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Debatte Leben ohne RohstoffeDie Schere im Kopf

Kommentar von Adelheid Biesecker

Recyceln gilt als unsexy und rückwärtsgewandt. Die Produktion von Waren aber bedeutet Fortschritt. Dieses Bewertungsschema ist hinfällig

Um es gleich zu sagen: Knappe Rohstoffe und steigende Preise sind nicht das zentrale Problem, wenn es darum geht, unsere Wirtschaft zukunftsfähig zu machen. Viel wichtiger ist es, den Blick sowohl auf die Produktivität der Natur als auch auf das "gesellschaftliche Naturprodukt" zu richten: Denn wenn Menschen produzieren und konsumieren, gestalten sie immer auch die Natur um. Dabei ist die Natur nicht "außen", nicht getrennt von uns. Vielmehr ist sie unauflöslich mit uns verbunden. Klimawandel und Verlust an Biodiversität sind Folgen unseres Wirtschaftens. Auch Rohstoffknappheit und Umweltverschmutzung sind keineswegs naturgegeben, sondern menschengemacht - durch eine Ökonomie, die nicht in der Lage ist, ihre Grundlagen zu erhalten, sondern die diese zerstört.

Bild: privat

Adelheid Biesecker, geb. 1942, war Professorin für Ökonomische Theorie an der Universität Bremen. Sie ist Mitglied im Netzwerk "Vorsorgendes Wirtschaften" und in der Vereinigung für Ökologische Ökonomie (VÖÖ).

Warum ist das so? Kurz gefasst lautet die Antwort: weil unsere kapitalistische Ökonomie eine Trennungsstruktur aufweist - die Trennung von Produktion und sogenannter Reproduktion. Als "produktiv" gilt, was sich in Waren und Dienstleistungen für den Markt ausdrückt. Als "reproduktiv" gelten alle Leistungen des Wiederherstellens und Erneuerns, die dem vor- und nachgelagert sind. Das sind zum einen die Leistungen der Natur, wozu die ständige Erneuerung der Atemluft durch Pflanzen ebenso gehört wie die Vielfalt der Arten oder das Vorhandensein von Mineralien und Rohstoffen in der Erdkruste. Und ebenfalls als "reproduktiv" gelten sorgende Tätigkeiten, durch die Leben erst ermöglicht und wodurch Arbeitskraft hergestellt und erneuert wird.

Was als produktiv gilt, wird bewertet. Dagegen geht das Reproduktive nicht in die heutige ökonomische Rechnung ein - obwohl die Sphäre der Produktion vollständig davon abhängt. Der kapitalistische Verwertungsprozess eignet sich diese Leistungen unentgeltlich an. Somit wird das "Reproduktive" gleichzeitig ausgegrenzt und einverleibt.

Diese Ausgrenzung wirkt zerstörerisch. Sowohl ökologische Krisen wie der Klimawandel als auch soziale Krisen wie Kinderarmut und Jugendkriminalität sind Folgen dieser Konstruktion. Beide sind Ausdruck ein und derselben Krise - der Krise des "Reproduktiven". Unser gegenwärtiges ökonomisches System basiert auf der Zerstörung ökologischer und sozialer Lebensprozesse und enthält keinen Ansatz zu einem langfristig erhaltenden Umgang mit seinen lebendigen Grundlagen. Im Gegenteil: Auch die Versuche der Krisenbewältigung folgen der gleichen Logik wie die Strategien, die die Krise hervorgerufen haben. So soll der Knappheit fossiler Energieträger durch Atomkraft begegnet werden - obwohl das absaufende Atommüllendlager Asse II und mehrere Unfälle in europäischen AKWs in den letzten Wochen erneut bewiesen haben, dass mit dieser Technik für heutige und künftige Generationen nicht sicher umzugehen ist. Kohlekraftwerke sollen durch CO2-Abscheidung und Einlagerung der Gase in unterirdischen Hohlräumen klimafreundlich werden. Was aber mag passieren, wenn zukünftige Generationen auf der Suche nach ihren Rohstoffen diese Lager anbohren?

