piwik no script img

Debatte ItalienFünf Sterne, drei Krisen

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Die M5S-Bewegung von Beppe Grillo hat mehr zu bieten als Euro-Skepsis: Als Erste hat sie Italiens Niedergang auf die politische Agenda gebracht.

In apokalyptischer Montur: Beppe Grillo am Strand von Marina di Bibbona. Bild: ap

I st Beppe Grillos Movimento5Stelle (M5S) Italiens Fieber? Oder nicht vielmehr das Thermometer? Diese Frage bewegt die italienische, die europäische Presse. Gerade in Deutschland waren die Reaktionen auf das Wahlergebnis von Unverständnis, ja von Entsetzen geprägt.

Da hatten die Italiener das Glück, im letzten Jahr von einem Gentleman regiert zu werden, von einem, der das Land wieder auf den richtigen Weg gebracht, den Haushalt saniert, das internationale Vertrauen wiederhergestellt hatte – und was machen sie nun? Voller Undankbarkeit stimmen sie für „zwei Clowns“, wie es Peer Steinbrück (und der Economist) auf den Punkt brachte.

Aus dieser Perspektive ist die Sache mit Grillo (und neben ihm Berlusconi) klar. Doch es gibt gute Gründe für die Auffassung, dass er und sein M5S ein Thermometer sind, das weit mehr misst als den Widerstand eines Gutteils der Wählerschaft gegen die im Namen der Eurorettung vorangetriebenen Austeritätspolitiken.

Die Jungen zahlen die Zeche

Christian Jungeblodt

ist Italien-Korrespondent der taz. Er lebt und arbeitet in Rom.

Die 5-Sterne-Bewegung nämlich entstand und wuchs weit eher, als die Eurokrise im Sommer/Herbst 2011 Italien voll erfasste. Gleich drei Krisen bilden den Nährboden für den „Grillismus“: die strukturelle, mit dem schlichten Wort „Niedergang“ beschriebene Krise des Landes, die seit mehr als einem Jahrzehnt anhält; die moralische Krise der Politik und der Parteien; und schließlich – erst in den letzten eineinhalb Jahren – die akute Krise rund um den Euro.

Viele haben es heute verdrängt, doch das Wort „declino“ – „Niedergang“ – war in Italien schon lange vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 und der folgenden globalen Finanzmarktkrise ein stehender Begriff. Seit Jahren stagniert das Land mit Wachstumsraten nahe null, seit Jahren auch sind keine Produktivitätszuwächse mehr zu verzeichnen, seit Jahren verliert Italien Positionen auf den internationalen Märkten.

Den höchsten Preis für diese Entwicklung zahlten die jüngeren Generationen. Von Glück konnte reden, wer einen prekären Job mit miserabler Bezahlung fand, und Jahr für Jahr wanderten Zehntausende Hochschulabsolventen ins Ausland ab. Den heute unter 40-Jährigen sagt das Wort „Sicherheit“ nichts, zudem haben sie das klare Gefühl, von der Politik völlig vergessen worden zu sein. Es war eben diese Generation – von jungen, meist sehr gut gebildeten Menschen –, die von 2005 an den harten Kern der damals entstehenden Bewegung Beppe Grillos bildete.

Die Kaste und der Populismus

Parallel dazu explodierte die moralische Krise der Politik, der Parteien. Im Jahr 2007 erscheint das Buch „La casta“ („Die Kaste“) der beiden Journalisten Gian Antonio Stella und Sergio Rizzo; im Nu erreicht es eine Auflage von über einer Million.

„Die Kaste“: Dieser Terminus wird zur gängigen Bezeichnung für Italiens politische Klasse, die sich skrupellos äußerst großzügig selbst bedient: Rekorddiäten, Dienstwagen ohne Ende, Restaurants in Kammer und Senat, in denen die Volksvertreter hervorragend speisen, allerdings zu Preisen auf Armenküchen-Niveau: All dies wird zum täglichen Gesprächsstoff der Bürger.

Doch die Parteien, auch von der Linken, reagieren verschnupft auf die Anschuldigungen, die regelmäßig als „purer Populismus“ abgetan werden. Die eine oder andere kleine Anpassung erfolgt dann doch, so werden zum Beispiel die Preise im Senats-Restaurant deutlich erhöht (und das Restaurant kurz darauf wegen drastischer Umsatzeinbrüche geschlossen). Doch immer scheint es, als vollzögen die Parteien jene Beschneidung der eigenen Privilegien wider Willen, nicht aus echter Überzeugung.

