Debatte Finanzkapitalismus am Ende: Aus nix wird nix
Die Vorstellung, Geld könne arbeiten, ist absurd. Aber sie hat Amateure dazu gebracht, ihr Geld den Finanzmärkten zur Verfügung zu stellen. Auch diese Blase ist nun geplatzt.
D ie "Rettungsmaßnahmen" für das Finanzsystem versuchen, einen Implosionsprozess mit allen (finanziellen) Mitteln aufzuhalten. Sie sollen Liquidität und Vertrauen schaffen, auf dass der Kreislauf des Kreditgelds wieder in Schwung komme. Die Maßnahmen sind notwendig, aber sie kurieren gleichzeitig nur die Symptome.
Stephan Schulmeister ist Finanzmarktexperte am Institut für Wirtschafts- forschung in Wien.
These 1: Die Finanzkrise stellt keinen (misslichen) Zustand dar, der durch "Entsorgung" von faulen Krediten und mehr Eigenkapital für die Banken überwunden werden kann, sondern einen dynamischen Prozess der simultanen Entwertung von Aktien, Immobilien und Rohstoffen. Dadurch werden jene fiktiven Vermögen vernichtet, welche in den vorangegangenen Boomphasen "geschaffen" worden waren. Durch das Tempo dieses Entwertungsprozesses wächst die Krise den Rettungsmaßnahmen gewissermaßen davon.
These 2: Die Vermögensentwertung wird die schwerste Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren verursachen. Denn seit den 1980er-Jahren hat sich die Illusion "Lassen Sie Ihr Geld arbeiten!" immer weiter ausgebreitet: Die Haushalte in den USA überließen die Vorsorge für die Hochschulausbildung der Kinder ebenso wie für das eigene Alter den steigenden Aktienkursen, die Unternehmen (insbesondere in Deutschland) akkumulierten viel mehr Finanzkapital als Realkapital, die Politik in Europa beschränkte die sozialstaatliche und förderte die "finanzkapitalgedeckte" Altersvorsorge. Die Entwertung all dieser Finanzvermögen lässt die Nachfrage von Haushalten und Unternehmen schrumpfen, die USA und die Rohstoffexporteure werden ihre Importe einschränken und auf diese Weise die Krise in den exportabhängigen Ländern zusätzlich verschärfen.
These 3: Das Anwachsen der Finanzkrise zu einer globalen Wirtschaftskrise wird eine historische Wende einleiten, nämlich die Abkehr von jenem System, das die vergangenen drei Jahrzehnte prägte, der Finanzkapitalismus. Alle seine verschiedenen Komponenten - neoliberale Wirtschaftstheorie, Vorrang für den Geldwert, Liberalisierung der Finanzmärkte, Regulierung der Wirtschaftspolitik, Teilprivatisierung der Sozialversicherung, insbesondere des Rentensystems - stützen sich wechselseitig und bilden ein Ganzes. Es wird auch im Ganzen kollabieren (wie in den 1930er-Jahren). Der Übergang zu realkapitalistischen Rahmenbedingungen wird lang und mühevoll, allerdings nicht so lang und so katastrophal wie in der letzten Talsohle des "langen Zyklus", nämlich zwischen 1931 und 1948.
Ohne eine systemische Diagnose der Krisenursachen kann keine nachhaltige Therapie entwickelt werden. Wie also hat sich die große Illusion "Lassen Sie Ihr Geld arbeiten" verbreitet? Vereinfacht dargestellt in folgenden Etappen: Mit der Aufgabe fester Wechselkurse (1973), den nachfolgenden Ölpreisbooms und den exorbitant gestiegenen Zinsen (1981) entwickelten sich enorme Spekulationsmöglichkeiten, die schrittweise von den "Profis" gelernt wurden. In den 1980er-Jahren wurden daher immer mehr Instrumente geschaffen, die Spekulieren leichter machten (Finanzderivate).