Eine solche Ökonomie ist nicht zukunftsfähig. Was also tun? Die Antwort liegt auf der Hand: Es gilt, die Ökonomie so umzugestalten, dass die Trennung in Produktion und Reproduktion aufgehoben wird. Die Produktivität des Reproduktiven muss integriert werden. Ziel künftigen Wirtschaftens muss es sein, die lebendigen Grundlagen und damit die eigentlichen Quellen des Wirtschaftens zu erhalten. Es gilt, eine (re)produktive Ökonomie zu erfinden - eine Ökonomie, deren Prinzip lautet: Erhalten im Gestalten, wobei Erhalten immer auch Erneuern bedeutet.

Die generelle Handlungsregel für eine solche Wirtschaftsweise lautet: "Stelle heute deine Güter so her und verbrauche sie derart, dass die hergestellten Produkte zu produktiven Ressourcen für deine Ur-Ur-…-Urenkel werden." Ein solches Wirtschaften ist vorsorgendes Wirtschaften. Es berücksichtigt die verschiedenen Zeiten der Menschen und der Natur, und es orientiert sein Handeln an lokalen, regionalen und globalen Gegebenheiten. Auch Schonung und Nichthandeln sind Möglichkeiten effektiver Tätigkeit.

Was heißt das konkret? Energetisch ist die Antwort klar: Eine (re)produktive Ökonomie basiert auf erneuerbaren Energien und treibt die Entwicklung der Solarenergie voran. Materiell-technisch ist diese Ökonomie eine auf Qualitäten ausgerichtete Stoffwirtschaft. Die Natur ist sowohl Ausgangspunkt als auch Endpunkt des Produktions- und Konsumtionsprozesses. Um ihre Produktivität zu erhalten, müssen "Abfallstoffe" so gestaltet sein, dass sie die Produktivität der Natur stärken. Sie dürfen nur bedingt giftig sein und müssen sich an die Verarbeitungsfähigkeit und -zeit der Natur anpassen. Die Mengen sind in jedem Fall begrenzt und richten sich nach den Kapazitäten der Natur. Schon bei der Planung von Produktion und Konsum müssen diese Faktoren einbezogen werden.

Sozial-kulturell bedeutet die neue Art des Wirtschaftens, alle Produktivitäten in das Ökonomische einzubeziehen und zu bewerten. Der Begriff der Arbeit muss erweitert, insbesondere muss die Sorgearbeit einbezogen werden. Jede Form der Produktivität ist gleichwertig und gleich wichtig. Geschlechtsspezifische Zuordnungen und Abwertungen verlieren ihren Sinn. Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit sind nicht mehr nur moralische Anliegen. Vielmehr wird Gerechtigkeit - auch weltweit - zur Basisressource (re)produktiven Wirtschaftens.

Politisch gestaltet und gesteuert wird diese Ökonomie über breite gesellschaftliche Diskurse. Welche Leistungen privat, welche öffentlich erbracht werden sollen, muss ebenso gesamtgesellschaftlich entschieden werden wie Regulierungen oder der Raum für Märkte. Eine solche neue Ökonomie passt zu einer modernen BürgerInnengesellschaft, in der die Menschen als Alltagsexperten an der Gestaltung des Gemeinwesens verantwortlich mitwirken. Das Primat der Politik über die Ökonomie kehrt zurück - und spielt beispielsweise auch eine Rolle bei der Bestimmung von Löhnen und Preisen. Denn (re)produktives Wirtschaften beruht auf (re)produktiven - das heißt lebenserhaltenden - Löhnen und Preisen. Dagegen hat der Markt für so etwas kein Gespür.

(Re)produktive Ökonomie ist keine Utopie. Die Transformation dorthin ist schon weltweit in Gang. Ein Beispiel sind Bäuerinnen und Bauern, die sich gegen die Monopolisierung ihres Saatguts wehren und eigene Saatgutbanken anlegen. Vielerorts entstehen auch lokale ökonomische Strukturen, häufig in Form von "solidarischer Ökonomie". Aber: Dieser Transformationsprozess ist nicht geradlinig, er ist nicht ohne Anstrengung zu haben, und weil es Verlierer geben wird, wird er nicht friedvoll verlaufen. Denn (Re-)Produktivität macht unabhängig von Macht und Märkten, von kapitalistischen Profitinteressen, und ist aus diesem Grund umkämpft. Anders aber ist Zukunftsfähigkeit nicht zu erreichen.

