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Debatte EnergieMehr Wind machen!

Kommentar von Martin Unfried

Der Ausbau erneuerbarer Energien ließe sich beschleunigen: mit neuen Gesetzen, finanziellen Anreizen und Kampagnen zur Mobilisierung. Doch die Politik blockiert.

Tut den Kommunen gut: Erneuerbare Energien, wie hier in Dardesheim im Landkreis Harz. Bild: dpa

V ergangene Woche kam es im Bundestag zu heiteren Szenen, als Unionspolitiker SPD und Grünen vorwarfen, beim Ausbau der erneuerbaren Energien versagt zu haben. Das ist grotesk. Doch statt zu feixen, sollte die Opposition diese neuen Freunde einer Energiewende lieber in die Pflicht nehmen: mit einem konkreten Gesetzgebungspaket.

Schade, dass Hermann Scheer nicht mehr lebt: Er hätte in dieser Situation sicher schon ein radikales Papier zum Atomausstieg präsentiert. Ohne ihn stellte die SPD am Donnerstag ein etwas bescheideneres Sofortprogramm vor, das noch nicht ohne Kohleneubau auskommt. Und auch die Grünen und die Umweltverbände haben Konzepte in der Schublade (ohne Kohleneubau).

Doch die Zeit drängt. Denn schon werden die ersten Zahlen ins Spiel gebracht, was der Atomausstieg kosten würde: "Turboausstieg kostet 230 Milliarden!", titelte etwa Spiegel Online. "Und bringt wie viel, für wen?", möchte man fragen. Entscheidend ist nämlich, wer wo investiert, welche Wertschöpfung und Arbeitsplätze entstehen und welche versteckten Kosten vermieden werden.

Die abstrakte Investitionssumme sagt erst mal gar nichts. Es geht eben nicht - wie bisher - nur um betriebswirtschaftliche Überlegungen der Konzerne und um den abstrakten Kilowattstundenpreis ab Kraftwerk und Strombörse. Es geht eher darum, welche neuen Akteure das Geschäft übernehmen.

Chancen des Atomausstiegs

privat

MARTIN UNFRIED, 43, ist Autor der taz-Kolumne "Ökosex" und arbeitet als Dozent am European Institute of Public Administration in Maastricht im Bereich der EU-Umwelt- und Klimapolitik.

Tatsächlich könnte der Atomausstieg zu einem Glücksfall der Regionalentwicklung werden und der Rückeroberung demokratischer Spielräume dienen. Stichwörter sind Rekommunalisierung, neue Stadtwerke und Aufbau innovativer Bürgerunternehmen. Das alles fällt nicht vom Himmel. Es muss durch massive Förderprogramme zum Auf- und Ausbau regionaler Energieagenturen in allen deutschen Land- und Stadtkreisen politisch unterstützt werden. Wir brauchen flächendeckend regionale Masterpläne und die planerische Freiheit, diese auch umzusetzen - und dafür neue Gesetze.

Höchste Priorität hat deshalb die Novellierung von Planungsgesetzen: Genehmigungsverfahren im Baugesetzbuch und im Raumordnungsrecht müssen angepasst werden, also auch in verschiedenen Landesgesetzen zur Raum- und Regionalplanung. Mit restriktiven Gesetzen wurde der Ausbau der Windenergie in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg verhindert. Aber auch der Verteidigungsminister blockiert mit Radarvorschriften.

Als nationales Leuchtturmprojekt sollte Hermann Scheers Vorschlag der "Energieallee A 7" aufgegriffen werden. Das heißt, die Bundesregierung und die betreffenden Bundesländer sollten die Nord-Süd-Autobahn A 7 als fast 1.000 Kilometer Allee der erneuerbaren Energien mit dezentral geplanten und finanzierten Wind-, Solar- und Biomasse-Kraftwerken mit dezentraler Netzeinbindung ausweisen.

Vorrang für die Erneuerbaren

Beim nächsten Update des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) sollte deren Vorrang nicht nur verteidigt, sondern ausgebaut werden. Nötig ist auch, dass die Preise wieder verlässlich sinken, um auch im Fall der Fotovoltaik langfristige Projektplanung zu ermöglichen. Wind-Onshore sollte vielleicht durch eine leichte Erhöhung sogar wieder angeschoben werden.

Viele Experten sagen, dass sich die Anreize für Netzdienstleistungen und Netzintegration verbessern müssen. Notwendig ist aber auch, die Berechnung der EEG-Umlage so zu verändern, dass die preisdämpfenden Effekte der Erneuerbaren deutlich werden. Sonst bleiben sie als angebliche Preistreiber in der Kommunikationsfalle. Auch braucht es weniger Ausnahmeregeln für stromintensive Betriebe - sonst zahlen weiter nur die privaten Haushalte und kleinere Unternehmen.

Der Energiewissenschaftler Joachim Nitsch hat angemerkt, dass es überdies dringend einer neuen Gasstrategie bedarf, um den Kohleneubau zu verhindern. Diverse Gaskraftwerke würden dann für den Übergang die flexible Regelenergie liefern, die beim heftigen Ausbau der Erneuerbaren gebraucht wird. Wünschenswert wäre natürlich auch ein Klimaschutzgesetz, das den Bau neuer Kohlekraftwerke ohne CO2-Abscheidung untersagt.

Da die Kraft-Wärme-Kopplung völlig stagniert, muss deren Förderung gestärkt werden. Es könnte auch eine KWK-Verpflichtung der Industrie für Prozesswärme eingeführt und ein echter Schwerpunkt gelegt werden auf die Verbreitung von Mikro-KWK in Wohngebäuden - Stichwort: virtuelles Kraftwerk.

