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Debatte Militärische InterventionenFrieden kommt von unten

Kommentar von Jochen Hippler

Afghanistan, Somalia, Kongo: Dutzende Staaten dieser Welt sind vom Zerfall bedroht. Militärische Interventionen und Entwicklungshilfe helfen nicht, solche Konflikte zu lösen.

W ährend in Afghanistan die Gewalt eskaliert, lenken Piraten die öffentliche Aufmerksamkeit wieder auf die Zustände in Somalia. Auch im Kongo nehmen die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Zentralregierung und Rebellen zu und fordern viele Opfer unter der Zivilbevölkerung. Das sind nur drei Beispiele, in denen der Zerfall staatlicher Strukturen und ganzer Gesellschaften mit Massakern, ethnischen Säuberungen oder Bürgerkriegen einhergeht.

Bild: archiv

Jochen Hippler ist Politologe und lehrt am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Uni Duisburg. Zuletzt hat er das Buch "Von Marokko bis Afghanistan - Krieg und Frieden im Nahen und Mittleren Osten" publiziert (2008).

Dutzende Länder der Welt sind heute entweder bereits failed states, also als Staaten gescheitert, oder auf dem besten Weg dorthin. Andere kämpfen dagegen an, in einen solchen Strudel der Desintegration hineinzugeraten. Die internationale Gesellschaft und westliche Staaten sind zunehmend besorgt, dass lokale Krisenherde den internationalen Frieden gefährden - sei es direkt, etwa durch Piraterie oder Terrorismus, oder indirekt, indem Nachbarländer destabilisiert werden. Zugleich war die internationale Staatengemeinschaft offensichtlich bisher alles andere als erfolgreich damit, fragile oder gescheiterte Staaten zu stabilisieren, sei es präventiv oder reaktiv. In der politischen Praxis wird vor allem auf Mittel der Entwicklungspolitik und militärischen Zwang gesetzt, wobei beide häufig zumindest dem Anspruch nach eng verzahnt sein sollen.

Die Entscheidungen über Zeitpunkt, Art und Umfang eines Engagements (bis hin zur militärischen Intervention) wurden, aller gegenteiligen Rhetorik zum Trotz, meist nicht unter humanitären Gesichtspunkten, sondern nach politischer Interessenlage getroffen. Solche Interessen hatten in der Regel wenig mit dem betroffenen Land, dafür aber viel mit der Innen- und Bündnispolitik der intervenierenden Länder zu tun. Auch in Deutschland wurden die Entscheidungen über Truppenentsendungen eher freihändig und mit geringer Rücksicht auf die betroffenen Länder getroffen. Bundeskanzler Schröder erklärte die Erfolgsaussichten solcher Missionen einmal sogar für nebensächlich: "Ist denn der Erfolg dieser Bündnisleistung gewährleistet?", fragte er bei der Debatte über eine Entsendung deutscher Truppen nach Afghanistan im November 2001 im Bundestag und gab auch gleich die Antwort mit: "Niemand kann das sagen, jedenfalls nicht mit letzter Sicherheit. Aber was wäre das für eine Solidarität (mit den USA nach dem 11. September; d. Red.), die wir vom Erfolg einer Maßnahme abhängig machten?"

Nun ist der Umgang mit scheiternden oder gescheiterten Staaten zu wichtig, um ihn mit einer solchen Leichtfertigkeit zu betreiben. Außerdem verdienen es die so häufig vorgebrachten "humanitären Erwägungen", tatsächlich ernst genommen und nicht nur proklamiert zu werden. Schließlich ist die Gewalt in scheiternden Staaten zuerst einmal für die Bevölkerung der jeweiligen Länder eine Katastrophe. Sie führt nicht immer und automatisch zur "Bedrohung" der internationalen Gemeinschaft oder Europas - dies geschieht nur unter speziellen Bedingungen, die aber im Afrika südlich der Sahara nur selten gegeben waren. Humanitäre Katastrophen wie etwa in der sudanesischen Krisenregion Darfur sollten aber genug Anlass geben, ernsthaft über Möglichkeiten einer Stabilisierung und Konfliktbearbeitung nachzudenken. Wenn zusätzlich tatsächlich Gefahren für Außenstehende hinzukommen (etwa durch Terrorismus und Piraterie), dann sollte schon im Eigeninteresse die Dringlichkeit wirksamer Maßnahmen bewusst werden.

