Debatte Grüne und Koalitionen: Rot-Rot-Grün ist möglich
Die Grünen stehen vor der Aufgabe, ihre Bündnisoptionen zu erweitern. Ihre grünen Inhalte dürfen sie dabei aber nicht aufgeben. Fünf Thesen.
W ir Grünen sollten über künftige Regierungsoptionen debattieren, ohne dass es zu einer innerparteilichen Zerreißprobe kommt. Nach dem Generationenwechsel sind die Vorzeichen dafür günstig. Fünf Punkte sind dabei zentral.
Nach dem enttäuschenden Wahlergebnis stehen wir vor der Aufgabe, die Gründe für unsere Verluste aufzuarbeiten. 2013 haben wir keine Koalitionsmöglichkeit explizit ausgeschlossen, aber faktisch einen rot-grünen Wahlkampf geführt – deutlich sichtbar durch gemeinsame Veranstaltungen und Presseauftritte. Damit haben wir angeschlossen an die Wahlkämpfe 2005 und 2009.
Ab dem Sommer war die rot-grüne Erfolgsaussicht gering – das war ein zentraler, wenn auch bei weitem nicht der einzige Grund für unsere erneute Wahlniederlage. Wir stehen vor der Aufgabe, daraus Lehren zu ziehen. Wir müssen die Frage beantworten, wie wir im nächsten Wahlkampf einer mangelnden Mobilisierung durch fehlende Machtoptionen vorbeugen.
Wie werden daran arbeiten müssen, erweiterte Bündnisoptionen in den Bereich des Möglichen zu rücken. Das muss mit der gesamten Partei geschehen. Gegen eine Pizza-Connection ist nichts einzuwenden – wenn dort Realos und Linke gemeinsam mit den Unionsleuten speisen. Umgekehrt müssen bei Gesprächen mit SPD und Linken selbstverständlich beide Flügel vertreten sein.
Das Gleiche gilt für die anderen Parteien. Eine Annäherung und Auslotung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden kann es nur geben, wenn liberale Unionsleute und CSU-Hardliner am Tisch sitzen. Oder wenn bei den Linken eben nicht nur die ostdeutschen Reformer mit dabei sind.
Die Sondierungsgespräche mit der Union haben das schwarz-grüne Verhältnis entkrampft. Doch für eine potenzielle Aufstellung für 2017 ergibt sich ein Dilemma. Auf einem Bein kann man schlecht stehen. Ohne rot-rot-grüne Option könnten wir leicht verlieren, wenn unsere einzige weitere Machtoption Schwarz-Grün wäre. Und einen Wahlkampf, der in einen Schönheitswettbewerb um die Union ausartet, können wir nicht wollen.
Neue Optionen schaffen wir uns nur dann, wenn wir unseren Inhalten treu bleiben, wenn wir für sie kämpfen und versuchen, darüber Mehrheiten zu generieren. Wenn wir uns klein machen, uns anpassen und unsere Kernanliegen verwässern, werden wir verlieren.
Ein mechanisches Politikverständnis ist da fehl am Platz. Im letzten Wahlkampf standen wir nicht zwischen SPD und Linken, wie einige analysieren. Beim Mindestlohn standen wir rechts der beiden Parteien. Bei Bürgerrechten oder Ökologie waren wir deutlich progressiver. Auch in der Außenpolitik haben wir unseren eigenen Kurs gefahren.
Aus der falschen Analyse, wir hätten zwischen Linken und SPD gestanden, ziehen einige den Schluss, wir müssten uns nun umtopfen und zwischen SPD und Union verorten. Das halte ich für brandgefährlich. Zwischen zwei großen Mühlsteinen ist das Leben mitnichten besser. Auch folgt das Bild von uns zwischen anderen Parteien einer falschen Logik. Es definiert uns über andere. Das ist das Gegenteil einer selbstbewussten Eigenständigkeit.
Mit der Neuaufstellung in Bundesvorstand und Bundestagsfraktion erfolgt ein Generationenwechsel klar erkennbar. Die Generation, die heute in den Hintergrund tritt, ist deutlich geprägt von den 68ern. Sie hat Deutschland verändert und zu einem vergleichsweise progressiven Land gemacht.
Meine Generation muss zeigen, ob sie die Standhaftigkeit der 68er besitzt, gegen harte Interessen Politik zu gestalten. Wir sind möglicherweise weniger wandelbar – und vielleicht müssen wir es auch nicht sein: Der Weg von Lenin und Mao zu einer rot-grünen Regierung war sicherlich weiter, als der Weg von Rot-Grün zu einer anderen Machtoption je sein wird.
Einen Vorteil hat meine Generation: Wir haben uns nicht in tiefe Schützengräben eingegraben. Wir arbeiten zwischen den Flügeln offener zusammen, bei allen Konflikten. Ich sehe es als Aufgabe, diese Offenheit in der Kommunikation und in der Auseinandersetzung zu bewahren. Daraus kann Vertrauen erwachsen und damit Kraft und neue Größe.
Die Frage, welche Bündnisse wir eingehen können, hängt nicht von uns allein ab. Auch SPD, Union und Linke werden sich weiterentwickeln und – mit uns und ohne uns – über Bündnisoptionen diskutieren. Steuern können wir diese Prozesse nicht, aber wir sollten die Offenheit haben, mit allen Chancen auszuloten. Dann – und erst dann – werden wir prüfen müssen, wo es Überschneidungen gibt und wo auch nicht. Unsere Präferenz für Rot-Grün wird dabei resultierend aus unserer Programmatik bleiben.
Die am vorvergangenen Wochenende auf dem SPD-Parteitag endlich erfolgte Öffnung zur Linkspartei vergrößert den politischen Spielraum und könnte sich als Meilenstein erweisen. Das trifft ebenso auf das Angebot der hessischen CDU zu, mit den Grünen Koalitionsverhandlungen zu führen. Werden diese erfolgreich abgeschlossen, würde Schwarz-Grün in einem Flächenland umgesetzt und Grün im Bundesrat gegen eine Große Koalition gestärkt.
Kellner ist seit Oktober Politischer Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen. Davor war er im Koordinierungsteam Grün.-Links.Denken, dem Strömungsnetzwerk des linken Flügels, und von 2004 bis 2009 Büroleiter von Claudia Roth.
Ein Blick zurück zu den Wahlkämpfen in den Ländern zeigt, wie schwer Offenheit jenseits von Rot-Grün zu kommunizieren war. Das war ja auch der Hauptgrund, warum 2013 erneut Rot-Grün im Fokus stand. Und dass wir heute in sechs Ländern gemeinsam mit der SPD regieren, ist sicher kein Zufall. Experimente wie Schwarz-Grün in Hamburg und Jamaika im Saarland haben sich als wenig belastbar erwiesen.
Das zeigt, dass wir nicht nur grün-intern Bündnisoptionen ausloten müssen, sondern in einem offenen Prozess auch unsere WählerInnen mitnehmen müssen. Das dürfte die schwierigste Aufgabe sein. Es ist daher richtig, dass die hessischen Grünen ein Modell ausloten. Es wäre wünschenswert, wenn in den nächsten Jahren auch rot-rot-grüne Landesregierungen folgen würden.
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