Debatte Glaubenskrieg: Wie man keinen Dialog führt
Die Vorgänge rund um die Vergabe des Hessischen Kulturpreises sind nicht nur eine Provinzposse. Sie sind auch ein Beleg für christlichen Fundamentalismus.
D ie Vorgänge rund um die Vergabe des Hessischen Kulturpreises sind eine Provinzposse, aber auch ein Indiz für weit mehr. Vier Personen, die sich um den religiösen Dialog verdient gemacht haben, sollten ausgezeichnet werden: Kardinal Lehmann, Peter Steinacker, ehemaliger Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, und Professor Fuat Sezgin.
Letzteren hatte niemand auf der Liste. Der 1924 in der Türkei geborene Sezgin ist ein weltweit renommierter Historiker der Naturwissenschaften. Man musste schon nach Paris reisen, um dort in einer großartigen Ausstellung zu sehen, wie wichtig Sezgins Arbeiten sind. Sie zeigen, wie griechisches Wissen in Astronomie, Mathematik und Medizin nur dank arabischer Gelehrter im frühen Mittelalter überlebte und obendrein weiterentwickelt wurde - zu einer Zeit, als in Europa noch Analphabeten regierten.
Teile des deutschen Feuilletons machten Sezgin, den Historiker des Wissens, zum "Islamwissenschaftler". Fuat Sezgin lehnte den Kulturpreis ab, weil er nicht vergessen hat, wie Salomon Korn den jüngsten Krieg der israelischen Armee gegen die palästinensische Zivilbevölkerung und das Apartheidregime in den besetzten Gebieten vorbehaltlos rechtfertigte. Mit Korn zusammen wollte Sezgin keinen Preis empfangen.
Nach diesem politischen Prolog begann die Posse. Das Vorspiel köchelten die Feuilletons ein, weil der Mainstream hierzulande über israelische Politik und Kriegführung lieber mit gedämpfter Stimme und unter tunlicher Beachtung doppelter Standards diskutiert: hier "Selbstverteidigung", dort "Terrorismus".
Das Kuratorium des Kulturpreises - neun Männer und zwei Frauen - schwieg. Einzig der Generalsekretär des Zentralrats der Juden meldete sich mit dem Vorwurf, Sezgin kaschiere seinen "Antisemitismus" als "Antizionismus". Koch und das Kuratorium ließen den Protest des 84-jährigen Wissenschaftlers abprallen wie den Zwischenruf eines Subalternen. Das Kuratorium mit Mitgliedern wie Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt, Klaus Reichert, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, und Frank Schirrmacher von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat sich durch sein Schweigen disqualifiziert. So sehen Dialoge auf Hessisch aus.
Anstatt einer Debatte über Sezgins Protest begann der zweite Akt der Staatsposse unter der Regie des hessischen Ministerpräsidenten. Der ließ bei dem Schriftsteller und Essayisten Navid Kermani anfragen, ob er als Ersatzmann für Sezgin zur Verfügung stehe. Kermani sagte zu, obwohl er mit "Herrn Korn und mehr noch" mit Koch "Differenzen" habe. Im dritten Akt der Posse traten Kardinal Lehmann und der evangelische Funktionär Peter Steinacker in Aktion - freilich nicht öffentlich, sondern hintenrum. Sie drohten Koch mit der Ablehnung des Preises, falls Kermani mit ausgezeichnet würde.
Von der Posse zum Ernstfall
Und damit mündet die Posse in einen politischen Ernstfall. In dem gemäß Verfassung konfessionell neutralen Bundesland genügte ein Brief der Kirchenhäuptlinge Lehmann und Steinacker, um einen aufgeklärten Muslim wie Kermani als Preisträger auszubooten. Und das Kuratorium kuschte. Frank Schirrmacher von der FAZ ließ verlauten, er sei bei der Sitzung, als Kermani herausgekegelt wurde, nicht dabei gewesen. Dafür hat sein Blatt dann den Skandal öffentlich gemacht. Ein Schelm, wer da an mehr denkt als an Terminprobleme.
Zum wirklichen Ernstfall wird die Posse aber durch die theologische Argumentation der christlichen Kirchenmänner. Kermani - Muslim und strenger der Vernunft verpflichtet als viele fromme Christen - hat Mühe mit dem Kreuz und der damit verbundenen Lehre von der Dreifaltigkeit. Die Probleme bei der Letzteren beginnen bei der Logik - wie wird aus drei eins ohne logische oder wirkliche Gewalt? Und wie kommt es, dass der unter Duldung von Gottvater am Kreuz ermordete, dann ins Grab gelegte und schließlich kraft des heiligen Geistes auferstandene Gottessohn Jesus doch "errettet wird"? Die theologische Branche erklärt das mit dem Wort "Soteriologie", aber keiner weiß so genau zu sagen, welcher Logos oder gar welche Logik solche "Errettung" rückversichern könnte.
Judentum und Islam haben, im Unterschied zu archaischen Religionen, Menschenopfer aus ihrer Praxis getilgt: mit menschen- und gottesfreundlichen Begründungen. Nach dem biblischen Bericht kam Gott bei der Erschaffung der Welt ohne Gewalt aus. Und Abraham tötete seinen Sohn Isaak nicht, obwohl er dazu angestiftet wurde. Kermani kennt diese Geschichten und ist schockiert angesichts der Darstellungen von dem ans Kreuz genagelten Jesus Christus. Ein Menschenopfer der brutaleren Art, über das sich fromme Muslime und Juden sowie Ungläubige aller Fraktionen wundern und angesichts dessen selbst herausragende Theologen wie Friedrich Wilhelm Graf verstummen möchten.
Es ist wohl kein Zufall, dass die Christenmänner Lehmann und Steinacker ausgerechnet wegen Kermanis vornehm aufgeklärter Religionskritik am Kreuzigungsgeschehen ausrasten wie fundamentalistische Prediger. Sie reagierten nervös, klagten über mangelnden "Respekt" (Lehmann) und appellierten an den frommen Landesherrn Roland Koch - ganz wie in den Zeiten vor der Aufklärung, als der Schirm des Absolutismus die Religion beschützte.
Mit dem Kreuz ist es ein Kreuz - auch für nachdenkliche Katholiken wie den katholischen Bischof Franz Kamphaus. Er entdeckt Gewalt "im Innersten der Religion als Opferpraxis". Trotzdem zaubert er den gewaltsamen Tod Christi am Kreuz im Handstreich als "Selbstopfer" weg. Aber Kamphaus hat den Mut, zu fragen, ob nicht die Kommunion beziehungsweise das Abendmahl als "Verzehr von Christi Fleisch und Blut fatal an einen kannibalischen Ritus" erinnert. Der interreligiöse Dialog könnte beginnen, wenn derlei auf den Tisch käme, ohne dass infame Denunziationen vorab für "christliche" Ruhe im Kontor sorgten.
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