Debatte Gauck: Ruf nach dem Wunderheiler

Aus Überdruss an den Parteien begeistern sich viele Medien für Gauck. Eine Direktwahl des Präsidenten aber ist mit unserem System nicht vereinbar.

Als Noch-Bundespräsident Horst Köhler die Kanzlerin über seine Rücktrittspläne informierte, malte Angela Merkel die Gefahr einer Staatskrise an die Wand. Tatsächlich droht die bundesrepublikanische Parteiendemokratie immer mehr in eine ernste Krise zu geraten. Ausgelöst wurde diese jedoch weniger durch Köhlers Rücktritt als vielmehr durch Merkel selbst und ihre Art und Weise, die Präsidentenfrage zu lösen - im fatalen Zusammenspiel mit Opposition, Medien und Persönlichkeiten wie Monika Maron und Kurt Biedenkopf, die für eine parteiunabhängige Stimmabgabe plädieren.

Der Zuspruch für Joachim Gauck hat inzwischen Züge einer Bewegung mit Wahlkampfcharakter angenommen. So groß ist die Angst der Regierung vor einer Niederlage Christian Wulffs, dass bei der Zusammensetzung der Bundesversammlung fast nur auf Parteipolitiker gesetzt wurde, um unsichere Kantonisten aus dem "Volk" zu verhindern. Das aber ist ein verheerendes Signal: Das höchste Staatsamt erscheint als "Beute der Parteien".

Die Bild-Zeitung kommentierte denn auch bereits hämisch-abfällig: "Der hässliche Deutsche wohnt in den Parteizentralen. Dort sitzen die Neider." Und in der Zeit heißt es drohend: "Legitimität in einer Demokratie ist kein Gottesgnadentum, sondern ein Geschenk des Volkes - seine Rücknahme ist möglich." Selbst der sonst so biedere Berliner Tagesspiegel begrüßt vehement und allenfalls halbironisch den "antipolitischen Erlöser vom Übel allen Parteiengezänks. Hier der Kandidat, dort die schnöde Politik. Gauck ist das Volk."

ist Redakteur der http://www.blaetter.de. Zuletzt erschienen von ihm "68 oder neues Biedermeier" und "Die gefährdete Republik" (beide bei Wagenbach).

Am 30. Juni kommt damit erneut der verhängnisvolle Widerstreit des deutschen Sonderwegs zur Aufführung: zwischen der angeblich bloß formalen Legalität des von den Volksvertretern gewählten Präsidenten und der vermeintlich echten Legitimität des eigentlichen Präsidenten des Volkes und der Herzen, der über allen Partikularinteressen steht. Offenbar möchte man, ganz im Geiste Kaiser Wilhelms, wieder einmal keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche kennen.

Dass der Kandidat Gauck derartige Begeisterung auslöst, liegt keineswegs nur an dessen beeindruckender Vita oder an der parteiförmigen Blässe seines Gegners. Denn obwohl Präsidentenkandidaten zumeist Parteimänner ohne besonderen Glanz waren, ging ihre Wahl in aller Regel geräuschlos über die Bühne.

Warum aber gerade jetzt dieser Aufschrei? Warum schreibt selbst die sonst so staatstragende Zeit, die Kandidatur Wulffs sei "die Machtdemonstration einer kleinen Führungselite, die zeigt, dass sie sich dem deutschen Volk nicht verpflichtet fühlt" - während es sich in Wirklichkeit um den seit sechzig Jahren gängigen Vorgang handelt? Offensichtlich wurde Wulff zur Projektionsfläche für die grassierende Aversion gegen die politischen Parteien. Daran wird deutlich, dass wir es derzeit mit einer wesentlich tiefer gehenden Krise zu tun haben.

Über sechzig Jahre lang erklärte sich die Zustimmung zur Parteiendemokratie zuerst von ihren materiellen Ergebnissen her. Denn mit Beginn des Wirtschaftswunders stieg scheinbar unaufhörlich der Lebensstandard der Bevölkerung. Doch diese Zeiten sind vorbei: Über 50 Prozent der Bevölkerung glauben, dass sich ihr Lebensstandard in den nächsten Jahren verschlechtern wird; drei Viertel sind sogar der Meinung, dass die Politik sich gegen die Finanzmärkte ohnehin nicht mehr durchsetzen kann. Und der katastrophale Start von Schwarz-Gelb hat das Gefühl des Versagens der Politik erheblich verstärkt.

Angesichts dieser dramatischen Vertrauenseinbußen kommt es gerade jetzt umso mehr auf die Partizipation der Bevölkerung an: Je härter die Zeiten, umso mehr muss sich die Politik um Zustimmung des Volkes im demokratischen Verfahren bemühen. Die Auswahl eines Kandidaten mit parteiübergreifender Akzeptanz wäre deshalb die der Krise angemessene Reaktion gewesen. Nun aber droht Merkels Antwort auf die grassierende Flucht der Politiker aus den Institutionen die Institutionen selbst, die politischen Parteien wie das Amt des Präsidenten, zu beschädigen.

Die Wahl des Bundespräsidenten ist damit zu einer klassischen Lose-lose-Situation geworden, die keine Sieger kennt: Was als geräuschlose Krisenbewältigung durch Angela Merkel geplant und angelegt war, erweist sich als Pyrrhussieg ihrer Gegner - nämlich als dramatische Niederlage für alle Parteien und unsere Parteiendemokratie insgesamt.

Wie stellte bereits 1973 Wilhelm Hennis, einer der schärfsten Kritiker des real existierenden Parteienstaates fest: "Die Distanz zwischen politischem Personal und ,Volk' ist größer geworden, sie ist heute vielleicht größer als in Weimar, ja selbst im Bismarckreich. Der ,Parteienstaat', Grundlage der parlamentarischen Demokratie, ist nicht so gesichert, dass er nicht im Namen des ,Volkes' erneut in Frage gestellt werden könnte."

Im Namen des Volkes

Tatsächlich drohen bei einer Wahl Christian Wulffs die bereits jetzt erklingenden Rufe nach einer Direktwahl des Bundespräsidenten noch lauter zu werden. Diese aber ist mit dem klug austarierten Machtgefüge des Grundgesetzes nicht vereinbar. Mehr noch: Die Direktwahl wäre das Einfallstor für jenen erlösenden Populisten, von dem wir bisher (noch) verschont geblieben sind. Aber vielleicht nicht mehr lange: Reichlich naiv wird bereits in der Zeit die Direktwahl als nebulöse "Revolution von oben" gefordert, welche endlich "eine überparteiliche Kontrolle und eine interessenunabhängige moralische Führungsfigur" hervorbringen möge, die die großen Probleme des Landes "fühlt und versteht".

Wer aber wollte glauben, dass sich der erkorene Wunderheiler, so seine Direktwahl beschlossen wäre, mit der im Grundgesetz vorgesehenen repräsentativen Aufgabe begnügen würde? Das Gegenteil wäre der Fall: Der große Konflikt mit der Regierung, wer der eigentliche Inhaber der legitimen Macht im Staate ist, wäre vorprogrammiert. Und nichts spricht dafür, so die Lehre des letzten Jahrhunderts, dass dies unserer Demokratie allzu bekömmlich sein wird.

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