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Debatte Junge Utopien VIUni der Unerhörten

Martin Kaul
Martin Kaul
Kommentar von Martin Kaul und Martin Kaul

Die Universität der Zukunft muss den Ausgegrenzten gehören. Das deutsche Bildungssystem begünstigt immer noch die, die privilegiert sind.

Abiturprüfung: Für die "Uni von unten" ist sie überflüssig. Bild: dpa

D ie Universität als Institution ist in der Krise. Mit ein bisschen Exzellenzinitiative und neuen Studienstrukturen, mit hier mehr Wettbewerb und dort mehr Selektion ist es nicht getan, will man ihre Starre überwinden. Wer die Uni retten will, muss sie neu erfinden.

Und wer heute über eine Universität von morgen nachdenken will, kann nicht am gestern anknüpfen. Denn dieses Gestern ist die Geschichte einer Ausgrenzung. Das deutsche Bildungssystem gehört zu den sozial selektivsten der Welt. Bildungsbiografien, zumal akademische, lassen sich schon bei der Geburt vorhersagen. Wer an den Hochschulen noch ankommt, sind die Kinder der Kinder der Kinder der Universität. Sie waren schon immer und sind auch heute noch eine Klasse für sich.

Aus dieser sozialen, sehr effektiven Struktur der Ausgrenzung entsteht nur Weitergedachtes, aber nie Neues. Dabei ist nicht die Armut der Feind des Wissens, sondern der Hausverstand. Wir brauchen eine neue Uni: eine Uni von unten, die die Subversion zum Prinzip erhebt. Die Universität der Zukunft muss den Unerhörten gehören.

Universität der Straße

Wieso fragt niemand danach, wo all die Kreativen der Straße ihre Ideen realisieren? Und wieso wird aus diesen Ideen und Realitäten nicht mehr gemacht als ein Gegenstand fürs Feuilleton? Die Ausgegrenzten und Unterdrückten unserer Gesellschaft kennen den Beat des Bürgersteigs und wissen, was es kostet, auf die Fresse zu kriegen. Sie erkämpfen sich Räume, die ihnen permanent streitig gemacht werden, und stellen sich auf vielfältige Weise unter Beweis. Sie sind diejenigen, die radikal fern gehalten werden von allem, was nach Qualifikation riecht. Denn ein Diplom gibt es bisher nur fürs Labern. Die Hochschule der Zukunft aber gehört den Lumpensammlern. Jenen, die bislang nicht gefunden werden, weil niemand sie sucht.

Diese Kreativabteilung braucht eine Zukunft. Und zwar nicht nur, weil diese Menschen mit den Lebensumständen in ihrem Viertel - ob in Berlin-Neukölln, in Castrop-Rauxel oder Hoyerswerda - unglücklich sind. Sondern auch, weil sich eine Spannung entfalten könnte, wenn unser kanonisches Bildungshegemon auf neue Realitäten prallt. An einer Uni der Zukunft wären all diejenigen mit ihr zufrieden, die heute noch gar nicht zu ihr gefunden haben.

Bild: taz

Martin Kaul, 28, ist taz-Redakteur und Mitorganisator des taz-Labors Bildung, das Samstag im Haus der Kulturen der Welt in Berlin statt findet. Es steht unter der Frage "Welche Universitäten wollen wir?".

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Ansätze dafür gibt es bereits - etwa mit der StreetUniverCity in Berlin, in der sich Jugendliche aus sozialen Brennpunkten nach eigenem Lehrplan weiterbilden können. Daran könnten sich etablierte Universitäten ein Beispiel nehmen. In der taz vom 12. April forderte Stephan A. Jansen, der Gründer der privaten Zeppelin University, eine Universität des Desasters. Er wies darauf hin, dass Kreativität dort entsteht, wo Dinge neu zusammengedacht werden. Seine Analyse ist richtig: In einem Zeitalter globaler Krisen ist die Krise selbst der Motor zu ihrer Lösung. Statt aber nach institutionellen Modellen zu fragen, die der permanenten sozialen Selektion etwas entgegensetzen, wartet unsere Bundesregierung mit einem Stipendiensystem auf, das wieder die begünstigt, die ohnehin privilegiert sind, das blind für die echten Helden ist und so tut, als sei Leistung in Noten messbar.

Wer sich Gedanken macht über eine inklusive Gesellschaft und ein nichthierarchisches Wissen, muss genau hier ansetzen. Meine Universität der Zukunft muss deshalb ihre Recruitment-Manager in die Ghettos, in die Karateklubs, Internetcafés und Fitnessstudios schicken. Sie schickt sie aufs Ausländermeldeamt, um neue Studierende anzuwerben. Denn gerade die Kids, die durch ihre Ausgrenzungserfahrung die permanente Irritation gewöhnt sind, die der Hochschule von heute am fremdesten sind, sind die, die sie wirklich hinterfragen können. Es sind jene, die wirklich neu denken können, weil sie unpassende und genau deshalb oft richtige Fragen stellen. Sie sind es gewohnt, sich selbst und ihre Welt neu zu erfinden, sich reale Räume und Denkräume zu erkämpfen, sie können Dress- und Denkcodes durcheinanderbringen.

Diese Universität, eine exklusive Uni von unten, müsste sich permanent selbst hinterfragen. Sie müsste zuallererst all die vermeintlichen Bildungstitel, mit denen jeder Mensch gezwungen wird, sich auszuzeichnen, konsequent ad absurdum führen. Ginge es nach mir, müsste diese "Uni von unten" genauso radikal selektieren, wie wir es heute vom Großteil der Schulen und Unis bereits kennen.

Numerus clausus gegen Streber

Sie hat einen harten Numerus clausus und ist entschieden geschlossen für jene Mittelmaß- und StreberschülerInnen, die in ihren buntesten Lebensjahren vor dem Abitur nichts Besseres zu tun hatten, als sich dem im Gymnasium frisierten Druck der Notenkonkurrenz ergeben anzupassen. Wer eine 4,0 im Abi hatte, hätte beste Chancen. Eine 3,7 vielleicht noch so gerade. Und ansonsten wäre sie bitte offen: für alle jene, die auch ohne Abi wollen.

Dies wäre auch der Schlüssel zu einem neuen Begriff von Wissen und zu einer neuen Erfahrung von Forschung. Denn die institutionelle Revolution der Universität, wie sie heute ist, gibt auch eine Antwort auf die Frage: Welches Wissen brauchen wir? Selbst gewinnorientierte Unternehmen haben längst entdeckt, dass das Leitbild "Managing Diversity" nicht nur zu mehr Vielfalt, sondern auch zu effektiveren Resultaten führt. Wir müssen diverses, divergentes Wissen aber nicht managen, sondern kreieren. Und zwar für eine Gesellschaft, die den Menschen ihre Potenziale zuspricht.

Fortschritt bedeutet immer, das Selbstverständliche infrage zu stellen. Und tatsächlich ordnen die Hochschulen schon heute ihre Fragenkomplexe aktiv neu: An die Stelle der versäulten Universität, in der die Biologie mit der Sozialwissenschaft noch unvereinbar schien, sind Netzwerke und Cluster getreten, die nicht mehr entlang von Disziplinen, sondern entlang von Fragen arbeiten. Diese Fragen aber werden immer noch von den Gleichen gestellt.

Eine Hochschule von morgen gibt diese Fragen aus der Hand. Sie bewahrt kein Wissen mehr: Sie ist ein Labor.

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