Debatte Gefängnisse: Isolationshaft in den USA
Das Reden über Freiheit ist das eine, menschenunwürdige Haftbedingungen sind das andere. Und das betrifft nicht nur Guantánamo.
D er Tausch „ein US-Soldat für fünf Taliban“ hat Bewegung gebracht in den verkrusteten Diskurs um das Gefangenenlager in Guantánamo. Der Deal zeige, dass Weißes Haus und Pentagon trotz der Querschläger der oppositionellen Republikaner etwas tun können Richtung Schließung, sagte Cori Crider, Anwältin in Großbritannien für mehrere Häftlinge. 149 Männer sind noch in Guantánamo.
Freilich löst das Camp im Ausland mehr Entrüstung aus als in den USA. In Barack Obamas Land gibt es vielerlei „Guantánamos“, da kann der Präsident auf dem Warschauer Schlossplatz oder anderswo noch so viele Vorträge über das Prinzip Freiheit und die „in jedem Menschen innewohnende Würde“ halten.
Zehntausende Männer und Frauen werden in den USA in Isolationshaft gehalten. Manche Wochen, manche Jahre, manche Jahrzehnte. Viele wissen nicht, wann und ob sie wieder rauskommen aus den Betonzellen, in denen sie bis zu 24 Stunden am Tag eingesperrt sind, oft ohne Tageslicht und ohne menschlichen Kontakt. Zellen, in denen sie essen, schlafen, Wahnvorstellungen erleiden, Tagträumen nachhängen und defäkieren.
Das Wegsperren hat eine gewisse Methode, so der Psychiater Terry Kupers in einem Lehrbuch über Bestrafung: Wirtschaftlich benachteiligte Menschen und psychisch Kranke bekämen zu Zeiten zunehmender Ungleichheit zu wenig Unterstützung, gelangten in den Strafvollzug und „verschwinden“ in den Haftanstalten. In mehreren Bundesstaaten laufen gegenwärtig vorsichtige Reformbemühungen. Doch für Politiker ist Erleichterung für Isolationshäftlinge kein dankbares Thema, obwohl die schweren psychischen Schäden durch Isolationshaft wissenschaftlich längst belegt sind.
Experimente im Namen der Sicherheit
Isolationshaft („solitary“) begann in den USA als religiös motiviertes Projekt im 19. Jahrhundert. In Philadelphia wurden Verurteilte erstmals allein eingekerkert. Sie sollten in sich gehen, beten und bereuen. Das Experiment hat nicht funktioniert und wurde schließlich aufgegeben. 1890 hielt das Oberste US-Gericht fest, dass viele Häftlinge unter Isolationsbedingungen kaum mehr ansprechbar sind und dass viele gewalttätig und verrückt werden.
In den 1980er Jahren, als die Zahl der Insassen in den Gefängnissen der Bundesstaaten und des Nationalstaates (es war Ronald Reagans „Law and Order“-Zeit) ihren Anstieg begann – von 400.000 auf heute 1,5 Millionen –, wurde erneut mit Isolationshaft experimentiert, angeblich im Namen der Sicherheit.
Glenn Turner aus Wisconsin, 41 Jahre alt, er bekam „lebenslänglich“ wegen vorsätzlichen Mordes, hat nach eigenen Angaben die meisten seiner bisher 19 1/2 Haftjahre in Isolation zugebracht. Gegenwärtig ist er in der „Wisconsin Secure Program“-Anstalt in Boscobel (Wisconsin), die sich auf „Management und Kontrolle von Häftlingen mit schweren Verhaltensproblemen“ spezialisiert.
Turner landete wegen Schlägereien und Regelverstößen in Isolation; er soll auch einen Ableger der „Gangsters Disciples“-Gang organisiert haben. Auf der Webseite eines Hilfsverbandes hat Turner über seine Realität geschrieben: Verzweifelte Mithäftlinge hätten Suizid begangen, die Wände mit Fäkalien beschmiert und sich Schnitt- und Bisswunden zugefügt. In ihrer Verlassenheit „weinen manche den ganzen Tag wie hungrige Babys“.
Heute weiß man nicht einmal, wie viele Menschen in Einzelhaft sitzen. Der Menschenrechtsverband solitarywatch.org schätzt die Zahl auf etwa 100.000. Vierundvierzig der fünfzig Bundesstaaten hätten eigene Anstalten für Isolationshaft. Die nationale Regierung betreibt in Florence, Colorado, ein Supermax-Gefängnis. Dazu kämen Isolationszellen in „Hunderten weiteren Gefängnissen“.
In Isolationshaft kommen angeblich die „Schlimmsten der Schlimmen“. So der in Florence inhaftierte 9/11-Mitverschwörer Zacarias Moussaoui oder der „Schuhbomber“ Richard Reid. Aber meist sind die Geschichten der Häftlinge nicht so spektakulär.
Rechtliche Mittel sind begrenzt
Gefängnisdirektoren und nicht Gerichte entscheiden gewöhnlich, wer wie lange in Einzelhaft kommt. In Isolation landen vornehmlich Gefangene, die psychische Probleme haben oder sich dem Gefängnisalltag nicht anpassen. Rechtliche Mittel gegen Isolationshaft sind begrenzt. Diesen Monat hat ein Gericht erstmals eine Sammelklage von Häftlingen im kalifornischen Pelican-Bay-Hochsicherheitsgefängnis zugelassen. Mehr als 500 Pelican-Bay-Häftlinge sind dort seit mehr als zehn Jahren in Einzelhaft.
Die Klage stelle die „grundlegende Frage“, ob es „mit der Verfassung vereinbar ist, jemanden mehr als zehn Jahre lang in Isolationshaft einzusperren“, erklärte Anwalt Alexis Agathocleous. Die Zellen, in denen die Männer bis zu 24 Stunden am Tag zubringen, seien etwa sieben Quadratmeter groß, Bett, Tisch und Stuhl aus Beton, kein Fenster, eine Toilette und ein Ausguss. Nach 13 Jahren wisse der Häftling Luis Esquivel nicht mehr, wie es sich anfühle, jemandem die Hand zu schütteln. Der Justizvollzug in Kalifornien vertritt die Auffassung, Isolationshaft sei nötig zur Bekämpfung der Gangs.
Mehrere Hungerstreiks, unter anderem in Pelican Bay, haben Aufmerksamkeit erregt, und einige Reformpolitiker wie die Gouverneure von Colorado, New York und Maine haben sich in letzten Jahren mit der Isolationshaft in ihren Anstalten befasst. Aber der Justizvollzug in den USA ist spätestens seit den achtziger Jahren von Vergeltung und Rache geprägt und nicht vom Gedanken, man könne Menschen „resozialisieren“.
So ist Guantánamo ein eher überschaubares Problem, verglichen mit der Isolationshaft im dezentralisierten US-Justizvollzug. Justizminister Eric Holder äußerte sich vergangenen Monat erstmals zur Isolationshaft. Aber ganz vorsichtig. Er kritisierte die „exzessive“ Anwendung von Isolationshaft in Jugendgefängnissen. Dabei ist Holders Ministerium für das Supermax-Gefängnis in Florence zuständig, eine der restriktivsten Haftanstalten in den USA. Einer der Isolationshäftlinge dort, der wegen Mordes an einem Wärter inhaftierte Tommy Silverstein, sitzt bereits seit 1983 in Zellen, die so groß sind wie ein normales Badezimmer.
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