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Debatte Judith Butler über ObamaHoffnung gebiert Enttäuschungen

Kommentar von Judith Butler

Nein, Barack Obama ist kein Erlöser. Und wenn er nicht gleich zu Beginn seiner Amtszeit entschiedene Schritte unternimmt, wird er bald als falscher Prophet geschmäht werden.

Die Wahl Barack Obamas ist fraglos von historischer Bedeutung. Eine "Erlösung", wie vielfach beschworen, ist sie nicht und kann sie auch nicht sein. Es gab immer gute Gründe, die Idee "nationaler Einheit" gerade nicht als Ideal zu begrüßen und gegenüber jedweder absoluten und unhinterfragten Identifikation mit einem politischen Führer misstrauisch zu sein. Noch wichtiger wird das Nachdenken über die Identifikation mit der Wahl Obamas, wenn man bedenkt, dass die Unterstützung für Obama mit der Unterstützung konservativer Anliegen zusammenfiel. In gewisser Weise erklärt das seinen "grenzüberschreitenden" Erfolg. In Kalifornien gewann er mit 60 Prozent der Stimmen, zugleich sprach sich ein signifikanter Anteil derjenigen, die ihn wählten, gegen gleichgeschlechtliche Ehen aus (52 %). Wie ist dieser offensichtliche Widerspruch zu verstehen?

Die Gründe, warum die Leute Obama gewählt haben, scheinen vorrangig ökonomische und ihre Argumente eher von neoliberalem Vernunftdenken als von religiösen Anliegen geprägt. Das ist ganz klar einer der Gründe dafür, warum die Rolle, die Sarah Palin zugedacht war, am Ende ihren Zweck verfehlte. Wenn aber "moralische" Fragen wie Waffenkontrolle, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und die Gleichstellung Homosexueller nicht mehr wie früher den Ausschlag gegeben haben, liegt das vielleicht daran, dass wir uns mit neuen Konstellationen des politischen Denkens konfrontiert sehen, die es möglich machen, offensichtlich widersprüchliche Ansichten miteinander in Einklang zu bringen. Das stach besonders bei jenen Wählern ins Auge, die explizit zu ihrem eigenen Rassismus standen, aber sagten, sie würden dennoch Obama wählen. Das zeigte sich in Äußerungen wie: "Ich weiß, dass Obama Moslem und Terrorist ist, ich werde ihn aber trotzdem wählen; er ist wahrscheinlich besser für die Wirtschaft."

Man darf auch nicht unterschätzen, welchen Einfluss die Enttäuschung und der Abscheu über die Art, in der George W. Bush die USA in der Welt "repräsentiert" hat, auf diese Wahl hatte - die Scham über unsere Folterpraktiken und die illegalen Kerker, der Ekel darüber, dass wir auf der Grundlage falscher Behauptungen Krieg geführt und rassistische Anschauungen über den Islam verbreitet haben, sowie die Bestürzung und das Entsetzen darüber, dass die extreme ökonomische Deregulierung zu einer globalen Wirtschaftskrise geführt hat.

Hat Obama am Ende trotz oder wegen seiner Herkunft am Ende den Vorzug erhalten? Er erfüllt seine repräsentative Funktion, in dem er gleichermaßen schwarz und nichtschwarz ist (einige sagen, er sei "nicht schwarz genug", andere sagen, er sei "zu schwarz"). Deshalb findet er bei Wählern Anklang, die ihre Ambivalenz in dieser Frage nicht nur keineswegs auflösen können, sondern dies auch gar nicht wollen. Die öffentliche Figur, die der Bevölkerung erlaubt, ihre Ambivalenz zu erhalten und zu maskieren, erscheint nichtsdestoweniger als Figur der "Einheit": das ist wahrlich eine ideologische Funktion.

Wie gut stehen die Chancen, dass wir am Ende enttäuscht werden, wenn sich die Fehlbarkeit dieses charismatischen Führers zeigt - seine Bereitschaft zum Kompromiss, ja vielleicht sogar zum Verrat an Minderheiten? Immerhin ist Obama wohl kaum ein Linker - ungeachtet des "Sozialismus", den ihm seine konservativen Gegner unterstellten. In welcher Weise werden seine Handlungen durch Parteipolitik, Wirtschaftsinteressen und Staatsmacht eingeschränkt sein; in welcher Weise wurden sie schon kompromittiert? Wenn erklärte Rassisten gesagt haben, "ich weiß, er ist Moslem und Terrorist, aber ich werde ihn allemal wählen", gibt es sicherlich auch Leute in der Linken, die sagen: "Ich weiß, er hat die Homosexuellen und die Palästinenser verraten, aber er ist noch immer unserer Erlöser." Das ist die klassische Formel der Verleugnung.

Zweifellos wird Obamas Sieg erhebliche Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Kurs der Nation haben. Wir können wohl davon ausgehen, dass er neue Prinzipien für eine wirtschaftliche Regulierung verfolgen wird und einen ökonomischen Ansatz, der sozialdemokratischer Politik in Europa ähnelt. In der Außenpolitik werden wir das Wiederaufleben multilateraler Beziehungen erleben. Und es wird in sozialen Fragen sicherlich einen liberaleren Trend geben. Es sollte aber daran erinnert werden, dass Obama nicht die allgemeine Gesundheitsversorgung unterstützt hat - und dass er es unterlassen hat, sich explizit für das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehen auszusprechen. Schließlich gibt es nicht allzu viel Grund zu der Hoffnung, dass er eine gerechte Politik der Vereinigten Staaten im Nahen Osten formulieren wird.

Die unbestrittene Bedeutung seiner Wahl liegt darin, dass er die Schranken überwunden hat, die dem Aufstieg von Afroamerikanern implizit auferlegt sind. Seine Wahl hat junge Afroamerikaner inspiriert, und sie wird das weiter tun; sie hat zugleich einen Wandel im Selbstverständnis der Vereinigten Staaten bewirkt. Wenn Obamas Wahl den Willen einer Mehrheit ausdrückt, von diesem Mann "repräsentiert" zu werden, dann folgt daraus, dass neu bestimmt wird, wer "wir" sind. Denn wir sind eine Nation vieler "Ethnien", gemischter "Ethnien"; und dieser Moment ermöglicht uns zu erkennen, wer wir geworden sind.

Welche Folgen aber wird die fast messianische Erwartung haben, die in diesen Mann gesetzt wird? Damit diese Präsidentschaft erfolgreich wird, muss sie auch einige Enttäuschungen mit sich bringen: Der Mann wird menschlich werden, er wird sich als weniger mächtig erweisen, als wir es uns vielleicht wünschen würden. Obamas Wahl heißt, dass sich das Terrain der Auseinandersetzungen verschoben hat. Aber es bedeutet nicht, dass die Auseinandersetzungen beendet sind, und wir wären sehr dumm, das zu glauben, und sei es nur vorübergehend.

Obamas einzige Chance, eine folgenreiche und dramatische Enttäuschung zu vermeiden, besteht darin, in den ersten zwei Monaten seiner Präsidentschaft schnell und entschieden zu handeln. Das heißt, Guantánamo zu schließen und einen Weg zu finden, die Inhaftierten an legitime Gerichte zu überweisen; außerdem, einen Plan für den Abzug der Truppen aus dem Irak zu schmieden und damit zu beginnen, diesen Plan in die Tat umzusetzen. Die dritte Tat wäre, seine kriegerischen Ansichten über eine Verschärfung des Kriegs in Afghanistan zu revidieren und auch auf diesem Schauplatz diplomatische und multilaterale Lösungen anzustreben.

Wenn er es unterlässt, diese Schritte zu unternehmen, wird sein Rückhalt in der Linken deutlich zurückgehen, und wir werden eine neuerliche Spaltung zwischen liberalen Falken und der Antikriegsbewegung erleben. Wenn er Leute wie Lawrence Summers (Ex-Finanzminister unter Bill Clinton, d. Red.) in seinem Kabinett mit Schlüsselpositionen bedenkt oder die verfehlte Wirtschaftspolitik von Clinton und Bush weiterführt, dann wird der Messias irgendwann als falscher Prophet geschmäht werden.

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3 Kommentare

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  • V
    vic

    Will das denn niemand kapieren.

    Was Bush in acht Jahren niedergerissen hat, kann nicht in wenigen Tagen repariert werden. Wenn überhaupt.

    1; Es wird besser als unter Bush, das ist nicht schwer. 2; Es wird lange Zeit in Anspruch nehmen bis man davon etwas bemerkt.

    3; Er kann nicht über Wasser gehen.

  • K
    kritz

    Wenn Obama wirklich etwas verändern möchte, kann er es nicht allen recht machen, er wird viele seiner Wähler vor den Kopf stossen müssen.(So wie jeder Politiker eigentlich.)

    Das Paradoxe ist, dass man nur Wahlen gewinnen kann, wenn man Erwartungen weckt, die man nicht erfüllen kann.

    Je grösser die Veränderung sein wird, die er bewirkt, desto zahlreicher und gefährlicher werden seine Feinde sein.

  • A
    anke

    Die Frage ist nicht ob, sondern wann, von wem und in welchem Umfang Obama des falschen Prophetentums bezichtigt werden wird. Diese drei Fragen jedoch können tatsächlich von einigem Interesse sein – zumindest für Fans und Gegner einer Weltmacht USA.

     

    Obama hat mit seinem Slogan eine Wahl gewonnen. So etwas wie der viel besungene Schmelztiegel sind die USA dadurch aber nicht geworden. Der alte Traum, den viele US-Amerikaner teilen und der für einen Augenblick zum Greifen nahe schien, wird auf absehbare Zeit ein uneingelöstes Versprechen bleiben. In einem Land, das den Individualismus geradezu kultisch verehrt, kann (und muss!) jedes WIR nur eine Fatamorgana sein. Eigenständiges Denken und Handeln hat schließlich immer etwas mit eigenen Zielen und Prioritäten zu tun, und dass aus den jeweils eigenen Ziele von dreihundert Millionen Menschen über einen Wahlkampf hinaus auch nur ungefähr so etwas wie Politik werden könnte, darf nicht erwarten, wer in Mathematik schon mal was von Wahrscheinlichkeiten gehört hat. Über den Proiritäten braucht man da noch gar nicht reden.

     

    Es kann nur einen US-Präsidenten geben. Dieses 'Prinzip vom Einen' setzt sich quer durch die Gesellschaft bis an die "Basis" hinunter fort. Es wird eher früher als später zu Brüchen im neuen WIR führen. Wer wie viel "Geduld" haben wird, entscheidet deshalb nicht weniger über den (gefühlten) Erfolg einer von vielen Hoffnungen begleiteten Präsidentschaft, als Wirtschaftsdaten oder die Gefallenenstatistik.