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Debatte FeminismusDie nackte Wahrheit

Kommentar von Andrea Roedig

Der Feminismus hat in den letzten 40 Jahren sein wichtigstes Thema verspielt. Charlotte Roche rückt die Sexualität wieder penetrant ins Zentrum.

Charlotte Roches "Schoßgebete" sind näher am Feminismus der Siebziger, als sie wahrhaben möchte. Bild: dpa

N a vielen Dank, liebe Frauenbewegung! So war das doch auch nicht gedacht. Dass nur noch die Frauen kommen und die Männer gucken müssen …", befindet Charlotte Roches Protagonistin Elizabeth in den jüngst erschienenen "Schoßgebeten" und befreit sich, ganz dem Gemächt des Gatten ergeben, von allen durch Feminismus verursachten sexuellen Verklemmungen. Vordergründig spielt Roche ein bekanntes Stück. Denn egal, ob Ex-Verona-Feldbusch, Alphamädchen oder Kristina Schröder medienintensiv gegen Alice Schwarzer antreten - die deutsche Öffentlichkeit muss sich offenbar in regelmäßigen Abständen rituell vergewissern, dass der alte Emanzen-Feminismus tot ist.

Mit genau derselben rituellen Geste zeigt die alte Alice dann ihre behaarten Zähne. Jetzt nennt sie die "Schoßgebete" auf ihrer Homepage eine "verruchte Heimatschnulze" - sei's drum. Eigentlich interessant an der Sache ist nicht der immer wiederkehrende Schlagabtausch, sondern ein Missverständnis in Sachen Sexualität und Feminismus. Denn irgendetwas ist schief an der Kommunikation zwischen alter und neuer Frauengeneration, es ist, als tanzten die Kontrahentinnen um einen blinden Fleck, um einen ungelösten Konflikt, für den beide Seiten keine Sprache haben.

Das Argument der Jüngeren ist meist so etwas wie "fehlende Sexyness". Doch Fakt ist, dass der alte Feminismus nicht "keinen Sex" wollte, sondern anderen Sex. Und zwar radikal. Schwarzers Engagement stammt aus einer Zeit, in der die Frauenbewegung so sexuell war, wie sie es sich heute nicht mehr träumen lassen könnte. Es war die Zeit, in der die Aktionskünstlerin Valie Export sich breitbeinig mit Maschinengewehr und entblößtem Geschlecht in "Panikhosen" präsentierte, ihren Partner Peter Weibel am Hundehalsband durch Wiens Straßen führte oder mit dem legendären "Tapp- und Tastkino" männliche Passanten aufforderte, ihr an die Brüste zu fassen. Es war die Zeit, in der so etwas wie Vagina Paintings entstanden.

Der Penis verursacht Unlust

Auch Schwarzers Klassiker "Der kleine Unterschied" ist durch und durch sexuell. Das Buch, das mit Fug und Recht ebenfalls als "verruchte Heimatschnulze" durchgehen könnte, lebt von expliziten Beschreibungen, wie und wann der Penis eindringt, welche Unlust er verursacht und welche Lust die Klitoris. Hier findet sich 1978 auch der denkwürdige Satz, dass "die Sexualität der Angelpunkt der Frauenfrage" sei. Das klingt heute sehr fremd, denn irgendwo auf dem Weg der letzten 40 Jahre ist dem Feminismus das Thema Sex abhandengekommen.

Was sich seit den Siebzigern verändert hat, könnte man unter die Stichwörter Aufklärung, Ausdifferenzierung, Ironisierung und Angst fassen. Viele Forderungen der zweiten Frauenbewegung haben sich tatsächlich erübrigt, denn die Bewegung führte zur Aufklärung über weibliche Sexualität, die nun ihr Recht auf Lust einfordern kann. Zudem ist die Gesellschaft im Hinblick auf Rollenverhalten vielfältiger geworden, es ist - in gewissem Rahmen - möglich, verschiedene Stile von Männlichkeit und Weiblichkeit zu leben sowie diverse hetero- und homosexuelle Familienmodelle.