Die Umstellung der Rentensysteme in den USA förderte den 1982 einsetzenden Aktienboom, er dauerte bis 1999 an. Immer schnellere Spekulation destabilisierte Wechselkurse, Rohstoffpreise, Zinssätze und Aktienkurse, die Unsicherheit für realwirtschaftliche Aktivitäten stieg ebenso wie die Attraktivität von Finanz(derivat)spekulation. Industriekonzerne verlagerten ihr Gewinnstreben daher von Real- zu Finanzinvestitionen; Siemens ist nur ein besonders markantes Beispiel. Dadurch musste das Wirtschaftswachstum nachhaltig sinken, die Arbeitslosigkeit stieg (produktive Arbeitsplätze brauchen eine hohe Kapitalausstattung), ebenso die Staatsverschuldung. Die Symptomkur der Sparpolitik reduzierte insbesondere die Arbeitslosenunterstützung und die Pensionsleistungen des Sozialstaats.
Also wollten auch die "Normalbürger" ihr Geld arbeiten lassen, insbesondere zur Altersvorsorge. Schon in den 1990er-Jahren ist die Renditeansprüchlichkeit enorm gestiegen: Die Realwirtschaft wuchs kaum, aber das Finanzkapital sollte zumindest 10 Prozent abwerfen. Lange Zeit schien es, als könne das Geld wirklich arbeiten: So waren auf den Aktienmärkten der 1990er-Jahre Durchschnittsrenditen von 15 Prozent zu holen, die Kurse stiegen enorm. Die Diskrepanz zwischen Börsenwert und tatsächlichem Wert der Unternehmen vergrößerte sich stetig, das (Pyramiden-)Spiel "Der Unternehmen neue Kleider" endete abrupt. Die Folge war der Aktiencrash 2000/2003.
Zwischen 2003 und 2007 gelang noch eine Aktienbubble, in Europa durch die weitere Verunsicherung über die sozialstaatlichen Sicherungssysteme gefördert (Expansion der Rentenfonds). In den USA begann die Immobilienbubble eine viel größere Rolle zu spielen, Geld arbeitete nun in Form einer Höherbewertung von Häusern. Die "Geldvermehrer" nützten dies zur Schaffung neuen Finanzkapitals in Form von Krediten an nahezu Mittellose: Als die Immobilienpreise zu fallen begannen, wurden die zu "Wert"-papieren gebündelten Hypothekarkredite wertlos. Das war im Sommer 2007.
Daraufhin stürzten sich die "Geldvermehrer" auf Rohstoffderivate, der letzte große Bubble setzte ein, die Preise von Rohöl, Weizen, Mais, Reis und sonstigen Rohstoffen explodierten, zwar nahm der Hunger zu, aber das Geld arbeitete wenigstens noch einmal kräftig. Mit dem Verfall der Rohstoffpreise seit Mitte 2008 hat es sich "ausgebubbelt". Hauptgrund: In der Frühphase von Bubbles steigen die Profis ein, je länger er dauert, desto mehr steigen wieder aus. Verlängert wird die Höherbewertung von Aktien oder Rohstoffen durch den Zufluss von "frischem Blut" der Amateure, also ihren (verspäteten) Einstieg. Versiegt der Zustrom der Amateurgelder, dann kippt die Bubble bald (jener der Rohstoffe Mitte 2008). Die zweite Arbeitsweise von Geld besteht im kurzfristigen Trading mit Finanzderivaten aller Art. Alle diese Spiele sind Umverteilungsspiele. Das bedeutet: Die Summe der Gewinne ist gleich der Summe aller Verluste. Als Gruppe sind die Amateure die Verlierer, gleichzeitig sind ihre Einsätze Voraussetzung dafür, dass diese Spiele expandieren können ("frisches Blut").
Weltweit ziehen sich derzeit die Amateure von den "Finanzspielen" zurück. Der Mangel an "frischem Blut" führt zum Kollaps des Systems des "arbeitenden Gelds": Der Umverteilungs- (und Überlebens-)kampf findet verstärkt zwischen den großen "Profis" statt, also Banken, Versicherungen und (demnächst) Hedgefonds. "Frisches Blut" kann nur mehr aus dem Nichts geschaffen werden, also durch die Notenbanken.
Fazit: Das Geld verweigert die Arbeit, der Finanzkapitalismus ist am Ende. Langsam dämmert die Einsicht in das fundamentale ökonomische ANWN-Gesetz, das freilich zu einfach ist, um von wirtschaftswissenschaftlichen Geistesgrößen begriffen zu werden: "Aus nix wird nix."
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