Auch diese zweite Krise wurde zum kräftigen Motor für die 5-Sterne-Bewegung. Politiker und Medien erleben voller Staunen, dass sich im Herbst 2007 allein in Bologna 50.000 Menschen zum „Leck-mich-am-Arsch-Tag“ versammeln (und weitere Zehn- wenn nicht Hunderttausende tun es ihnen auf den Piazze der anderen italienischen Städte gleich), als an nur einem Tag 340.000 Unterschriften für ein Bündel von Gesetzesvorschlägen gegen die „Kaste“ – verurteilte Politiker raus aus dem Parlament, Beschränkung des Mandats auf zwei Legislaturperioden etc. – zusammenkommen.

Von jenem Moment an schlägt die Grillo-Bewegung Wurzeln, sie dehnt sich mit lokalen Gruppen im ganzen Land aus. Spätestens bei den Kommunalwahlen im Mai 2011 (vor dem Ausbruch der Eurokrise in Italien also) zeigen sich die Resultate. Vorneweg in der „roten“ und reichen Emilia-Romagna – aber nicht allein dort – erreicht M5S in zahlreichen Städten Ergebnisse zwischen 8 und 12 Prozent, ziehen Dutzende „Grillini“ in die Stadträte ein. Und Zehntausende Personen, in der Mehrheit jung und mit Hochschulabschluss, oft genug mit linker politischer Vergangenheit, sind in den lokalen Netzen der Bewegung aktiv.

Die Linke weiß es besser

Und die Politik? Weiterhin ignorieren die Parteien die sich aufbauende Welle. Auch von dem gemäßigt linken Partito Democratico (PD) hagelt es Populismusvorwürfe. Dahinter steckt die alte Überheblichkeit der Linken, die noch aus den glorreichen Zeiten der KPI rührt – „nur wir wissen, was das Land braucht“; die Protestbewegungen mögen sich, bitte schön, dem Primat der Partei unterordnen. Den Rest besorgen weitere Korruptionsskandale quer durch das Land, quer durch die politischen Lager.

Derweil werden die gewöhnlichen Sterblichen von der dritten, der akuten Eurokrise hart getroffen. Jetzt kann die M5S-Bewegung flächendeckend Konsens gewinnen: Sie wird zur Bewegung, die am homogensten im ganzen Land vertreten ist, von den rechten Regionen des Nordostens über das „linke“ Mittelitalien zum in ökonomischer Depression versinkenden Süden, von den Arbeitern Tarents bis zu den Kleinunternehmern des Veneto.

Mag sein, dass die Stimme für M5S ein „Protestvotum“ ist, doch diese Charakterisierung ist nicht hilfreich: Der Protest entsteht aus der Tatsache, dass ein gutes Viertel der Wähler im Angesicht der drei Krisen des Landes den Vorschlägen jener Parteien einfach nicht mehr glaubt, die den Niedergang Italiens über Jahre ignoriert haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • WS
    Wolfgang Stoeth

    Nicht nur in Italien, auch hier in Deutschland brauchen wir dringendst einen Grillo.

  • V
    vic

    Cooles Outfit hat er jedenfalls, der Beppe. Dafür einen Punkt von mir.

  • CS
    Christian Schmidt

    Also ob das mit der Produktivitaet ganz so stimmt ist fraglich. Unter Berlusconi wurde das kuendigen einfacher und man kann annehmen das ein Effekt war das einige bisher schwarz bestehende Jobs nun angemeldet wurden. Da die Schaetzungen zum BSP aber Schwarzarbeit mit einschliessen gaebe es dann einen statischtischen Effekt das die Produktivitaet (relativ) sinkt (da BSP ueber mehr Jobs verteilt wird) waehrend es das in Wahrheit gar nicht tut.