Vor allem aber hat sich ein ironisches Verhältnis zum Körper entwickelt. Was die alten feministischen Aktionen so mächtig machte, war ihr Glaube an die Wahrheit des nackten Körpers. Die Geschlechterdifferenz galt als eine eindeutige und vornehmlich physiologische Tatsache, weswegen es nur logisch war, von der Penetration direkt aufs Patriarchat zu schließen.

Der schwere, dunkle Klotz Sex

Dieses naive Vertrauen in die natürliche Essenz des Geschlechts ist spätestens seit Mitte der Achtziger gründlich verloren gegangen. Die Lage ist heute komplexer, das Denken verspielter, und insgesamt scheint es, als hätte sich der schwere, dunkle Klotz Sex, der einmal der Ort der Wahrheit war, nach und nach wie in einem großen Wasserbecken aufgelöst. Die Entwicklung des Feminismus spiegelt diesen Dispersionsprozess. Das kräftige Lila hat sich ins Rosa gelöst, es herrscht die Lust an einer frechen Weiblichkeit, die zwar ihr Recht fordert, aber gleichzeitig die Geschlechterbilder von Mann und Frau nachhaltig bejaht.

Im Jahr 2008 forderten die "Alphamädchen" und die "Neuen deutschen Mädchen" einen runderneuerten Feminismus, der gemeinsam mit den Männern arbeite, sexy sei und schön mache. Zwischen den Zeilen aber sprach aus den Publikationen eine Melancholie, eine kolossale Angst, Opfer zu sein, und eine frisch gewaschene Disziplin der sexuell erfolgreichen Frau. Alphamädchens Ruf nach "Knallersex" klang daher sehr nach Work-out für die Klitoris.

Der neue Geschlechtervertrag

Dass dem Feminismus der radikale Begriff von Sex abhandenkam, liegt einerseits daran, dass sich die gesellschaftlich Rolle von Sexualität gewandelt hat. Ein anderer Grund ist aber auch, dass der alte, unlösbare Konflikt ums Begehren - ob frau Männer mag oder nicht - öffentlich zugunsten eines harmlos heterosexuellen Modells entschieden wurde. Die Forderungen nach "radical sexual politics" und alternativen Formen der Sexualität wanderten komplett in die Queer und Gender Studies ab.

Die neuen Frauen, die "Top Girls", wie die britische Kulturtheoretikerin Angela McRobbie sie nennt, sind heterosexuell, und wenn sie es nicht sind, sehen sie so aus. Sie fügen sich - so McRobbie - einem "neuen Geschlechtervertrag", der ihnen sexuelle Freiheiten, beruflichen Erfolg und mediale Sichtbarkeit garantiert unter der Bedingung, dass sie den alten Feminismus und seinen radikalen Impuls für tot erklären.

Doch Sexualität bleibt ein neuralgischer Punkt, ein Hebel, der das Geschlechterverhältnis auf den Kopf stellen könnte. Eigenartigerweise bringt nun gerade Charlotte Roche, indem sie Sex ernst nimmt und den Körper auf so penetrante Weise ins Zentrum stellt, das Thema erneut auf die Tagesordnung. Mögen die "Schoßgebete" auch als Eloge auf heterosexuelle Fügsamkeit daherkommen, sie sind nicht harmlos und damit näher am alten Feminismus, als sie wahrhaben möchten. Jedenfalls sind sie ein guter Anlass. Denn über den Satz "Sexualität ist der Angelpunkt der Frauenfrage" müsste man tatsächlich wieder einmal nachdenken.