Unter allen Experten besteht bereits seit Jahren der Konsens, dass eine Bearbeitung oder Überwindung der Krisensituationen in failed states allein oder auch nur primär auf militärischem Wege ausgeschlossen ist. Trotz dieser Erkenntnis werden daraus nur selten die nötigen Schlüsse gezogen. Die Gewalt in scheiternden Staaten ist vor allem ein Symptom politischer Fragmentierung. Meist fehlt es an funktionierenden Mechanismen, um unterschiedliche Teile einer Gesellschaft zusammenzuführen, zusammenzuhalten und zu integrieren. Weil solche Integrationsmechanismen fehlen, hat Gewaltausübung für Teile der betroffenen Gesellschaft erst Sinn. Für sie ist diese Gewalt in aller Regel kein Selbstzweck, sondern ein Mittel.

Wer dagegen primär militärisch vorgehen wollte, missversteht den Konflikt. Eine "militärische Lösung" ist damit nicht ausgeschlossen - sie würde aber ein Maß an Gewaltanwendung durch intervenierende Mächte erfordern, das politisch und ethisch unerträglich und zugleich finanziell und personell höchst kostspielig wäre.

All das ist bekannt, wird in der politischen Praxis aber häufig von konzeptioneller Hilflosigkeit überlagert. Truppenverstärkungen mögen dann zwar nutzlos sein, zeigen dafür aber "unsere Verantwortung" oder "Entschlossenheit". Andererseits können auch die Maßnahmen der klassischen Entwicklungspolitik (etwa der Bau von Schulen oder die Förderung der Infrastruktur) für sich genommen auch mittelfristig kaum gewährleisten, Gewalt und Fragmentierung zu überwinden.

Solche Maßnahmen sind meist nötig und sinnvoll - allerdings vor allem, weil Schulen und Infrastruktur ohnehin wünschenswert sind, nicht, weil sie dazu beitragen, Gewaltkonflikte in absehbarer Zeit zu überwinden. Der Entwicklungspolitik ist längst bekannt, dass der Zufluss äußerer Ressourcen unter bestimmten Bedingungen einen Konflikt verlängern oder sogar anheizen kann. Auch eine Kombination von militärischen und entwicklungspolitischen Mitteln kann die Defizite beider Bereiche nicht automatisch überwinden - hier besteht die Gefahr, beide zu überfordern. Nötig wäre stattdessen, an den Grundproblemen fragmentierender Staatlichkeit anzusetzen. Das heißt, dass sich die Politik darauf konzentrieren sollte, politische Integrationsmechanismen zu schaffen und zu stärken. Die Entwicklung funktionierender, bürgernaher Staatlichkeit würde damit zur Kernaufgabe gemacht.

Es reicht eben nicht aus, wie in Afghanistan die oberste Ebene eines Staates zu schaffen oder zu fördern (durch eine Verfassung, ein Parlament und eine Regierung), wenn in den Dörfern und Provinzen bei den Menschen davon kaum etwas Positives ankommt. Noch schlimmer, wenn aufgrund staatlicher Willkür oder Korruption die Staatsmacht dort eher als Problem denn als Lösung begriffen wird.

Kopflastige Staatlichkeit kann Probleme vor Ort eher verstärken. Um gesellschaftliche Integrationsmechanismen zu schaffen, ist das Militär prinzipiell das falsche Mittel. Auch die Entwicklungspolitik verfügt gerade dort über unzureichende Instrumente. Erst wenn die politische Integration im Zentrum der Politik steht und erfolgreich betrieben wird, können sicherheitspolitische Stabilisierung und entwicklungspolitische Maßnahmen dazu beitragen, eine Krisen- oder Gewaltsituation zu überwinden. Ohne politische Integration an der Basis hängen sie in der Luft und dienen bloß dem Nachweis westlichen "Engagements", nicht aber der Überwindung von Gewalt.

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