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2 Kommentare

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  • HH
    Hans-Hermann Hirschelmann

    Nachtrag:

    Es mag der Eindruck entstanden sein, mein etwas eilig formulierter Kommentar zum Kommentar von Adelheid Biesecker verfolgt die Absicht, ihre Position in Grund und Boden zu verdammen. Das wäre ein Missverständnis. Um es klar zu sagen: ich teile die Perspektive, sozial-ökologische Gesamtrechnungen zur Basis des mitmenschlichen Handelns zu machen. Ja, wir brauchen eine Ökonomie (und diese hervor bringenden Behauptungsverhältnisse), die ökologisch reflektierte Kosten-Nutzen-Optimierungen umfasst. Um zu erkennen, welche Produktion vernünftig ist, müssen Relationen zwischen einem Nutzen einerseits und den sozial-ökologischen Kosten, d.h. der zu seiner Herstellung (und Wiederherstellung) notwendigen Verausgabung von Produktivkäften sowie dem damit (möglicherweise) einher gehenden Schaden andererseits ermittelt werden. Noch einmal: Diese Relationen lassen sich nicht in Geld sondern nur ideell ausdrücken (was ist zu welchem Grad erhaltens- beachtens,- begehrends- oder verdammenswert) Die Ermittlung von in dem Sinne vernünftigen Relationen schließt ebenso die Frage ein, was - in welchem Maß - überhaupt als ein Nutzen bzw. Schaden oder eben auch als Aufwand bzw. als "Arbeit" gelten soll.

     

    Für den klaren Blick in diese Richtung ist es aber m.E. ausgesprochen hinderlich, an Begrifflichkeiten für "Produktion" (vermeintlich alles mit Geld entgoltene) und "Reproduktion" (vermeintlich alle unbezahte Produktion) festzuhalten. Denn dies ist ja gerade nicht (!) stofflich begründet sondern gerade Ausdruck des kritisierten Warensinns und dessen "Schere im Kopf" bzw. der diesen falschen Vorstellungen zugrunde liegenden Behauptungsbedingungen.

  • HH
    Hans-Hermann Hirschelman

    Von Hans-Hermann Hirschelmann:

     

    Kapitalistische Ökonomie ist gleich "Schere im Kopf"? Und die schneidet unser Bewusstsein vom Erkennen (und deshalb Anerkennen) reproduktiver Leistungen der Hausarbeit und anderer Naturkräfte, die unentgeltlich Dienstleistungen erbringen, ab? Diese "Logik" müssen wir uns also aus dem Kopf schlagen, weil sie die Ursache für unsere ökologische Blindheit und damit allen Raubbaus ist? Wir müssen stattdessen umdenken, eine ganz neue Logik kostruieren, mit deren Hilfe wir uns nicht mehr nur um "Produktion", sondern auch um "Reprodulktion" scheren und letztere einen "Wert" beimessen?

     

    Puh! Es scheint mir an der Zeit, wieder mehr Marxismus zu wagen. Denn aus historisch-marialistischer Sicht ist es kein Wunder, dass am Ende einer solche Variante von "das Bewusstsein bestimmt das Sein" nur die gut meinende Empfehlung steht, eine ideale "Logik" zu erdenken, die so lieb ist, den "Begriff" (sic!) der Arbeit zu erweitern und die "Sorgearbeit einzubeziehen" Und dies mit der Verheißung zu garnieren, dies würde "unabhängig von Macht, Märkten und von kapitalistischen Profitinteressen machen."

     

    Wo in der Kritik an diese - ja durchaus übliche - Sichtweise anfangen und nicht verzweifeln?