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8 Kommentare

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  • AB
    Anna Brandt

    Richtig. Die Jungen kommunizieren nicht mit den Alten et vice versa. Wir Alte kommen aus einer ganz anderen Zeit. Da mussten Dinge erkämpft werden, von denen die junge Generation nichts ahnt. Manche halten die neue Beinfreiheit - oben offen und unten nicht viel - für die größte Errungenschaft. Sie nehmen alles so selbstverständlich hin - siehe die Ministerin Schröder, das Kindchen. Sexualität ist das Wichtigste?? Nein, die Machtverhältnisse sind es. Übrigens hat es immer Frauen gegeben, die Mitleid mit den armen Jungs haben - und damit Geld und Karrieren gemacht habe.- Was Frau Roche angeht, so muss man sie nicht lesen. Ich werde immer aufmerksam, wenn besonders Herren so so sehr begeistert sind. Gibt es nicht wirklich Interessanteres? Oder sind die Hormone alles?

  • M
    mazza

    ja, alles dreht sich um die sexualität - und war schon i.d. 80er jahren auch dreh- und angelpunkt der porYes-bewegung. was inzwischen dazu geführt hat, dass frauen/mädchen heutzutage bis in die haarspitzen auf sexyness durchgestylt werden. ob mode- oder werbe-, medien-industrie - die pornofizierung ist soweit vorangeschritten, dass sogar die kindermode davon betroffen ist.

    der große unterschied, den ich bei alice schwarzer zu charlotte roche empfinde, ist, dass a. schwarzer in ihrer gesellschaftl. kritik auf verbale, aufreisserische, zeitgenössische obszönitäten verzichtete. a. schwarzer und andere feministinnen schrieben so, dass sie jede/r verstehen kann - ch. roche dagegen nicht - sie stellt zwar den (weibl.) körper und den missbrauch in den mittelpunkt , geniesst aber selbst den konsum von pornos oder vielleicht sogar bordellbesuche ? vielleicht lernt frau roche mal , sich verständlich auszudrücken. sie scheint mir weder baum noch borke zu sein. vielleicht hat sie auch nur angst als sexualfeindlich zu gelten wie so viele andere feministinnen vor ihr, die kritik üb(t)en a.d. medialen vermarktung und pornofizierung von frauenkörpern. der artikel von alice schwarzer /wir feministinnen haben die lust entdeckt, ist für mich überzeugend, glaubwürdig und nachvollziehbar..

    http://www.emma.de/index.php?id=6691

  • AB
    Anja Baumhoff

    Danke für den tollen Artikel (die Leserkommentare verstehe ich dagegen weniger ....)!

     

    Ich sehe auch eine Verbindung zwischen Roche und Schwarzer und finde die Abgrenzungsrituale, die die beiden pflegen vollkommen unnötig.

     

    Dass Roche den Körper wieder ins Zentrum stellt, und damit u.a. provozieren will, finde ich gut und nötig. Wobei ich gerne eine dezentere oder andere Art hätte dies zu tun - ich vermute das ist altersbedingt.

     

    Interessieren würde mich, wie wir wieder eine Verbindung herstellen könnten zwischen jungen Frauen à la Roche und den älteren Feministinnen (moi). Jede Generation entwickelt ja ihren eigenen Feminismus, aber die Abgrenzugen und Ausgrenzungen sollten wir lassen (Aber in Dtl. wollen wir ja gerne den "richtigen" Feminismus machen ... und sind immer so besonders gründlich. Da wirds dann ein bißchen schwierig mit unserer deutschen Mentalität :-)

  • F
    Floh

    Die Frau ist ein sexuelles Wesen. Ist es so? Das sagte der nicht unbekannte Hugh Hefner. Wo wäre der Mensch, wenn es nicht so wäre?

     

    Mal ganz ehrlich: wenn man als Mann eine schöne Frau sieht, wird man bedeutsam dümmer. Man kann sich noch so sehr anstrengen, aber der Blick wandert immer wieder hin.

     

    Die Menscheit hätte sich besser geistig befreien sollen, statt sich den Geist mit den Fesseln der Sexualität zu strangulieren.

    Denn daß es seit der Frauenbewegtheit irgendwem besser ginge, ist ein kaum übersehbares Märchen. Gab's je so viele Kriege, so viel Armut, Verlogenheit in der Politik, Gewalt, Schulden, Sklaverei (vor allem auch in Deutschland), uneheliche Kinder und Kindstötungen? Gab's je eine derart zerrüttete Gesellschaft?

