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Debatte Klimaschutz-IntelligenzijaDie Energierebellen

Kommentar von Claus Leggewie

Fast alle Deutschen interessieren sich heute für den Klimaschutz. Eine neue Intelligenzija entsteht. Doch die Parteien wollen von ihr nichts lernen.

S ingle Issue Voters nennen Politologen Menschen, die ihre Wahlentscheidung für Parteien und Kandidaten auf ein einziges Thema beziehen. Diese exklusive Nachfrage wird durch Einthemaparteien aufgegriffen, die jedoch fast immer daran scheitern, dass das Gros der Bürger einen großen (und oft widersprüchlichen) Kranz von Themen in ihre Wahlentscheidung einfließen lässt. Die Piratenpartei ist das jüngste Beispiel dafür, wie man sich auf ein Kernthema konzentriert und damit bei bestimmten Zielgruppen relativ erfolgreich sein kann, aber vermutlich an der Fünfprozenthürde scheitert.

Was die Netzbewegung "KlimakanzlerIn gesucht" jetzt propagiert, ist nur scheinbar eine solch schmale Einthemakampagne. Das aus verschiedenen Klimaschutzorganisationen gebildete Bündnis führt vielmehr die kapitale Einseitigkeit des deutschen Fünfparteiensystems vor, das wider besseres Wissen auf die Wiederankurbelung des Wirtschaftswachstums mit herkömmlichen Mitteln fixiert bleibt: Steuersenkungen und/oder Umverteilung.

Das Klimathema ist längst keine Schrulle randständiger Spezialisten mehr, es steht, wie Repräsentativumfragen der letzten Monate zeigen, mittlerweile für breite Schichten der Bevölkerung im Zentrum ihrer politischen Orientierungen und Forderungen. Und da diese weder in den Parteiprogrammen noch im laufenden Wahlkampf an vorderster Stelle stehen, kann man von einem echten Repräsentationsdefizit des politischen Systems sprechen, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in vielen westlichen Demokratien. Denn was steht zu erwarten?

Bild: archiv

Claus Leggewie bist Direktor am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) in Essen. Zusammen mit Christoph Sachse veröffentlichte er zuletzt das Buch "Soziale Demokratie, Zivilgesellschaft und Bürgertugenden" (Campus Verlag 2008).

Gleich welche Konstellation nach dem 27. September die Nase vorn haben wird - weder die schwarz-gelbe Koalition, die sich an der Revision des Atomausstiegs festgebissen hat, noch die Fortsetzung der großen Koalition, die das Erfolgsdesaster der Abwrackprämie zu verantworten hat, spiegelt die klimapolitischen Prioritäten, und auch von Rot-Rosa-Grün müsste man die Wiederbelebung des bankrotten Industrialismus befürchten.

Belege für diese Unaufmerksamkeit der etablierten Parteien bieten eine ganze Palette von Umfragen. Laut einer Emnid-Bertelsmann-Erhebung vom August 2009 sehen deutsche Jugendliche im Klimawandel neben der Armutsbekämpfung die größte globale Herausforderung. Laut Umfragen der Gfk-Marktforschung wie laut Eurobarometer spielt der Klimaschutz für die große Mehrheit der Wähler eine wichtige bis sehr wichtige Rolle. Galt Umweltschutz jahrelang als Jobkiller, sind nun fast alle auch davon überzeugt, dass Investitionen in erneuerbare Energien das beste Rezept gegen die Weltwirtschaftskrise darstellen und eine echte Jobmaschine sind.

Vor allem in den USA ist es sogenannten Klimaskeptikern lange gelungen, diesen fundamentalen Wertewandel zu unterlaufen, den eine auf die Autolobby und Energiemonopolisten starrende Politik ebenso wenig zur Kenntnis genommen hat. Zwar ist das vermeintliche Spezialthema "Klima" dank seiner Verzweigungen in sämtliche Politiksparten und Wirtschaftsbranchen zum zentralen Thema geworden, aber der Mainstream-Journalismus wandert auch bei uns weiter auf den Pfaden fruchtloser Koalitionsspiele und Castingshows "Wer mit Wem?" Und das betrifft nicht nur die politischen Inszenierungen.

