Debatte Friedensdschirga: Großer Basar in Kabul
Die Friedensdschirga berät über Verhandlungen mit den Taliban; deren Menschenrechtsbilanz ist verheerend. Auf Kosten der Menschenrechte aber kann es keine echte Versöhnung geben.
D ie "Friedensdschirga", die jetzt in Kabul tagt, soll Verhandlungen mit den Taliban vorbereiten und legitimieren. Diesen Verhandlungen hat die internationale Gemeinschaft schon Ende Januar auf der großen Afghanistankonferenz in London ihr Plazet erteilt. Nun soll auch die afghanische Bevölkerung überzeugt werden. Dabei drohen die Menschenrechte zur Verhandlungsmasse und die Verbrechen der Taliban vergessen zu werden.
Die Menschenrechtsbilanz der Taliban ist verheerend - das gilt nicht nur für die Jahre von 1996 bis 2001, in denen sie über Afghanistan herrschten, sondern auch für die Gebiete, die sie heute wieder kontrollieren. Frauen werden dort regelrecht in ihren Häusern eingesperrt, können weder arbeiten noch zur Schule oder zum Arzt gehen. Die Taliban attackieren gezielt Zivilisten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten sowie Schulen und Gesundheitsstationen für Frauen und Mädchen. Sie missachten die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht. Nach UN-Angaben waren die Taliban und andere bewaffnete Gruppierungen im Jahr 2009 für zwei Drittel der über 2.400 zivilen Opfer in Afghanistan verantwortlich.
Auch die Regierung von Hamid Karsai tritt die Menschenrechte mit Füßen: wortwörtlich, wenn Mitarbeiter des afghanischen Geheimdiensts auf Häftlinge eintreten, und im übertragenen Sinne, wenn die Regierung Karsai zu wenig unternimmt, um die Rechte von Frauen zu schützen. Öffentlich sichtbare und politisch engagierte Frauen leben in Afghanistan gefährlich. Deswegen treten bei den Parlamentswahlen kaum noch Kandidatinnen an. Und Polizistinnen, die sich für bedrohte Frauen einsetzen, müssen manchmal selbst Zuflucht in Frauenhäusern suchen.
Monika Lüke ist seit Juli 2009 Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International. Zuvor arbeitete die heute 41-jährige Völkerrechtlerin für das britische Außenministerium und die evangelische Kirche sowie für die GTZ in Kenia und Uganda.
Geht es bei der "Friedensdschirga" um die Menschenrechte? Amnesty International ist skeptisch. Denn wer sollte in dieser Versammlung danach fragen? Bestenfalls eine der etwa 20 Frauen unter den 1.600 Teilnehmern, die größtenteils aus regierungsnahen Gruppierungen stammen. Gerade weil die "Friedensdschirga" bisher unter keinem guten Stern steht, ist ein klares Signal nötig: bei potenziellen Verhandlungen mit den Taliban darf es keinen Ausverkauf der Menschenrechte geben. Das gilt insbesondere für die Frauenrechte.
Grundsätzlich hat sich seit dem Sturz des Talibanregimes 2001 für Frauen und Mädchen einiges verbessert: Mädchen können in den Gebieten, die von der Regierung kontrolliert werden, in die Schule gehen, Frauen sind im Parlament vertreten. Die Regierung Karsai hat ein Frauenministerium eingerichtet und eine Frauenquote eingeführt. Die Verfassung sieht gleiche Rechte für Männer und Frauen vor und garantiert die Menschenrechte. Nun muss ihnen echte Geltung verschafft werden! Die Regierung in Kabul muss sicherstellen, dass die Einhaltung der Menschenrechte in Zukunft besser überprüft wird. Dazu muss sie den Aufbau des Polizei- und vor allem des Justizwesens viel ernster nehmen. Wenn nötig, muss die Regierung Karsai noch mehr internationale Unterstützung einfordern!
Afghanistan braucht Institutionen, die die Menschenrechte wirksam schützen. Nur die Zahl der Polizisten und Soldaten zu erhöhen ist keine Lösung. Es kommt auf die Ausbildung auch in Menschenrechtsfragen und das anschließende Monitoring an. Da geht der Ansatz der bisherigen internationalen Afghanistan-Konferenzen am Problem vorbei.
In einer Umfrage der Unabhängigen Menschenrechtskommission haben Afghaninnen und Afghanen bereits im April 2004 deutlich gemacht, dass sie der Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen einen hohen Stellenwert für die politische Zukunft Afghanistans beimessen. Die politisch Verantwortlichen, ob in Kabul, Washington, London oder Berlin, sollten diesen Wunsch ernst nehmen.
Deshalb muss die Regierung Karsai das Amnestiegesetz vom März dieses Jahres zurücknehmen. Denn dieses Gesetz macht es möglich, dass Unterdrückung, Folter, Verschwindenlassen und Tötungen der vergangenen 30 Jahre nicht verfolgt werden, sofern die Täter mit der Regierung zusammenarbeiten. Das gilt für Taliban, aber auch für Regierungsmitglieder, Beamte, Polizisten und Militärs. Diese Regelung ist menschenrechtswidrig und verstößt gegen Afghanistans internationale Verpflichtungen.
Vor den Parlamentswahlen im Herbst muss sichergestellt werden, dass nur Kandidaten antreten, die sich nicht der Verletzung von Menschenrechten schuldig gemacht haben. Dafür muss die afghanische Regierung einen Überprüfungsmechanismus entwickeln und auch hier, wenn nötig, auf die Unterstützung der Staatengemeinschaft zurückgreifen.
Die rote Linie für die Verhandlungen mit den Taliban und anderen Aufständischen ist klar: Diejenigen, die die Menschenrechte verletzt haben, können zwar mögliche Verhandlungspartner sein. Aber: Freies Geleit darf es nicht geben und schon gar keine Amnestie, denn das wäre ein Schlag ins Gesicht der Opfer.
Ist das politisch naiv und realitätsfremd? Nein! Es ist konsequent und stiftet langfristig Frieden. Die Menschenrechte setzen einen internationalen Maßstab, der im Frieden wie im Krieg gilt. Das legen die auch von Afghanistan ratifizierten UN-Menschenrechtspakte fest. Das bedeutet auch, dass schwere Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich verfolgt werden müssen. 111 Staaten haben dem mit der Anerkennung des Internationalen Strafgerichtshofes ausdrücklich zugestimmt, darunter auch Afghanistan. Vereinbarungen oder gar Friedensverträge, die diese Wertegrundlagen ignoriert und stattdessen eine Amnestie für Menschenrechtsverletzer gewähren, werden nicht von Dauer sein. Das zeigt schon ein Blick in die Geschichte.
In Afghanistan wurden und werden die Menschenrechte immer wieder ignoriert und politischen Kompromissen preisgegeben - auf Kosten der Bevölkerung und vor allem zu Lasten von Frauen und Mädchen. Frieden wurde damit nicht erreicht. Deshalb sind Menschenrechte nicht verhandelbar.
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