietet die Studie auch beim Vergleich der Formen religiöser Intoleranz bei muslimischen und nichtmuslimischen Jugendlichen in Deutschland. Der Aussage "Menschen jüdischen Glaubens sind überheblich und geldgierig" stimmen wesentlich mehr muslimische Jugendliche (15,7 Prozent der Schüler, 9,4 Prozent der Studenten) als nichtmuslimische Jugendliche (5,4 Prozent und 4,9 Prozent) zu.

Gleichzeitig ist die Christenfeindlichkeit bei muslimischen Jugendlichen sehr schwach ausgeprägt. Bei den nichtmuslimischen Gruppen ermittelt die Studie indes ein hohes Maß auf den Islam bezogener Vorurteile. 17,2 Prozent der Schüler und 15 Prozent der Studenten stimmen der Aussage zu "Muslime sind intolerant und gewalttätig". Das Fazit der Autoren: "Betrachtet man die verschiedenen Zielrichtungen der Vorurteile als vergleichbare Formen religiöser Intoleranz, dann zeigt sich, dass Unterschiede des Ausmaßes religiöser Intoleranz zwischen jugendlichen Muslimen und einheimischen Nichtmuslimen nicht mehr nachweisbar sind."

Mit der Studie "Muslime in Deutschland" sind sich Muslime und Nichtmuslime näher gerückt - im Guten wie im Schlechten. Die Ergebnisse zeigen, dass unter den Muslimen eine Minderheit existiert, deren Einstellungen große Ähnlichkeiten mit dem aufweisen, was unter deutschstämmigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Begriffen wie Autoritarismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit sowie Rechtsextremismus umschrieben wird. Einziger Unterschied: In dem einen Fall wird die Ungleichheitsideologie religiös, im anderen Fall wird sie völkisch-nationalistisch begründet.

Die Daten und die daraus resultierenden weiterführenden Fragestellungen könnten ein neues Kapitel der Sozialwissenschaften eröffnen. Es ist an der Zeit, dass sie sich den Einstellungen der Minderheiten mit der gleichen Ernsthaftigkeit und Seriosität annähert, wie das bei der Mehrheitsgesellschaft zur Selbstverständlichkeit gehört.

Der Studie "Muslime in Deutschland" ist ein würdigeres Schicksal zu wünschen als der Untersuchung "Verlockender Fundamentalismus". Diese wurde von dem Bielefelder Konflikt- und Gewaltforscher, Wilhelm Heitmeyer, bereits 1997 veröffentlicht. Heitmeyer ermittelte die Radikalisierungspotentiale unter türkischstämmigen Jugendlichen und zeigte mögliche Wege der politischen und pädagogischen Intervention auf. Anstatt seine Ergebnisse und wichtigen Hinweise inklusive der methodischen Mängel ernsthaft zu diskutieren, geschah etwas anderes: Migrantenverbände, blauäugige Journalisten, überforderte Wissenschaftler und selbst ernannte Freunde des Islam führten einen Feldzug gegen die Person Heitmeyer und seine unbequemen Botschaften. Das Ergebnis: Eine wichtige gesellschaftspolitische Debatte wurde gewaltsam abgewürgt. Ein Wissenschaftsskandal.

Die Studie "Islam in Deutschland" ist eine zweite Chance. Sie nicht zu ergreifen, wäre intellektueller Selbstmord.

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