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Debatte EuropaMehr Leidenschaft wagen

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Der Bundestag macht in Sachen EU-Politik nur Dienst nach Vorschrift. Zeit für eine Aufwertung parlamentarischer Stellungnahmen.

I ch sage es nicht gern, aber die CSU hat recht. Die Stellungnahmen des Bundestags in EU-Angelegenheiten sollten verbindlich werden. Die CSU mag dabei europaskeptische Motive haben oder zumindest europaskeptische Wähler ansprechen, doch man kann diese Position auch mit einer dezidiert EU-freundlichen Grundposition vertreten.

Der Bundestag ist normalerweise ein Entscheidungsorgan, und wenn von ihm zur Europapolitik nur unverbindlich Stellung genommen wird, ist kaum mehr als leidenschaftslose Pflichterfüllung zu erwarten, die auch die Medien und Bürger nicht interessiert. Das haben die letzten Jahrzehnte gezeigt.

Nur wenn das Parlament die deutsche Europapolitik bestimmen kann, sind die Oppositionsparteien motiviert, die Regierung herauszufordern, Unstimmigkeiten zwischen den Ministerien und den Regierungsparteien zu thematisieren. Und nur wenn eine abweichende Mehrheit möglich und rechtlich relevant scheint, weil die Opposition gut munitioniert die Regierung in die Enge treibt, wird es für die Medien interessant, über die parlamentarischen Europapolitik zu berichten. Ohne die Fähigkeit zu Konflikt und Entscheidung kann ein Parlament kaum Transparenz vermitteln. Auch das haben die letzten Jahre gezeigt.

Bild: privat

Christian Rath, geboren 1965, ist rechtspolitischer Korrespondent der taz. Vor Jahren hat er seine juristische Dissertation über die "Entscheidungspotenziale des Bundestags in EU-Angelegenheiten" (Nomos, 2000) verfasst.

Es ist zwar richtig, dass das Bundesverfassungsgericht eine so weitgehende Aufwertung des Bundestags in seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag nicht gefordert hat. Dort heißt es nur, dass der Bundestag stets per Gesetz zustimmen muss, wenn der EU neue Kompetenzen (auch ohne ausdrückliche Vertragsänderung) übertragen werden. Aber wer sagt, dass man Karlsruher Urteile immer nur in Minimalform umsetzen muss?

In seinem Maastricht-Urteil von 1993 hat das Bundesverfassungsgericht auch gesagt, dass es "zuvörderst" der Bundestag ist, der die EU-Politik demokratisch legitimiert, indem er die Regierung bei ihren Verhandlungen in Brüssel kontrolliert und bei Bedarf steuert. Daran hat sich nichts geändert. Im Gegenteil. In seinem Lissabon-Urteil hat Karlsruhe ausdrücklich ausgeschlossen, dass die demokratische Legitimation der EU bald ganz auf das direkt gewählte Europäische Parlament gestützt werden kann. Der Verweis auf das überproportionale Gewicht der Abgeordneten aus kleinen Staaten ist zwar nicht überzeugend. Dennoch hat das Europäischen Parlament ein Problem: Trotz seiner stets gewachsenen Befugnisse ist es bisher nicht geglückt, eine europäische Öffentlichkeit für wichtige EU-Vorhaben herzustellen.

So ist es mit seinen unbekannten Parteien und Personen wenig geeignet, eine eigenständige Öffentlichkeit für Europa herzustellen. Wer weiß schon, dass die CDU in Europa EVP (Europäische Volkspartei) heißt? Wer kennt schon Hans-Gert Pöttering, der jahrelang EVP-Fraktionschef und bis vor wenigen Tagen Parlamentspräsident war? Der politische Diskursraum ist nach wie vor auf die nationale Ebene konzentriert. Außerdem finden die entscheidenden politischen Weichenstellungen nach wie vor durch die nationalen Regierungen im EU-Ministerrat statt.

In Europa geht es nicht nur um politische und wirtschaftliche Entscheidungen, sondern immer auch um die Angleichung und Koordination unterschiedlicher Rechts- und Gesellschaftsordnungen. Wer sein Modell in Europa durchsetzt, hat Vorteile, während die anderen sich anpassen müssen.

Transparenz und Öffentlichkeit müssen also nicht zuletzt am Ministerrat ansetzen. Und hier kann der Bundestag entscheidende Beiträge leisten, indem er einzelne wichtige EU-Vorhaben frühzeitig politisiert und damit überhaupt bekannt macht. Ist ein Thema auf diesem Wege in die öffentliche Debatte eingeführt, wird auch die Berichterstattung über Europäisches Parlament und Ministerrat intensiver als heute ablaufen. Das sehen inzwischen auch viele Europaabgeordnete so. Sie schaffen es nicht selbst, ein EU-Vorhaben in die Medien zu bringen, sondern brauchen den nationalen Konflikt, um darin als europäische Stimme wahrgenommen zu werden. Eine Stärkung der nationalen Parlamente ist daher keine Konkurrenz zum Europäischen Parlament, sondern nützt ihm sogar.

Natürlich besteht dabei die Gefahr, dass Politisierung und Transparenz auch populistische Strömungen begünstigen. Dies aber zwingt die Regierungen auch zu antipopulistischer Politik, zum Beispiel zur Werbung für die Interessen der Nachbarn. Denn Erfolg werden in Europa auf Dauer nur kompromissfähige Regierungen haben. Wer nicht kompromissfähig ist, isoliert sich und verliert an Einfluss - bei Mehrheitsentscheidungen wird man am Ende einfach überstimmt. Würde die EU-Mitwirkung des Bundestags stärker politisiert, hätte dies zur Folge, dass die Regierung sich nicht mehr hinter "Brüssel" verstecken kann, sondern öffentlich Farbe bekennen muss.

All das spricht dafür, dass EU-bezogene Stellungnahmen des Bundestags künftig für die Regierung verbindlich sein sollten. In aller Regel wird der Bundestag die Regierung auch gar nicht an die Kette legen. Schließlich verfügt sie ja über eine Mehrheit im Parlament, und die Mehrheitsfraktionen werden in der Regel versuchen, ihrer Regierung den Rücken freizuhalten. Aber wenn es der Opposition nur einige Male im Jahr gelingt, diese Mehrheit zum Wackeln zu bringen, dann ist schon viel für die Transparenz und damit auch für die Legitimation der EU gewonnen.

Die Aufwertung der EU-Stellungnahmen ist dabei sicher kein Selbstläufer, aber wenn sie von Parlament, Medien und Bürgern als Paradigmenwechsel wahrgenommen wird, dann kann sie viel bewirken. Wann, wenn nicht jetzt, wäre der richtige Moment, dieses Startsignal zu geben? Die Stärkung von Demokratie und Transparenz in Europa steht auf der Tagesordnung, die Aufwertung des Bundestags ist populär, die Strukturen im Bundestag sind da, jetzt müssen sie endlich offensiv genutzt werden.

Und wir - Journalisten und Bürger - müssen uns dafür interessieren. Sonst flaut das EU-Engagement des Bundestags bald wieder zum alten lustlosen Dienst nach Vorschrift ab.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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