Die Kopenhagen-Verhandlungen, die wichtigste Weichenstellung für die nächsten Jahre, werden sorgsam hinter verschlossenen Türen gehalten. Der Bundesumweltminister spekuliert lieber auf ein Remake der Anti-AKW-Bewegung, die Grünen, die Klimaschutz immerhin plakatieren, haben damit keineswegs schon zu ihrem Kerngeschäft zurückgefunden. Das rot-grüne Bündnis, das ganz wichtige Weichen für erneuerbare Energien gestellt hat, ist auch deswegen in der Minderheit, weil es klimapolitisch ebenso wenig wie Schwarz-Grün auf der Höhe der Zeit ist. Angela Merkel, die Klimakanzlerin von 2007, setzt gerade endgültig ihren Ruf aufs Spiel, und der Frank-Walter Steinmeier, dessen Deutschland-Plan immerhin eine Ahnung klimapolitischer Aufklärung gab, ist rasch in altsozialdemokratische Reflexe zurückgefallen. Das kollektive Debakel der "Opel-Rettung" bietet ein trauriges Schauspiel vertaner Konversionschancen. Die wichtigsten Agenten des Wandels - kritische Konsumenten, Energierebellen, umherschweifende Klimahelden, verstreute Nachhaltigkeitsintelligenz in Unternehmen und Verwaltungen - bleiben außen vor. Ihnen ist eine außerparlamentarische Bewegung neuen Typs vorbehalten, und wo diese sich mit digitalen Kommunikationsmedien aufrüstet, kann sie überaus wirksam werden. Zu Recht wird auf den Einfluss dieses katalytischen Wählersegments bei den letzten Wahlen in Australien, Kanada und Japan hingewiesen.

Die selbstgefälligen Routinen

Soll man aber überhaupt wählen gehen? Welch ein Erschrecken ging jüngst durch die Lande, als eine aufrechte Bildungskampagne zum Schein den frivolen Gedanken erwog, man könne als intelligentes politisches Wesen einmal nicht wählen gehen. Die von der erwähnten Klimaallianz in Auftrag gegebene Infratest-Umfrage demonstriert nun, dass knapp ein Fünftel der noch nicht fest entschiedenen oder unentschiedenen Wähler, die ja auch zu Hause bleiben könnten, am ehesten die Partei desjenigen Kanzlerkandidaten wählen würden, der am stärksten "für alternative Energien, eine ökologische Wirtschaft und eine deutsche Führungsrolle bei internationalen Klimaverhandlungen" eintritt.

Klimapolitik als Entscheidungs- und Abwanderungsmotiv - das ist neu und müsste den Wahlkampf inspirieren. Wie man die Bunkermentalität der politischen Kommunikationsexperten kennt, wird das aber kaum der Fall sein. Die Klimakanzlerin i. R. wird ihren Ruf nicht durch eine Kopenhagen-Initiative aufpolieren, also mit "Meseberg plus" oder einem Aktionsplan zur schrittweisen Reduzierung der Kohlekraftwerke auf null. Der Herausforderer wird sich kaum noch zu einem echten "Green New Deal" aufraffen und in Saarlouis oder Bottrop gegen Kohlekraftwerke aussprechen. Da ist er sich einig mit der Linken, die ihrer Klientel im Übrigen kaum zumuten wird, einen wesentlichen Teil des Sozialproduktes für Finanztransfers in den Süden aufzuwenden, und nicht einmal die grünen Berufspolitiker werden ihre Pomadigkeit ablegen und zur Demo gehen, wo solche Kraftwerke errichtet werden sollen.

Es ist an den klimabewussten Wählern selbst, diese selbstgefälligen Routinen aufzubrechen und überall, wo Spitzenkandidaten auftreten, wo in Wahlkreisen noch diskutiert wird und karbone Brennpunkte Anstoß erregen, klimapolitisch Dampf zu machen. Es geht um dieses eine Thema, das alle anderen Themen, auch Bildung und Soziales, beinhaltet. Oder sollen die letzten Wochen mit Wetten auf das Zustandekommen von Schwarz-Gelb und Spekulationen über den künftigen Ministerpräsidenten des Saarlandes vertan werden?

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