Debatte Elektroautos: Das vernetzte Auto
Wer von Elektroautos Reichweitenrekorde verlangt, verkennt ihre wahre Stärke - als Teil einer Revolution des Nahverkehrs.
T äuschen wir uns, oder naht die Neuerfindung des Automobils? Mit dem Wirtschafts-, Forschungs-, Umwelt- und Verkehrsministerium haben gleich vier Häuser parallel Modellregionen ausgewählt, in denen die Einführung von Elektrofahrzeugen erprobt werden soll. Die Bundesregierung finanziert diese Versuche in den nächsten zwei Jahren mit 500 Millionen Euro im Rahmen des Konjunkturpakets II. Opel will als Rettungspfand nun auch verstärkt solche Autos produzieren, und selbst die Beteiligung von Abu Dhabi am Daimler-Konzern scheint ausschließlich dem Elektroauto gewidmet zu sein. Die Strombranche ist ebenfalls mit von der Partie. Kein großes Versorgungsunternehmen, das nicht den Betrieb von kleinen Testflotten angekündigt hätte.
Beschäftigung sichern und zugleich etwas zur Rettung des Klimas tun - da kann wohl niemand etwas dagegen haben. Natürlich soll der Strom aus regenerativen Quellen stammen. Dies muss schon deshalb kein Lippenbekenntnis bleiben, weil der saubere Strom inzwischen in Größenordnung produziert wird, dass er nachts auf der Leipziger Strombörse auch schon mal verschenkt wird. Elektroautos könnten hier - intelligentes Netzmanagement vorausgesetzt - neue Abnahmemöglichkeiten darstellen. Eine postfossile Verkehrswelt wäre daher in der Tat umweltpolitisch ein großer Schritt und innovationspolitisch ein Durchbruch. Denn so raffiniert die seit gut 100 Jahren im Automobilbau eingesetzten Verbrennungsmotoren mittlerweile auch sind - sie brauchen zum Betrieb fossile Brennstoffe und sie emittieren CO2.
Die Elektroautos müssen also her. Doch beim Besuch im Autohaus trübt sich die Freude. Elektroautos gibt es in Deutschland gar nicht zu kaufen. Obwohl die Endlichkeit von Öl und Gas bekannt ist. Als durch die sogenannte Ölkrise 1973 zusätzlich die damit verbundenen politischen Abhängigkeiten für jeden durch die Sonntagsfahrverbote zu Tage traten, war der Schock zunächst groß. Die Konzerne Daimler und Volkswagen gründeten mit der Deutschen Automobilgesellschaft ein Gemeinschaftsunternehmen zur Entwicklung und Produktion von elektrischen Straßenfahrzeugen. Doch blieben alle Prototypen in den Hallen der Entwicklungsabteilungen versteckt.
Eine Renaissance erlebte der Gedanke des Elektroautos Ende der 1980er-Jahre, als Kalifornien von den vielen Ankündigungen und Versprechen der Industrie genug hatte und einfach für das Jahr 1998 anordnete, dass von sämtlichen im größten US-Bundesstaat zugelassenen Fahrzeugen zwei Prozent mit Elektroantrieb auszustatten sind. Ausgelöst wurde damit ein langjähriger Kampf zwischen der Regierung in Sacramento und den Interessenvertretern der Autoindustrie um eine Abschaffung oder doch mindestens aber eine Verzögerung dieser Verordnung. Immerhin löste der Clean Air Act bei General Motors eine technische Innovation aus: Man entwickelte mit dem EV 1 eine futuristisch anmutende Flunder, die im Süden Kaliforniens bei einer kleinen Zahl von ausgewählten Händlern für sehr teures Geld zu leasen war. Mit dem Anspruch, schneller und sauberer zu fahren als die konventionellen Fahrzeuge, scheiterte die kleine Revolution allerdings rasch. Ohne ein entsprechendes Versorgungsnetz mit Elektrotankstellen wirkte der EV1 wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Mit weiteren Einführungen elektrischer Fahrzeuge war damit erst mal Schluss. Dies habe auch seine guten Gründe - so die Autoindustrie. Denn die sensible Batterietechnik ist immer noch nicht so weit, die vom Verbrennungsmotor gewohnten 500 bis 700 Kilometer Reichweite zu erreichen. Deshalb gibt es ja die verschiedenen Förderungen, damit die Forschung und Entwicklung der Elektrofahrzeuge zügig vorankommt und man auch mit dieser Antriebstechnik weite Strecken ohne Auftanken bewältigen kann. Doch das wird noch viele Jahre dauern und es wird viel kosten. Ein dem Verbrennungsmotor nachempfundener Elektroantrieb wird auch bei hoher Stückzahl immer mindestens um den Faktor 2 teurer sein. Droht also ein weiteres Desaster in der Geschichte des Wunsches nach einer elektrischen Antriebskultur?
Wenn man das Leitbild der "Rennreiselimousine" einmal zurückstellt und sich ein Auto als Teil einer integrierten Verkehrslandschaft vorstellt, dann ergeben sich ungeahnte Einsatzgebiete für ein Elektrofahrzeug. Gut 100 Kilometer Reichweite genügen völlig, der erreichte Stand der Batterietechnik muss dafür nicht in künstliche Höhen getrieben werden. Das vermeintlich technische Handikap ist ein Integrationsbaustein: das Elektroauto wird zum vernetzen Auto; es ergänzt den öffentlichen Verkehr. Wo Busse und Bahnen nicht fahren, kann ein Elektrofahrzeug sehr gute Dienste leisten. Mit regenerativem Strom betrieben, fahren diese Fahrzeuge, leise, bequem und schadstofffrei in die Ecken und Winkel, in die kein takt- und spurgeführter Verkehr mehr kommt. Öffentliche Elektroautos - das ist die Vision - stehen wie Busse und Bahnen jedem zur Verfügung - auf öffentlichen Parkplätzen und an den Knotenpunkten des Verkehrs. Moderne Carsharing-Technologie erlaubt einen einfachen Zugang mit Handy oder Karte, die Autos können ohne Vorbuchung direkt genutzt und an jedem anderen freien Parkplatz wieder abgestellt werden. Ist der Ladezustand der Batterie kritisch, bleibt das Fahrzeug gesperrt, die maximale Buchungszeit ist auf 48 Stunden begrenzt und garantiert eine breite Verfügbarkeit.
Ein Elektroauto mit 100 Kilometer Reichweite stellt die Lösung für die öffentlichen Verkehrsanbieter dar, ein wirklich umfassendes Kundenangebot zu entwickeln. Mit einer Karte lassen sich nunmehr alle mit Strom betriebenen Verkehrsmittel gleichberechtigt nutzen und abrechnen, gleichzeitig kann auch die Lust auf ein modernes und leistungsfähiges Individualfahrzeug befriedigt werden.
Die Revolution kann also auch in Deutschland kommen, man muss sich nicht wieder auf die Japaner verlassen: Dort hat Mitsubishi angekündigt, noch im Juli mit der Produktion des i Miev zu beginnen, eines weltweit erstmals in Großserie gefertigten Elektroautomobils.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Innereuropäische Datenverbindung
Sabotageverdacht bei Kabelbruch in der Ostsee
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom