Debatte Identitäten: Zukunft - nicht Herkunft
Barack Obama gilt in Deutschland als "schwarz". Dabei sollte es hier längst Vergangenheit sein, Menschen nach äußeren Merkmalen zu sortieren.
I m Jahre 1963 erschien in der Zeitschrift Playboy ein Interview mit dem US-Bürgerrechtler Malcolm X, in dem dieser ausführte: "I know that white society has always considered that one drop of black blood makes you black." Man sollte meinen, gerade in Deutschland, dessen Verfassung vor 60 Jahren auch im Geiste der Ablehnung von Rassismus geschrieben wurde, würde dieser Satz keine Gültigkeit haben. Weit gefehlt!
In einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung vom 18. Juli wird konstatiert, "dass erstmals ein Schwarzer im Weißen Haus regiert". Dieses Sprachbild auf niedrigstem Niveau behauptet also, Obama sei "ein Schwarzer".
Doch was ist der Sohn eines Vaters aus Kenia und einer Mutter aus Kansas, wenn der Vater eine dunklere und die Mutter eine hellere Hautfarbe hatten? Ein Mensch zunächst und im konkreten Fall auch ein US-Bürger.
Dass seine Hautfarbe thematisiert wird, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Obama ist Präsident eines Landes, in dem erst 1964 die sogenannte Rassentrennung gesetzlich verboten wurde. Obamas Eltern, die 1961 auf Hawaii heirateten, hätten dies in einigen anderen Bundesstaaten der USA nicht tun dürfen. Insofern war es selbstverständlich berichtenswert, dass ein US-Amerikaner mit einem Vater afrikanischer Herkunft ins höchste Staatsamt gewählt wurde.
Die Frage ist allerdings, wie diese Berichterstattung gestaltet wird. Im englischen Sprachraum ist es eher unüblich, Obama als "schwarz" zu bezeichnen. Wenn die unterschiedliche Herkunft seiner Eltern thematisiert wird, ist von ihm meist als "afroamerikanisch" die Rede - und dies in der Regel nur in Zusammenhängen, in denen es relevant ist.
Im deutschsprachigen Raum verhält sich die Presse vielfach anders. "Wer, wenn nicht ein schwarzer US-Präsident, könnte Afrikaner zum Kampf gegen Korruption und Tyrannei aufrufen?", fragte ein Kommentator des Kölner Stadt-Anzeigers am 13. Juli. Vielleicht einer der vielen demokratisch gewählten Präsidenten eines afrikanischen Landes? Genauso gut hätte der Kommentator auch schreiben können: "Wer, wenn nicht ein Neger mit einem richtig wichtigen Amt in der westlichen Welt, könnte seinen Mitnegern in Afrika ins Gewissen reden?"
Eine Überschrift wie "Schwarz ist die Hoffnung" zu formulieren (Focus 5/2007) oder vom "ersten Afrika-Besuch des ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten" (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. Juli 2009) zu schreiben ist bestenfalls unreflektiert, im Grunde ist es dumm. Denn Obamas Wahlkampf hatte "Züge einer integrativen, Spaltungen abschwächenden Zivilisierungskampagne", wie der Wissenschaftler Hans-Peter Waldhoff zu Recht betont. Obama ging es nie um Herkunft, sondern um Zukunft.
Sebastian Edathy ist Sozialwissenschaftler und seit 1998 direkt gewählter SPD-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Nienburg II-Schaumburg (Niedersachsen). Seit 2005 ist er Vorsitzender des Innenausschusses.
Am 15. Januar 2007 veröffentlichte die vom Deutschen Bundestag herausgegebene Zeitung Das Parlament einen Artikel über Bundestagsabgeordnete mit Migrationshintergrund. Meine Mutter war eine gebürtige Mecklenburgerin, mein Vater ein gebürtiger Inder, geboren wurde ich 1969 in Deutschland. In dem Artikel wurde ich freilich zum "indischstämmigen Vorsitzenden des Innenausschusses".
"Indischstämmig" war, akzeptiert man den Begriff, mein Vater. Meine indischen Verwandten in Indien sind nicht indischstämmig, sondern Inderinnen und Inder. Meine deutschen Verwandten in Deutschland sind nicht deutschstämmig, sondern Deutsche, das galt auch für meine Mutter. Was macht mich, der ich hier geboren wurde, "indischstämmig"? Was macht einen Präsidenten der USA, der Eltern unterschiedlicher Hautfarbe hatte, zu einem "Schwarzen"?
Banalität des Rassismus
Ein Mangel an Reflexion! Und die Tatsache, dass es heute immer noch nicht ungewöhnlich ist, Menschen aufgrund ihrer phänotypischen Erscheinung zu sortieren. Der Migrationsforscher Mark Terkessidis nennt dies "die Banalität des Rassismus".
Die Zahl der Treffer im deutschsprachigen Internet für die Begriffe "schwarz, Präsident, Obama" liegt bei 70 Millionen, die Kombination "afroamerikanisch, Präsident, Obama" bei 7.000. Der Grund für dieses Ergebnis dürfte vor allem daran liegen, dass vor dem Hintergrund der Nürnberger "Rassegesetze" in diesem Land bei ethnischen Kategorisierungen eine begründete Zurückhaltung besteht.
Mit Blick auf Obama von einem "Halbschwarzen" zu schreiben verbietet sich offenkundig, wobei - Malcolm X hatte so unrecht nicht - der Begriff des "Halbweißen" vielen hiesigen Journalisten noch schwerer aus der Feder fließen dürfte.
Was also tun im deutschsprachigen Medienraum, wenn man die Hautfarbe des Präsidenten der USA ansprechen, aber vermeintlich nicht rassistisch sein will? Man macht ihn zum "Schwarzen", was erst recht rassistisch und objektiv so falsch ist, wie ihn als "Weißen" zu bezeichnen.
Der große deutsche Soziologe Norbert Elias hätte diesen Vorgang als Beispiel für eine "Pars-pro-toto-Verzerrung" sicherlich mit Interesse verfolgt: Man nimmt eines von vielen, zudem äußerlichen Merkmalen eines Menschen, unabhängig von seiner Relevanz, und erklärt dies für maßgeblich.
Identität ist ein individuelles Produkt. Von außen einem Menschen eine Identität zuzuweisen ist immer problematisch. Unsäglich wird es, wenn - und dann noch verzerrt - ein Mensch auf ein Merkmal reduziert oder von diesem das Wesen seines Seins abgeleitet wird.
Barack Obama ist nicht "schwarz". Das Wort "Mischling" verwendet man in Deutschland aber seit 1945 nicht mehr. Dafür gibt es gute Gründe, die besseren liegen nicht in der Historie, sondern in der Sache: Es gibt keinen pauschalen Grund, über die Farbe einer Haut zu schreiben.
Tut man es aber doch, ist Obama so wenig "schwarz" wie ich "indischstämmig". Da ist mir offener Rassismus fast lieber. "Zebra", wurde mir von einem betrunkenen Mitbürger zugerufen, als ich vor wenigen Tagen in meinem Wahlkreis ein Schützenfest besuchte. Das war wenigstens ehrlich. Der Mann schien zu wissen, was er sagte. Aber nicht alle Journalisten scheinen zu wissen, was sie schreiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland