Debatte Hartz IV-Kinder: Eine Trompete für Mehmet
Der "Bildungschip" verschleiert, dass nicht genug Geld eingeplant ist für die Förderung benachteiligter Kinder. Das schafft Verteilungsprobleme.
B ildungs-Card - das klingt nach Kreditkarte, Computer und Mittelklasse, nicht nach Unterschicht und Sozialfall. Eine Bildungschipkarte für benachteiligte Kinder will Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) einführen. Aber wer sich anschaut, was da kommt, muss feststellen, dass damit Strukturen der alten Sozialhilfe wiederbelebt werden. Und das schafft Verteilungsprobleme.
Die "Bildungscard" soll durch "Familienlotsen" in den Jobcentern zugeteilt werden, in "Vernetzung" mit den Schulen. In diesem "Bildungspaket" sollen auch Zuschüsse zum Mittagessen, zu Feriencamps und Musikuntericht enthalten sein.
Diese Wortkreationen können nicht verschleiern, dass tatsächlich viel weniger Geld für solche Programme vorhanden ist, als die Äußerungen der Ministerin vermuten lassen, die fahrlässig über "Trompetenunterricht" und "Fußballstunden" für Hartz-IV-Empfänger plaudert.
Wer bekommt was?
Fest steht, sagt auch die Ministerin, dass es ab 1. Januar einen "Rechtsanspruch" der Kinder im Hartz-IV-Bezug auf ein "Bildungspaket" geben wird. Das Geld dafür soll aus einer Neuberechnung der Regelsätze für Kinder stammen, die das Statistische Bundesamt und das Bundesarbeitsministerium derzeit erstellen.
BARBARA DRIBBUSCH ist Redakteurin für Soziales im taz-Inlandsressort. Sie interessiert sich für die Auswirkungen von Ökonomie auf Biografien. Zuletzt schrieb sie hier über den Leistungsdruck der Frauen (16. 8.)
Damit hat die Politik entschieden, den zusätzlich errechneten Lebensunterhalt nicht mehr direkt an die Empfänger auszuzahlen, sondern ihn in einen Fonds für Sonderleistungen fließen zu lassen.
Dies mag man als Bevormundung der Hartz-IV-Empfänger geißeln. Allerdings gab es auch schon in der alten Sozialhilfe viele "einmalige Leistungen", die auf Antrag ausgezahlt wurden und nicht im Regelsatz enthalten waren. Das "Bildungspaket" bedeutet somit auch die Rückkehr der "Sachleistungen" aus der alten Sozialhilfe. Was die Frage aufwirft: Wer bekommt was?
480 Millionen Euro sind im Bundeshaushalt 2011 bislang für Zusatzleistungen eingeplant. Das bedeutet bei 1,8 Millionen Kindern aus Familien im Hartz-IV-Bezug im Schnitt 22 Euro mehr pro Monat und Kind. Eine Stunde Nachhilfe pro Woche kostet im Monat 60 Euro. Wem genau steht sie zu? Und wer kriegt einen Zuschuss zum Schulessen? Nur die Kinder in Ganztagsschulen, die so etwas anbieten?
Mancherorts kostet ein Mittagessen an einer Ganztagsschule für ein Kind schon 40 Euro im Monat. Die neuen "Sachleistungen" schaffen erhebliche Gerechtigkeitsprobleme
Der Rechtsanspruch auf ein "Bildungspaket" gilt ab Januar. Die "Bildungschipcard" soll aber erst von Mitte 2011 an in wenigen Modellregionen eingeführt werden. Der Rechtsanspruch muss ab Januar also erst mal über Anträge beim Jobcenter oder die Vergabe von Gutscheinen eingelöst werden. Aber wer entscheidet dann was? Das ist noch nicht geklärt.
Nebulöse Richtlinien
Wenn die Ministerin erklärt, über die Zuteilung etwa von Nachhilfestunden sollen die Schulen "im Austausch" mit den Jobcentern entscheiden, dann bleibt sie absichtlich nebulös. Die Lehrer können kaum ein verbindliches Urteil über finanzielle Leistungen des Jobcenters treffen.
Theoretisch könnten die Jobcenter den Schulen zwar bestimmte Kontingente an Nachhilfestunden für ihre Schüler aus Hartz-IV-Familien zur Verfügung stellen oder Gutscheine für Instrumentalunterricht an die Musikschulen ausgeben. Doch welche Schule hat Lust, dann eine Auswahl zu treffen? Und welche Kinder bekommen dann Gitarrenunterricht - nur die, die eine passende Einrichtung vor Ort haben und eine Melodie nachsummen können?
Nach dem bisher bekanntgewordenen Von-der-Leyen-Konzept soll ein Anspruch auf "Lernförderung" nur bei "nachweislich erforderlicher Förderung" bestehen. Zur Finanzierung von Kulturangeboten gibt es noch nichts Genaues. Man darf also gespannt sein auf das Gesetz, das Ende Oktober kommen soll. Und auf die Richtlinien zur Geldvergabe, die dann vielleicht für die Jobcenter erlassen werden.
Dazu gibt es ein pikantes Detail: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar schlug die Bundesagentur für Arbeit einen Härtefallkatalog für Familien im Hartz-IV-Bezug vor. Darin war Nachhilfeunterricht für Kinder vorgesehen, wenn eine "Versetzungsgefährdung" bestünde. Das hätte einen großen Kreis an Berechtigten eröffnet.
Die Bundesarbeitsministerin ließ diesen Passus, der auch dem alten Sozialhilferecht entsprach, im neuen Härtefallkatalog aber nicht zu. Das Jobcenter zahlt Geld für Nachhilfe derzeit nur, wenn sich in der Familie ein Todesfall ereignet hat oder das Kind lange krank war. Nachhilfe erst einzuschränken und dann im Rahmen einer groß beworbenen "Bildungs-Card" wieder vollmundig zu versprechen - das ist schon schräg.
Auf zu den Sozialgerichten!
Nun könnte es so laufen: Der Rechtsanspruch auf ein "Bildungspaket" ist da, aber den Eltern und den Schulen sind die Antrags- oder Gutscheinverfahren über die Jobcenter zu kompliziert, vielleicht verlangen die Anträge auch zu viele Deutschkenntnisse. Die Leistungen werden kaum abgerufen. Dann reicht das Geld, eben weil das Projekt gescheitert ist.
Aber es gibt auch ein anderes Szenario: Tausende von Eltern im Hartz-IV-Bezug bemühen sich um Nachhilfe oder Instrumentalunterricht für ihre Kinder, Leihinstrument inklusive. Nicht nur Johannes und Charlotte, sondern auch Kevin und Mehmet würden vielleicht gerne Trompete spielen lernen oder im Sportverein Fußball spielen.
Deren Eltern klagen dann vor den Sozialgerichten gegen die Vergabepraxis von Nachhilfe- , Sport- und Musikstunden, wenn ihr Nachwuchs nicht berücksichtigt wird. Dann kippte das Negativimage der angeblich so bildungsfernen Familien im Hartz-IV-Bezug.
Dann würde klar, dass Klavierunterricht und Englischferienkurse nicht in erster Linie eine Frage von Bildungsnähe, sondern von Geldnähe sind. Es entstünde politischer Druck, dass an den Schulen selbst alle mehr gefördert und nicht nur Sonderpakete über die Jobcenter verteilt werden.
Eine solche Wende in der Debatte wäre spannend. Sie würde die oft überhebliche Bildungsdebatte wieder auf materielle Füße stellen.
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