Klassischer rhetorischer Fallrückzieher aufs eigene Tor: "Zu diesem Zweck wollte er [brüning] den Niedergang bewusst herbeiführen und das ist ihm auch gelungen." Bollmann dagegen möchte anscheinend den Niedergang unbewusst herbeiführen, weil er ihn dann ja nicht so schmerzhaft spürt. Wenn Brünings Supersparpolitik - unabhängig von der Frage nach den Motiven - tatsächlich "erfolgreich" den Niedergang herbeigeführt hat, stellt sich doch wohl die Frage, warum aktuell der Versuch des Festhaltens an einer Haushaltskonsolidierungspolitik zu besseren Ergebnissen führen sollte. Ralph Bollmann gibt uns die Antwort, dass uns heute nichts Böses passieren kann, weil die Konsolidierer nur das Gemeinwohl im Auge haben.
Und da beisst sich die Katze in den Schwanz: Nicht nur Brüning, sondern auch Keynes war der Meinung, dass die Reparationsforderungen ökonomisch unrealistisch waren - und schrieb zu diesem Thema ein Buch unter dem Titel "The economic consequences of the Peace". Diesen Titel griff kürzlich Nobelpreisträger Paul Krugman in einem Posting mit der Überschrift "The economic consequences of Herr Steinbrueck" auf, in dem er die Verwirrungen des Poltergeists Peer auf den Begriff brachte. Warum das
handelspolitische "Gegenargument" Bollmanns falsch ist, legte Krugman in diesem Posting und dem folgenden NYT-Editorial "European Crass Warfare" auch gleich dar. Wer genau liest, merkt sogar, dass "Simulierte Souveränität" - Bollmanns Titel für seine anti-keynesianische Stellungnahme - eine geeignetere Überschrift für Krugmans Leitartikel als das von ihm selbst gewählte "crass/class"-Wortspiel gewesen wäre. Im Kontext von Bollmanns Artikel hingegen ist die Formulierung völlig sinnfrei.
Aber vielleicht ist Bollmann ja tatsächlich ein kreativerer ökonomischer Denker als Krugman und schlägt demnächst effizentere Methoden der Handelsförderung vor, als Krugman (die gegenwärtige Galionsfigur der Keynesianer, aber auch Empfänger eines Ökonomie-Nobelpreises für Handelstheorie) sie sich je träumen lassen würde. Eingedenk Oskar Lafontaines einst durch unelegantes Gleiten - vulgo: "Rutschen" - auf den Schalen von des Ostdeutschen liebstem Konsumartikel, der Banane, errungener Wahlniederlage könnte Bollmann bspw. eine gesetzliche Zwangsquote importierter Lebensmittel vorschlagen, die es u. a. auch taz-Autoren ermöglichen würde, ohne Angst vor kurzfristigen Versorgungsengpässen oder gar dem Gespenst von peak banana imports unbegrenzte Experimente in Sachen intellektueller Rutschbahn-Optimierung durchzuführen.
Zum Ausgleich wäre dann auch denkbar, im Sinne der Förderung deutschen Liedguts, der globalen Verbreitung intellektueller Hausmannskost sowie des generellen Verspätungsdrangs der deutschen Nation und der Befriedigung des evtl. darin implizierten Bestrafungsbedürfnisses Bollmanns Artikel ins Englische zu übersetzen und ihn in den Kommentarspalten von Krugmans Blog häppchenweise
kundigen Kritikern zur Analyse vorzusetzen. Welche Konsternation ist da nicht schon absehbar, wenn dort der Ralph, der doch nur das Staatssäckelchen fest zuschnüren will, mit der Feststellung konfrontiert wird, dass "The Germans want to freeload!" Womöglich wird er ob dieser gefühlten babylonischen Sprachverwirrung gleich wieder Reißaus nehmen.
Ja, darf es denn wahr sein, dass wir uns einst eine Deutsche Physik geleistet haben, heute aber schon am Projekt einer Deutschen Ökonomie kläglich scheitern? Wo die Ökonomie doch definitiv unter den Wissenschaften nur als low-hanging fruit figuriert - irgendwo zwischen Banane, Zitrone und saurem Apfel. Bevor er in das krumme Ding beisst, sollte Ralph Bollmann aber wirklich einfach mal einen Blick auf Krugmans Argumentation werfen. Es mag kein free lunch geben, aber ein saurer Apfel ist allemal drin.
Merke: Wenn ein Kommentator eine Realität im Kopfstand porträtiert, sagt dies mehr über seine aktuelle Körperhaltung als über den Gegenstand seiner Überlegungen aus.
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