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Debatte Deutschland und seine SoldatenKrieg ohne Gefühl

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Warum nehmen die Deutschen im Zusammenhang mit militärischen Fragen heutzutage fast alles achselzuckend zur Kenntnis?

Deutsche Soldaten kommen nicht mehr einfach so ums Leben. Wenn sie - fern von zu Hause - "durch Fremdeinwirkung" sterben, dann "fallen" sie. Am 6. Juli ist erstmals das neue Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit verliehen worden. Interessiert all das die Öffentlichkeit? Falls ja, dann gibt es dafür keine messbaren Hinweise. Jedes vernachlässigte Kind und manche Haftentlassungen von Kriminellen erwecken mehr Leidenschaft als Krieg und Frieden, wenn man Umfragen und Medienresonanz als Kriterien zugrunde legt.

Die Gesellschaft nimmt im Zusammenhang mit militärischen Fragen fast alles achselzuckend zur Kenntnis. Öffentliche Gelöbnisse von Rekruten sind längst nicht mehr Gegenstand erbitterter Auseinandersetzungen, sondern weithin gleichmütig akzeptierter Alltag. Das Thema ruft keine Begeisterung hervor und kaum noch Protest.

Bild: taz

Bettina Gaus ist politische Korrespondentin der taz und arbeitet seit 1990 für diese Zeitung. Ihr Buch "Auf der Suche nach Amerika. Begegnungen mit einem fremden Land" ist 2008 im Eichborn Verlag erschienen.

Im Bendlerblock, einst das Zentrum der Widerstandskämpfer des 20. Juli, entsteht ein Ehrenmal für Angehörige der Bundeswehr, die im Dienst getötet wurden. Beinahe 3.000 waren es seit Gründung der Streitkräfte 1955. Niemand hielt allerdings den Bau einer Gedenkstätte für erforderlich, solange Soldaten lediglich Manöverunfällen zum Opfer fielen. Erst die Toten der Auslandseinsätze - 81 sind es bis heute - haben in manchen Politikern den Gedanken reifen lassen, ein solcher Ort sei nötig.

Nötig wofür? Verteidigungsminister Franz Josef Jung bemüht sich redlich, Gefühle zu erzeugen. Wenn es nach ihm geht, dann soll die Gesellschaft anerkennen, dass Soldaten sich in besonderer Weise für ihren Schutz einsetzen und deshalb auch besondere Anerkennung verdienen. Zugleich darf allerdings ein böses Unwort nicht fallen: Krieg. Das deutsche Militär verfolgt seiner Lesart zufolge Terroristen und Kriminelle, es kämpft nicht gegen ehrenwerte Gegner. Die Anspruch auf Behandlung entsprechend den Genfer Konventionen hätten.

Der Versuch einer Dämonisierung des Feindes ist nicht neu, er ist Bestandteil jeder Kriegspropaganda. Neu ist lediglich, dass der Krieg als solcher geleugnet wird. Das kann nur funktionieren, weil die Kampfhandlungen nicht auf dem eigenen Territorium stattfinden. Deutschland hat keine Erfahrung mit der Teilnahme an Kriegen, von deren Schrecken die eigene Bevölkerung verschont bleibt. Deshalb kommen Politiker mit der seltsamen Behauptung durch, die Anwendung von Waffengewalt, der auch Zivilisten zum Opfer fallen, wäre Teil eines humanitären Einsatzes.

In gewisser Weise hat in diesem Zusammenhang eine Amerikanisierung der Verhältnisse stattgefunden. Vielen Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges, auch überzeugten Transatlantikern, blieb die kühle Distanz stets fremd, mit der in den USA über Krieg gesprochen wird - und die Selbstverständlichkeit, mit der Militäroperationen als legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele betrachtet werden. Das Entsetzen, das Krieg für die Betroffenen unweigerlich mit sich bringt, ist in den Vereinigten Staaten nicht Teil der kollektiven Erinnerung. Auch bei uns wird das Gedächtnis allmählich schwächer.

Etwas allerdings ist in den USA anders als hierzulande: Dort genießen Soldaten tatsächlich den besonderen Respekt der Öffentlichkeit. Eine Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr aus dem Jahr 2007 ergab, dass in den USA 87 Prozent der Befragten der These zustimmten, man könne auf die Streitkräfte "stolz" sein. In Deutschland finden das nur 42 Prozent.