     

    Zu allererst möchte ich empfehlen, (kapitalistische) Ökologie und (kapitalistische)Ökonomie voneinander zu unterscheiden und damit auch eine ethische Bewertung vom Tauschwert. Was zu welchen ökologischen (also nur moralisch und nicht in Geld ausdrückbaren) Kosten der Mühe oder der Aufmerksamkeit wert, erhaltenswert, begehrenswert, oder auch verdammenswert ist, ist etwas anderes, als der Grad an Arbeitsaufwand, der für die (Re-) Produktion eines auf einem Markt gehandelten Tauschguts notwendigerweise aufzubringen ist. Letzterer wird unter der Bedingung freier (auch von Ethik befreiter) Märkte von der Konkurrenz der Anbieter ermittelt. Noch so hohe "moralische Wertschätzung" durch Kunden oder Anbieter kann nicht verhindern, dass die Konkurrenz es billiger macht, wenn es ihr gelingt, ökonomischer, d.h. Lohn und Gehalt sparender zu produzieren - z.B. durch ökologischen Raubbau.

     

    Ökologisch betrachtet, (d.h. die Wirkungen des Stoffwechsel betrachtend), ist auch die Unterscheidung von "Reproduktion" und "Produktion" keineswegs durch "formelle oder informelle" bzw. "bezahlte oder unbezahlte Arbeit" bestimmt. Dient die Produktion einer Windel etwa nicht der Reproduktion von Menschen? Schützt die soziale Wertschätzung des Windelwechselns davor, in Kauf zu nehmen, dass für die Herstellung (und Wiederherstellung!) des Windelangebots 2000 Jahre alte Zedern aus den boralen Regenwäldern Kanadas gefällt werden? Und ist es nicht der von Marx so trefflich analysierte (nämlich unter Bedingungen freier Märkte unwillkürlich aus den Verhältnissen hervor gehende) "Fetischcharakter der Ware", welche den (ökologischen) Zusammenhang der Herstellung und Wiederherstellung des Warenanbegots vernebelt?

     

    Ökonomische Werte sind eine Funktion des Tauschgeschehens, das privaten (d.h. konkurrierende Akteure ausschließenden) Besitz an (Re-)Produktionsmitteln voraus setzt. Dem entsprechen Rechte bzw. Möglichkeiten zur (privaten) Entwicklung, Veräußerung und Aneignung des zu (Re-)Produzierenden.

     

    Es ist im gewissen Grenzen ja durchaus möglich, im Rahmen kapitalistischen Wirtschaftens moralische Wertschätzungen in ökolomische Wertbildung zu überführen. Allerdings ist dafür die Umwandlung der ökologisch-ethischen Ansprüche in die ethisch-moralisch neutralen Behauptungsverhältnisse der kapitalistischen Ökonomie notwendig. Und dafür braucht es gesellschaftliche Eingriff in private Entwicklungs- Aneignungs- bzw. Veräußerungsrechte - etwa durch Umweltauflagen, Steuern, Zölle oder der Begrenzung der Vergabe handelbarer "Verschmutzungsrechte". Politische Manipulationen gesellschaftlicher Warentauschrelationen offenbaren aber keine (!) "ökologische Wahrkeit von Preisen". Ökologie ist nicht in Geld ausdrückbar. Von Interesse ist nicht die Wahrheit sondern die Wirkung der Modifikationen. Sie können eine andere ökologische Wirklichkeit "nur" schaffen.

     

    Die Diskussion sollte sich deshalb auf die Fragen konzentrieren, in wie weit privatem Entwicklungs-, Aneignung- und Veräußerungsvermögten soziale Grenzen gesetzt werden müsssen - und können. Und wie Spielräume gegebenenfalls erweitert werden können. "Kommunismus", schrieb Marx sinngemäß, sei "keine Utopie, nach er sich die Wirklichkeit zu richten haben werde, sondern die wirkliche Bewegung, welche die alten Verhältnisse aufhebt" ... - insoweit ein (weltweit) herrschaftsfreier Diskurs deren ethisch moralisch bestimte "ökologische Unverantwortlichkeit" offenbart.

     

    Hans-Hermann Hirschelmann, Berlin

    Zum Weiterlesen

    http://www.future-on-wings.net/konsum.htm