     

    Hier ist zu vielen der Schwanz zu Kopf gestiegen. Auch und ausdrücklich auch den Frauen.

     

    Wer weiß denn schon, was für ein System Europa beherrscht? Der Linken Erzfeind. Und sie beten's an. Krank.

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Die relgiösen Moralen drehen sich um den Pincti punctii: Die Sexualität.

    Die Kastrationsmythen (3!!!,Uranus, Zeus, Ödipus) in der griechischen Mythologie lassen bei den harten Schwellen zum Grundmythos zu werden Schlimmstes ahnen, was da die "Praktiken" der "Triebkontrolle" unserer europäischen Vorfahren angeht.

    Wie jeder weiss,ist für Freud die BRUTALE Kastrationsdrohung Kern KOMPROMISSBEREITSCGHAFT bei der eigenen Charakterbildug des noch ganz jungen und unerfahrene Kindes!!!

    Der "Verdacht" des Vollzuges beim Mädchen ist auch nicht ohne Wirkung auf beide Geschlechter.

    Auch de oralen analen und genitalen Phasen sind als "Groborientierung"durch neurologische Kartenbildung gut in der Neurologie fundiert.

    Beim Kinde ist das alles mehr: Erschreckend.

     

    Da ist das Fehlen eine "Naturalistischen Sexualkultur, die Hormone sind sowieso da, deswegen die Katstration im Mythos, geradezu sozialer Selbstmord für uns.

    Nietzsche meint zu recht, das Unfähigkeiten des einzelnen alle auszubaden haben.

     

    Die Zurodnung: Bild, Eigengefühl, Objekt, Denken, Bedürfnis

    ist sowieso "unbewusst" und unaufgeklärt,

    das es nicht wundert, das kaum etwas klappt.

    Wen da ein paar "Erklärungen" fehlen. ...

     

     

    Man sage mir, nicht, da sei alles "Bekannt".

     

    "Mit Büchern beladen Esel heisst, das es eben "Ignoriert" wird.

     

    Meditationstechniken mit "Augen zu" und Sinneszurückziehn werden hier nicht mal stümperhaft beherrscht, also bitte!!

     

    Da ist doch kein Wunder,das der Selbstbezug, Nazrzissmus in die Aussenbesetzung von keiner Sitte, augenegewöhnte Kultur stabilen Erwartungserfüllungen oder so etwas getragen wird.

     

    Sexualität gibt es, solange es Menschen gibt.

     

    Dafür ist die entsprechende Kultur viel zuviel von Scham und Schuld geprägt.

    Alles, was das abbaut, ein Scham und Schuldlose nicht nur Sexualität, sondern Kultur überhaupt, ist zu begrüßen.

    Das sitzt viel tiefer, als gemeint wird.

  • DH
    Der Heinz

    liebe taz,

    charlottes buch ist weder die mein kampf, die bibel, noch ein schnöder "ficken heute"-ratgeber; es ist fiktive literatur mit autobiographschen zügen. punkt!

    was nehmt ihr das denn alles so verdammt ernst? ihr seid mit dem überreizten dahingezeter nicht besser als frau schwarzer! stock ziehen, humor und guten sex haben und endlich die geschlechter sein lassen, was sie sein wollen. SO!

  • D
    DieSchonWieder

    Nur die hälfte des Textes gelesen. Gähn...

    Kann´s nicht mehr hören. Immer wieder. Ihr habt´s doch geschafft. Die steht schon wieder in den Bestsellerlisten on Top. Why not? But for what?

     

    Feuchtgebiete, Schoßgebete oder die Videos von GGG (ja die). Schickt den Kram zur Aufklärung an die Amish. Und in den kompletten Nahen Osten. Die haben´s allesamt noch nötig...

  • M
    MissNorris

    Habe diesem Artikel nichts hinzuzufügen,ausser Applaus!