In den Vereinigten Staaten hat es keinen radikalen historischen Bruch und schon gar keine Debatte über Bewaffnung beziehungsweise Wiederbewaffnung gegeben. Das Militär wurde niemals prinzipiell infrage gestellt. Eine solche Grundsatzdebatte hat jedoch langfristige Folgen: Danach billigt eine Gesellschaft den Soldaten nicht mehr ohne Weiteres einen Sonderstatus zu.

Sicherheitspolitiker sagen gern, Militärs wären nicht mit anderen Berufsgruppen vergleichbar, weil sie ihr Leben für die Allgemeinheit riskierten. Diese Behauptung wird allerdings nicht dadurch richtig, dass sie beständig wiederholt wird. Auch andere Leute verrichten gefährliche Arbeit. Polizisten und Feuerwehrmänner. Oder Gleisbauer. Für die gibt es weder Orden noch Ehrenmäler.

Zinksärge sind kein Skandalon

Nicht einmal im Konfliktfall sind Soldaten die am stärksten gefährdete Gruppe. In modernen Kriegen sterben mehr Zivilisten als Militärangehörige, und auch die Gesellschaft nimmt im Zusammenhang mit militärischen Fragen fast alles achselzuckend zur Kenntnis. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen oder Journalisten werden immer wieder Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen. Das ist Teil ihres Berufsrisikos - und das gilt nicht mehr, aber auch nicht weniger als für Soldaten. Die Öffentlichkeit scheint es für erwartbar zu halten, dass in kriegerischen Konflikten gestorben wird. Nicht einmal kritische Fragen nach Versicherungsschutz oder der Behandlung traumatisierter Soldaten müssen Verantwortliche in nennenswerter Zahl befürchten.

Die Sorge des Verteidigungsministeriums, das Meinungsklima werde sich gegen Auslandseinsätze wenden, sobald "die ersten Zinksärge" nach Deutschland zurückkehren, hat sich nicht bewahrheitet. Das wäre vermutlich anders, wenn die Zahl der Toten und Verwundeten so hoch wäre, dass die meisten Deutschen irgendjemand kennen, der betroffen ist. Bislang ist das jedoch nicht der Fall. Zwar spricht sich mittlerweile eine Mehrheit in Deutschland für den Abzug aus Afghanistan aus, aber so wichtig ist dieser Mehrheit das Thema dann auch wieder nicht, dass es - beispielsweise im Wahlkampf - eine größere Rolle spielen würde.

Für diejenigen, die eine deutsche Beteiligung an weltweiten Militäreinsätzen für richtig halten, ist das bequem. Warum also freut sich Minister Jung darüber nicht, warum will er so dringend die emotionale Bindung an die Streitkräfte stärken? Die Antwort ist einfach. Für Angelegenheiten, die einer Gesellschaft wichtig sind, lässt sich leichter Geld beschaffen als für andere Dinge. Und Kriege sind teuer. Egal, wie man sie nennt.

BETTINA GAUS

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

5 Kommentare

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  • H
    hto

    Das ist ganz leicht zu beantworten Frau Gaus.

     

    Weil die "freiheitliche" Gesellschaft im Wettbewerb von allen maßgebenden Seiten mit Meinung in gebildeter Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche und ohne Alternative von eindeutiger Wahrhaftigkeit demoralisiert und konfusioniert wird.

  • KK
    Klaus Keller

    Ich habe noch nie Bilder der Opfer gesehen.

     

    Aus dem Vietnamkrieg habe ich das Bild eines fliehenden nackten Mädchens im Kopf wie sicherlich viele.

    Aus Afgahnistan zeigt man idR afgahnische Männer deutschen Soldaten in Pose und nicht zB Bilder von erschossenen Jugendlichen.

    Berichtet wird meißt von Journalisten die man auch hofberichterstatter des BMVg nennen könnte.

     

    Die Diskussion in den USA über den Vietnamkrieg änderte sich nachdem Journalisten die ersten Bilder der Opfer zeigten.

     

    Heute scheint es nachvollziehbar das die Amerikaner nach den Ereignissen des 9/11 ihr Meinung wieder geändert haben, hier wurden Sie selbst Opfer.

     

    Ich Frage mich ob es bei den Reaktionen darauf,

    eine Rolle spielt das es in den USA eine Todesstrafe gibt.

    Wenn ich im Alltag die Hinrichtung eines Mörders akzeptiere, gar fordere und diese erfüllt wird ist meine Auffassung vermutlich eine andere als wenn ich damit nicht aufwachse.

