Debatte Libyenkrieg: Der Nato-Einsatz bleibt falsch
Anspruch und Realität der Intervention in Libyen klafften weit auseinander. Die Berliner Regierung hat mit ihrer skeptischen Haltung recht behalten.
W enn der Krieg gegen den Despoten von Tripolis ein Erfolg war, kann sich die Bundesregierung nicht damit schmücken. Sie hat weggehört, als die Nato zu den Waffen rief. Sie gab sich auch keine besondere Mühe, ihre Gründe zu erläutern. Am 17. März, dem Tag der Abstimmung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, befand die Kanzlerin wortkarg, es handele sich um einen Einsatz "mit äußerst unsicherem Ende". Und Verteidigungsminister de Maizière wich noch im September der Interviewfrage nach den Motiven der deutschen Enthaltung mit der Bemerkung aus: "Wir haben uns politisch anders entschieden." Also falsch entschieden?
Rückblende. Den Anstoß zum militärischen Eingreifen in den libyschen Stammes- und Bürgerkrieg hatten Nachrichten gegeben, dass Gaddafis Luftwaffe friedliche Demonstranten angreife. Was daran zutraf, war unklar. Weder das UN-Generalsekretariat in New York noch das Pentagon in Washington noch eine westliche Botschaft in Tripolis noch sonst eine unabhängige Quelle konnte die Schreckensmeldungen bestätigen.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich Bengasi, die zweitgrößte Stadt des Landes, bereits in den Händen der Aufständischen. Sie war ihnen nicht durch friedliches Demonstrieren in den Schoß gefallen.
war bis 2006 geschäftsführender wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Inzwischen ist er pensioniert.
Dazu hat das Völkerrecht eine Meinung. Die Gegenwehr gegen einen gewaltsamen Umsturz der staatlichen Ordnung fällt weder unter die Tatbestandsmerkmale von Verbrechen gegen die Menschlichkeit noch unter die von Kriegsverbrechen. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs führt die Handlungen, die nach diesen Kategorien zu ahnden sind, einzeln auf.
Dann fährt es fort: Der Katalog "berührt nicht die Verantwortung einer Regierung, die öffentliche Ordnung im Staat aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen oder die Einheit und territoriale Unversehrtheit des Staates mit allen rechtmäßigen Mitteln zu verteidigen".
Die zweite Resolution
Aber welche Mittel sind rechtmäßig, welche nicht? Als unrechtmäßig gelten Maßnahmen, die in kriegerischen oder kriegsähnlichen Konflikten an bewaffneten Auseinandersetzungen Unbeteiligte mehr als unvermeidbar in Mitleidenschaft ziehen. Von diesem Verständnis ging der UN-Sicherheitsrat aus, als er im März seine zweite Libyenresolution fasste.
Ein Waffenembargo bestand bereits. Jetzt trat ein Flugverbot im libyschen Luftraum hinzu, verbunden mit der generellen Ermächtigung, "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um von Angriffen bedrohte Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete zu schützen".
Das humanitäre Anliegen war die eine Triebfeder der Intervention, das strategische Interesse die andere. Sie standen nicht gleichgewichtig nebeneinander. Erstaunlich freimütig erklärten die Verantwortlichen in den westlichen Hauptstädten unmittelbar nach Ausweitung des Krieges, wie lange die Luftschläge andauern würden: bis zum Sturz des libyschen Machthabers und bis zum politischen Regimewechsel in Tripolis. Darauf stellten die Einsatzpläne ab.
Mindestens 30.000 Tote
Bei jeder Einnahme einer Stadt durch die Aufständischen haben Nato-Kampfjets ihnen den Weg freigeschossen. Mochte die UNO-Resolution mit ihrem weiten Auslegungsspielraum auch einer Blankovollmacht gleichen - der Schutz von Zivilisten und Luftunterstützung für vorrückende Truppen sind nicht dasselbe.
Man braucht keine Experten, um den Unterschied zu erkennen. Im Kosovokrieg fungierte die Nato als Luftwaffe der UCK. In Libyen übernahm sie denselben Part für die Anti-Gaddafi-Opposition. Von einem UNO-Mandat gedeckt war keine der beiden Operationen.
Als Unified Protector segelte die alliierte Mission sieben Monate unter falscher Flagge. Ob die 10.000 Luftangriffe mehr zivile Opfer verhüteten als verursachten, ist fraglich. Nach Angaben des neuen Gesundheitsministeriums kamen in Libyen mindestens 30.000 Menschen ums Leben.
Das ist die mit Abstand höchste Zahl von Opfern in einem der von der arabischen Aufstandswelle erfassten Länder - ausgerechnet in dem Land mit der kleinsten Bevölkerungszahl. Die rasche Eskalation des Bürgerkriegs zum internationalen Krieg dürfte ihren Teil dazu beigetragen haben. Initiativen zur Beilegung des Konflikts, selbst wenn sie aus den eigenen Reihen stammten, hat die Nato souverän ignoriert.
Berlin ist nicht isoliert
Aber nicht die Zweifel an den Erfolgsaussichten der Militärintervention brachten die Bundesregierung in die öffentliche Kritik, sondern der vermeintliche Mangel an Bündnissolidarität. Wie steht es damit? Die aktuelle Nato-Strategie determiniert in Krisenlagen weder eine politische noch eine militärische Reaktion. Damit ist es den Mitgliedstaaten überlassen, wie sie sich entscheiden.
Keine Bündnispflicht entbindet sie von der eigenen Verantwortung. Souveränität ist nicht delegierbar. Nicht einmal die Kernbestimmung des Nato-Vertrags, das kollektive Beistandsgebot, schreibt ihnen die Wahl der Mittel vor. Um wie viel weniger sind sie dann gehalten, im Gleichschritt zu marschieren, wenn es um Vorhaben geht, die der Bündnisvertrag gar nicht vorsieht?
Bündnispflichten
Natürlich schuldet die Bundesrepublik ihren Alliierten Bündnissolidarität. Sie schuldet ihnen Beistand zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs. Sie schuldet ihnen nicht Beihilfe zur Führung eines bewaffneten Angriffs. Ferner schuldet sie ihnen, internationale Streitfälle auf friedlichem Weg zu regeln und die Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt zu unterlassen. Auch das steht im Nato-Vertrag.
Mit diesen Prinzipien ist die Libyenintervention schwerlich in Einklang zu bringen. In solch einem Fall kann Bündnissolidarität nur heißen, sich der Missachtung des Bündnisvertrags zu verweigern.
Nicht mehr und nicht weniger hat die Bundesregierung getan. Dazu musste sie sich keineswegs von ihren Partnern abwenden. Der Libyenkrieg stellte allenfalls formal eine Nato-Operation dar. Das Bündnis zählt 28 Mitglieder, mehr als sechs davon wirkten zu keinem Zeitpunkt an den Luftschlägen mit. Drei Viertel hingegen folgten dem deutschen Beispiel und blieben passiv. Politische Isolation sieht anders aus.
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