Debatte Deutschland und seine Soldaten: Krieg ohne Gefühl

Warum nehmen die Deutschen im Zusammenhang mit militärischen Fragen heutzutage fast alles achselzuckend zur Kenntnis?

Deutsche Soldaten kommen nicht mehr einfach so ums Leben. Wenn sie - fern von zu Hause - "durch Fremdeinwirkung" sterben, dann "fallen" sie. Am 6. Juli ist erstmals das neue Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit verliehen worden. Interessiert all das die Öffentlichkeit? Falls ja, dann gibt es dafür keine messbaren Hinweise. Jedes vernachlässigte Kind und manche Haftentlassungen von Kriminellen erwecken mehr Leidenschaft als Krieg und Frieden, wenn man Umfragen und Medienresonanz als Kriterien zugrunde legt.

Die Gesellschaft nimmt im Zusammenhang mit militärischen Fragen fast alles achselzuckend zur Kenntnis. Öffentliche Gelöbnisse von Rekruten sind längst nicht mehr Gegenstand erbitterter Auseinandersetzungen, sondern weithin gleichmütig akzeptierter Alltag. Das Thema ruft keine Begeisterung hervor und kaum noch Protest.

Im Bendlerblock, einst das Zentrum der Widerstandskämpfer des 20. Juli, entsteht ein Ehrenmal für Angehörige der Bundeswehr, die im Dienst getötet wurden. Beinahe 3.000 waren es seit Gründung der Streitkräfte 1955. Niemand hielt allerdings den Bau einer Gedenkstätte für erforderlich, solange Soldaten lediglich Manöverunfällen zum Opfer fielen. Erst die Toten der Auslandseinsätze - 81 sind es bis heute - haben in manchen Politikern den Gedanken reifen lassen, ein solcher Ort sei nötig.

Nötig wofür? Verteidigungsminister Franz Josef Jung bemüht sich redlich, Gefühle zu erzeugen. Wenn es nach ihm geht, dann soll die Gesellschaft anerkennen, dass Soldaten sich in besonderer Weise für ihren Schutz einsetzen und deshalb auch besondere Anerkennung verdienen. Zugleich darf allerdings ein böses Unwort nicht fallen: Krieg. Das deutsche Militär verfolgt seiner Lesart zufolge Terroristen und Kriminelle, es kämpft nicht gegen ehrenwerte Gegner. Die Anspruch auf Behandlung entsprechend den Genfer Konventionen hätten.

Der Versuch einer Dämonisierung des Feindes ist nicht neu, er ist Bestandteil jeder Kriegspropaganda. Neu ist lediglich, dass der Krieg als solcher geleugnet wird. Das kann nur funktionieren, weil die Kampfhandlungen nicht auf dem eigenen Territorium stattfinden. Deutschland hat keine Erfahrung mit der Teilnahme an Kriegen, von deren Schrecken die eigene Bevölkerung verschont bleibt. Deshalb kommen Politiker mit der seltsamen Behauptung durch, die Anwendung von Waffengewalt, der auch Zivilisten zum Opfer fallen, wäre Teil eines humanitären Einsatzes.

In gewisser Weise hat in diesem Zusammenhang eine Amerikanisierung der Verhältnisse stattgefunden. Vielen Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges, auch überzeugten Transatlantikern, blieb die kühle Distanz stets fremd, mit der in den USA über Krieg gesprochen wird - und die Selbstverständlichkeit, mit der Militäroperationen als legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele betrachtet werden. Das Entsetzen, das Krieg für die Betroffenen unweigerlich mit sich bringt, ist in den Vereinigten Staaten nicht Teil der kollektiven Erinnerung. Auch bei uns wird das Gedächtnis allmählich schwächer.

Etwas allerdings ist in den USA anders als hierzulande: Dort genießen Soldaten tatsächlich den besonderen Respekt der Öffentlichkeit. Eine Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr aus dem Jahr 2007 ergab, dass in den USA 87 Prozent der Befragten der These zustimmten, man könne auf die Streitkräfte "stolz" sein. In Deutschland finden das nur 42 Prozent.

In den Vereinigten Staaten hat es keinen radikalen historischen Bruch und schon gar keine Debatte über Bewaffnung beziehungsweise Wiederbewaffnung gegeben. Das Militär wurde niemals prinzipiell infrage gestellt. Eine solche Grundsatzdebatte hat jedoch langfristige Folgen: Danach billigt eine Gesellschaft den Soldaten nicht mehr ohne Weiteres einen Sonderstatus zu.

Sicherheitspolitiker sagen gern, Militärs wären nicht mit anderen Berufsgruppen vergleichbar, weil sie ihr Leben für die Allgemeinheit riskierten. Diese Behauptung wird allerdings nicht dadurch richtig, dass sie beständig wiederholt wird. Auch andere Leute verrichten gefährliche Arbeit. Polizisten und Feuerwehrmänner. Oder Gleisbauer. Für die gibt es weder Orden noch Ehrenmäler.

Zinksärge sind kein Skandalon

Nicht einmal im Konfliktfall sind Soldaten die am stärksten gefährdete Gruppe. In modernen Kriegen sterben mehr Zivilisten als Militärangehörige, und auch die Gesellschaft nimmt im Zusammenhang mit militärischen Fragen fast alles achselzuckend zur Kenntnis. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen oder Journalisten werden immer wieder Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen. Das ist Teil ihres Berufsrisikos - und das gilt nicht mehr, aber auch nicht weniger als für Soldaten. Die Öffentlichkeit scheint es für erwartbar zu halten, dass in kriegerischen Konflikten gestorben wird. Nicht einmal kritische Fragen nach Versicherungsschutz oder der Behandlung traumatisierter Soldaten müssen Verantwortliche in nennenswerter Zahl befürchten.

Die Sorge des Verteidigungsministeriums, das Meinungsklima werde sich gegen Auslandseinsätze wenden, sobald "die ersten Zinksärge" nach Deutschland zurückkehren, hat sich nicht bewahrheitet. Das wäre vermutlich anders, wenn die Zahl der Toten und Verwundeten so hoch wäre, dass die meisten Deutschen irgendjemand kennen, der betroffen ist. Bislang ist das jedoch nicht der Fall. Zwar spricht sich mittlerweile eine Mehrheit in Deutschland für den Abzug aus Afghanistan aus, aber so wichtig ist dieser Mehrheit das Thema dann auch wieder nicht, dass es - beispielsweise im Wahlkampf - eine größere Rolle spielen würde.

Für diejenigen, die eine deutsche Beteiligung an weltweiten Militäreinsätzen für richtig halten, ist das bequem. Warum also freut sich Minister Jung darüber nicht, warum will er so dringend die emotionale Bindung an die Streitkräfte stärken? Die Antwort ist einfach. Für Angelegenheiten, die einer Gesellschaft wichtig sind, lässt sich leichter Geld beschaffen als für andere Dinge. Und Kriege sind teuer. Egal, wie man sie nennt.

BETTINA GAUS

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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