    Darin könnte auch eine Grundsätzlich andere Bereitschaft der Inkaufnahme ziviler Opfer liegen unabhängig von den deutschen Erfahrungen mit Mord im Kriegsmaßstab als Täter und Opfer.

     

    Die banalität des Bösen ist vermutlich: wir haben uns daran gewöhnt und glauben es nicht ändern zu können.

    Die Friedensbewegung hat Joschka Fischer mit Beihilfe der Grünen zu Grabe getragen so das mehrheitlich nur die Linke im Bundestag gegen Kriegshandlungen stimmt.

     

    Auch die Kirchen unterstützen den Krieg und seine Handwerker des Todes.

    In den 1980er Jahren konnte es einem Soldaten in Uniform passieren das er eine Kirche verlassen mußte und erst ohne Uniform wieder akzeptiert wurde.

     

    Stellen Sie sich vor ein Bischof,Pfarrer etc würde sich heute in Deutschland weigern einen Stahlhelm auf einem Sarg mit Deutschlandfahne in seiner Kirche zu dulden.

    Seinem Vorbild Jesus folgend, der die Händler aus dem Tempel warf,müßte er eigenhändig Fahne und Helm aus der Kirche werfen.

     

    Der Protest findet vielleicht leise statt.

    Die Zahl der Kriegsdienstverweiger ist glaube ich nicht "gefallen". :-)

     

    Klaus Keller Hanau

  • V
    vic

    Ich brauche keine Soldaten die in meinem Namen Krieg führen.

    Ich empfinde keinerlei Nähe zu diesem Staat und seinen Tötungsmarionetten. Wenn diese dabei ums Leben kommen, ist das wohl Berufsrisiko.

    Aber wenn ich manche Foristen sehe, die "stolz auf unsere Jungs" sind, wird mir übel.

    Es gibt zwei Ereignisse, für die der deutsche Sesselpupser seinen Hintern kurz hochkriegt. Fußball (auch "unsere Jungs") und Live-Übertragung von Jacksons Begräbniszeremonie.

  • K
    Küstenstelze

    Sehr geehrte Frau Gaus,

    "das Entsetzen, das Krieg für die Betroffenen unweigerlich mit sich bringt, ist in den Vereinigten Staaten nicht Teil der kollektiven Erinnerung. Auch bei uns wird das Gedächtnis allmählich schwächer."

    Das sehe ich etwas anders. Es ist nicht das Gedächtnis, was schwächer wird, sondern es wird immer noch zu viel verdrängt: von den Alten, die den Krieg und seine Folgen am eigenen Leib erfuhren und sich dann trotzdem nicht gegen die Wiederbewaffnung entschieden haben, von den gewählten Politikern derselben Jahrgänge, die uns in die NATO geführt haben und von denen, die nun noch die Vollmitgliedschaft in der UNO anstreben, wozu auch jüngere Jahrgänge gehören. Es ist doch klar, dass unter den genannten Prämissen ein Jung und ein Steinmeier nicht von Krieg sprechen mögen. Wir wollen überall in der ersten Reihe stehen (aus wirtschaftlichen Gründen, was denn wohl sonst), aber wir möchten gern in vielen Bereichen einen Sonderstatus erhalten und behalten (aufgrund unserer nicht verarbeiteten Geschichte): das passt nicht zueinander. Und die Mütter, die ihren männlichen Nachkommen empfehlen, zum "Bund" zu gehen, jammern dann in höchsten Tönen, wenn es irgendwann einmal nötig ist, in den Kriegseinsatz zu gehen. DAs begann mit dem Kosovo und geht mit Afghanistan weiter. Dass das dann unter ganz anderen Begriffen - wie Friedenseinsätze oder Unterstützung der leidenden Bevölkerung - vermarktet werden muss, ist kein Wunder. Wir haben in der Demokratie immer die Regierung, die wir auch verdienen. Leider.

  • G
    gregor

    Bevor man über die Gesellschaft klagt, muss man doch über die journalistische Faulheit reden. Jeder will über den Krieg reden, aber keiner will sagen, wer Feind ist. Gegen wen real kämpft die Bundeswehr in Aghanistan? Kann man die Namen feindlicher Generäle erfahren? Wie stark sind ihre Truppen? Wie ist ihre Ausrüstung, Finanzierung, Logistik, Dislozierung? Aber solange die Aufklärung, sprich Journalisten, keine Infos liefern, solange kann man über den Krieg nicht reden. Gegen wen denn? Warum soll sich der Bürger blamieren, wenn er solche einfache Fragen nicht beantworten kann?