  • H
    H.Ewerth

    Ich finde es schon sehr bezeichnend, dass die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland noch immer glaubt, anderen Ländern sagen zu müssen was richtig oder was falsch ist?“ Am deutschen Wesen, soll, wenn schon nicht die Welt, so zu mindestens Europa genesen“? Ich bin davon überzeugt, sowohl Deutschlands Herrschende, als auch Brüssel, sehen vor lauter Wald die Bäume nicht mehr. Jedes Land das bisher der Troika gefolgt ist, verliert an Wettbewerbsfähigkeit, die Schulden steigen, die Arbeitslosenzahlen ebenso. Man braucht nicht zu studiert haben um zu wissen, dass immer weniger Einnahmen, zuimmer mehr Schulden führen, und nicht umgekehrt? Es wird nie gelingen, und es ist auch in der Vergangenheit nie gelungen, ein Spardiktat nach dem anderen zu verordnen, und gleichzeitig die Schulden zu senken, das Gegenteil war und ist der Fall. Das einzige Europäische Land, welches nicht die Banken sondern die Bürger gerettet hat, war Island!

  • HB
    hans bernd paul görgens

    Die M5S-Bewegung ist sicherlich ernst zu nehmen. Ich war auf der Abschlusskundgebung in Rom und habe den Eindruck gewonnen, dass es sich nicht um reine Protestwähler handelt, die einem populistischen Clown hinterherlaufen. Ja, Italien leidet seit Jahren an ökonomischer Stagnation, die moralische Krise der Politik ist eklatant und die Finanzkrise beutelt das Land noch mehr.

    Also kommt es darauf an, einen Ausweg zu finden. Was hat M5S zu bieten? M.Braun schreibt, dass die Wähler der M5S nicht mehr an die Vorschläge der etablierten Parteien glauben. Aber was sind die Vorschläge der Bewegung ?

    Auf dem Tisch liegen die acht Punkte von Bersani, der darin die zentralen Inhalte und Vorhaben für eine Regierung benennt. Was ist daran überheblich ? Beppe Grillo reagiert mit wüsten Beleidigungen und nennt Bersani einen Schmarotzer und Stalker. Man kann nur hoffen, dass die Abgeordneten der M5S ihren eigenen Kopf gebrauchen und sich ihre Politik nicht von diesem Grossmaul vorschreiben lassen.

    Und ich hoffe, dass M. Braun mehr über die politischen Lösungsvorschläge zur Überwindung der italienischen Krisen schreibt.

  • HH
    Hans Haug

    Was der gute Herr Braun schreibt zeigt mehr über ihn selbst, als über die Situation in Italien. Im Dezember fand er die Option interessant, dass sich Berlusconi wider durchsetzt, weil dieser gegen den Euro sei. Und dies wäre schon mal gut. Die Aussage ist so quer, wie jene, dass Hitler nicht schlecht wäre, weil er die Autobahnen bauen liess. Alles andere, was hinter der Person Berlusconi steht, ist anscheinend weniger interessant.

     

    Unser Adolf wurde durch Protest gewählt ("nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber", so kritisierten die damaligen Kommunisten diesen Trend) Mussolini gründete auch eine "Bewegung" wie jetzt Grillo und brachten mindestens ebenso viele Menschen auf die Plätze (Was sagt das aus?). Alles soll transparent sein - doch wer eine andere Meinung wie Grillo hat, soll seinen Hut nehmen. Wie sich die Bewegung zu bewegen hat, bestimmt eine Person. Bersusconi wurde hauptsächlich von Hausfrauen gewählt - wahrscheinlich auch Protestwählerinnen. Und dass diese Männer wie Berlusconi und Grillo sich nicht mit der Kirche anlegen - was sagt uns das?

     

    Dass vieles schief läuft in Italien ist offensichtlich - doch mir machen diese Personen, die sich Berlusconi und Grillo anvertrauen Angst und nicht nur mir als Deutschem, der sich links wähnt.

  • H
    HamburgerX

    Linkspopulismus = gut. Rechtspopulimus = böse.

     

    Gähn...

  • BG
    Bernd Goldammer

    Zum Glück ist das in Deutschland gaaaaaanz anders.

  • R
    reblek

    "Voller Undankbarkeit stimmen sie für 'zwei Clowns', wie es Peer Steinbrück (und der Economist) auf den Punkt brachte." - Da hat sich Herr Braun aber mächtig verhauen. Denn nach diesem Satz hätte Steinbrück richtig geurteilt. Aber wer den Text von Braun liest, wird feststellen, dass Steinbrück mit seinem dämlichen Verdikt weiter danebenliegt, als, um es volksmundig zu schreiben, "es die Polizei erlaubt".