Viel ist von Stromspeichersystemen die Rede, doch um diese zu finanzieren, muss das Energiewirtschaftsgesetz geändert werden. Es geht um die Anerkennung der Investitionen in den Stromnetzgebühren. Dabei müssen, wie der Grüne Hans-Josef Fell meint, dezentrale Stromspeicher, verbunden mit virtuellen Kraftwerken, so gefördert werden wie die Erschließung großer internationaler Speicher in Skandinavien oder den Alpen.

Welche Gesetze überarbeiten?

Beim Thema Trassenbau steht eine Überarbeitung des Energieleitungsausbaugesetzes an. Ziel ist, den Ausbau auf Hochspannungs- wie Verteilnetzebene (auch mit Erdkabeln) zu beschleunigen und die Bürgerbeteiligung zu verbessern. Bleibt das spröde Thema Stromsparen: Dazu bräuchte es ein echtes Effizienzgesetz mit konkreten Vorgaben für Stromlieferanten, die bei ihren Kunden verbindliche Einsparziele erreichen müssen. Auch sollten Industriebetriebe zu einem aktiven Energieaudit und der Erschließung ihrer ungeheuren Einsparpotenziale verpflichtet werden.

Nicht zu vergessen unsere Privathaushalte: Deren Sparpotenziale sind noch nicht mal angekratzt. Es gibt Vorschläge, einen Energiesparfonds mit beispielsweise 500 Millionen Euro und groß anlegte Förderprogramme einzurichten. Da die Menschen dafür im Moment recht empfänglich sind, wären Sofortmaßnahmen sinnvoll: etwa attraktive finanzielle Anreize, die zum Austausch von Heizungspumpen, Kühlgeräten und alten Elektroherden anregen. Das wäre mal eine Abwrackprämie, die tatsächlich nützt.

Bleibt am Ende festzustellen, dass der Wettbewerb der Ideen in Sachen Energiewende eröffnet ist. Setzen wir auf Schwarmintelligenz: Wer Vorschläge hat, der melde sich!

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4 Kommentare

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  • WB
    Wolfgang Bieber

    Unsere Atomkraftwerke müssen für mindestens drei Monate abgestellt werden - das gebietet das Kalkar-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Selbst eine Entschädigung an die Konzerne erübrigt sich. Mit dem Geld können wir endlich die Erneuerbaren Energien voll unterstützen: http://bit.ly/eDxijD

  • P
    Patrick

    Dieser Kommentar enthält mehr vernünftige Vorschläge als dutzende Seiten "revolutionäres" Energiekonzept der Bundesregierung. Martin Unfried sollte Kanzler werden.

     

    Einen Vorschlag hätte ich noch: Stetigkeits/Speicherbonus für neue und bestehende Solaranlagen, damit wir den Solarstrom auch abends und nachts nutzen können. Bei schon jetzt knapp einer Millionen Solaranlagen ein neuer riesiger Zukunftsmarkt.

  • SK
    Sir Kiebitz

    Umstieg?

     

    Der Umstieg von fossiler und nuklearer Energie auf regenerative Energieträger findet meines Erachtens nach in den Köpfen vieler "Umsteige-Fundamentalisten" viel zu kindlich statt.

     

    Windräder, Photovoltaik und Biomasse ausbauen und dann die Kernkraft- und Fossilbrennstoffkraftwerke einfach abschalten. Ob das so geht, bezweifle ich sehr stark.

     

    Deutschland in den schwach-windhöffigen Gebieten mit Windkraftanlagen von 200m Höhe (und irgendwann mehr) vollstellen?

     

    Mit der Photovoltaik wertvolle Ackerflächen und eine landwirtschaftlich strukturierte Atmo- und Biosphären verunstalten?

     

    Mit dem Abfall aus Biomassekraftwerken die Böden des Umlandes mit Botulismusbakterien auf alle Zeiten verseuchen?

     

    Sorry, meines Erachtens nach spielt der Umstieg einfach keine Rolle. Wunschdenken von immer mehr Informationsunwilligen und somit Idealzustand von Firmen wie juwi, enercon, etc.pp., welche sich einen goldenen Arsch verdienen, ohne das auch nur ein Kohle- oder Atomkraftwerk vom Netz geht.

     

    Ich bin aufgrund meiner naturwissenschaftlichen Ausbildung und meiner philosophischen Ansichten nach der Meinung, dass ein wirkliches Umschwenken der Energie- und Rohstoffpolitik IN ERSTER LINIE durch Einsparen und Dezentralisieren möglich ist.

     

    Dann vertrete ich den Standpunkt, dass das Bevölkerungsbewusstsein nur durch Individualmoral und Gemeinschaftssinn anhand von politisch und religiös neutral gehaltener und wissenschaftlich orientierter Bildung gefördert werden kann.

     

    Denn auf einem Planeten, auf dem immer nur jeder Recht und keiner Verantwortung haben will, kann das mit der Hochzivilisation nie funktionieren.

     

    Die Untergänge verschiedener Ethnien in der Vergangenheit sind der erbrachte Beweis.

     

    Wir werfen uns selbst aus dem uns geschenkten Paradies.

     

    Sir Kiebitz

  • M
    Michael

    Logisch, wenn das Windrad zu nah an der Bebauung steht ändern wir einfach die Gesetze. Danach passt das dann...