Debatte "Deutschfeindlichkeit": Die Erfindung des Feindes
Die Behauptung einer neuen "Deutschfeindlichkeit" ist mehr als nur polemisch. Sie will deutsche Jugendliche mit Migrationshintergrund als Nichtbürger behandeln.
G erne würde man den "Schirrmacher-Jessen-Clinch" (Perlentaucher) ad acta legen - wenn es sich dabei tatsächlich nur um eine "Balgerei der schweren Jungs aus Deutschlands Musterblättern" (Deutschlandradio) handelte. Doch diese primär medienpolitische Lesart geht am inhaltlichen Skandal der Schirrmacherschen Argumentation vorbei: der Konstruktion einer neuen "Deutschfeindlichkeit".
Tatsache ist, dass die Bild-Zeitung diesen Kern sofort erkannte und mit Genuss popularisierte, als sie ihre Seiten 2 und 3 auf ganzer Breite mit dem entscheidenden Schirrmacher-Zitat übertitelte: "Sie haben begonnen, einen Feind zu identifizieren."
Die Ironie seitens der Bild-Zeitung: Auf den ersten Blick war nicht einmal zu erkennen, wer den Feind ausgemacht und die Feindschaft ausgerufen hatte - die kriminellen Jugendlichen oder der FAZ-Herausgeber höchstselbst. Das aber trifft den Kern des Skandals. Tatsächlich ist es Schirrmacher, der den Feindbegriff in die Debatte einführt. Und zwar mit Hilfe einer haltlosen Indizienkette.
Bei den jüngsten Gewalttaten von Deutschen mit Migrationshintergrund haben diese keineswegs ihre Opfer als Feinde tituliert. Das kann selbst Schirrmacher nicht behaupten. Dass sie aber von "Scheißdeutschen" oder "Schweinefressern" gesprochen haben, ist ihm hinreichender Beleg dafür, dass es sich dabei um eine neue Form der "Deutschfeindlichkeit" handelt, die jetzt in eine neue Phase des "punktuellen Totschlagens Einzelner" übergehe. Man möchte nicht wissen, wie viele Deutsche täglich die "Scheißausländer", "Kümmeltürken" oder wen auch immer auf den Mond wünschen und ihre Aggressionen dabei auch immer wieder nicht nur verbal ausleben - ohne dass deshalb auf eine eliminatorische Türkenfeindlichkeit geschlossen würde. Selbst Altbundeskanzler Helmut Kohl, dem FAZ-Herausgeber ansonsten herzlich zugetan, gibt deshalb warnend zu bedenken: "Ob wir jetzt schon von einer neuen 'Deutschfeindlichkeit' sprechen sollten, weiß ich nicht. Aber dass wir darüber reden, ist schon bemerkenswert."
In der Tat. Dass es sich dabei um eine Dramatisierung handelt, weiß vermutlich auch Schirrmacher. Völlig zu Recht bezeichnet er es als "eine der größten Leistungen" der Bundesrepublik, "den inneren Feind nicht zu postulieren". Selbst der RAF gelang es letztlich nicht, statt als Verbrecherbande als kriegsführende Partei anerkannt zu werden und damit der Gesellschaft den Feindbegriff aufzuzwingen. Schirrmacher seinerseits tut nun ebendies. Und niemand hat dies schneller begriffen als der in dieser Hinsicht stets empfängliche Springer-Konzern. In konzertierter Aktion machte nicht nur die Bild-Zeitung, sondern auch das Intelligenzblatt des Verlages, Die Welt, mobil. Und zwar in Gestalt ihres Chefredakteurs Thomas Schmid, der als ehemaliger "revolutionärer Kampfgefährte" Joschka Fischers inzwischen seinen ganz eigenen Marsch durch die Institutionen zurückgelegt hat. Schmid stellt, ohne selbst den Feindbegriff zu verwenden, die Frage: Was macht die von Schirrmacher als Feinde ausgemachten "jungen männlichen Ausländer mit Migrationshintergrund" in ihrem Wesenskern aus? Für ihn sind sie dadurch charakterisiert, dass "sie die deutsche Gesellschaft von außen, mit fremden Augen betrachten. Etliche von ihnen wollen ihr nicht angehören []. Sie stellen so etwas wie einen existenziellen, fast körperlichen Dissens zur Mehrheitsgesellschaft dar."
Damit aber befindet sich der einstige linke Chefideologe Schmid begrifflich in beängstigender Nähe zu Carl Schmitt, dem "Kronjuristen des Dritten Reichs", der mit seiner Unterscheidung von "Freund und Feind" der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik den ideologischen Boden bereitete. Nach Carl Schmitt ist der Feind "eben der Andere, der Fremde (sic), und es genügt zu seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existenziell (sic) etwas Anderes und Fremdes ist". Deswegen, so kann man problemlos mit Thomas Schmid fortfahren, "bleiben ihnen die Regeln, die hier gelten sollten, fremd. Sie beziehen sie nicht auf sich selbst" - "so dass", so wiederum Carl Schmitt, "im extremen Fall Konflikte mit ihm [dem Fremden und Feind] möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines 'unbeteiligten' und daher 'unparteiischen' Dritten entschieden werden können".
Wenn aber diese feindlichen Personen nicht mehr im Rahmen des liberalen Rechtsstaates, sprich: durch allgemeingültiges Gesetz und unabhängigen Richterspruch, zu behandeln sind, wirft dies die entscheidende Frage auf: Wie geht man mit derartigen Feinden der Gesellschaft um? Offensichtlich müssen und sollen nach dieser Argumentation für sie andere "Gesetze" als für die Bürger der Gesellschaft gelten.
Und hier wird die eigentliche Brisanz der Schirrmacher-Argumentation deutlich. Indem sie den hochproblematischen Feindbegriff ins (vermeintlich) liberale Feuilleton transportiert, macht sie dieses an Gebiete anschlussfähig, die längst wesentlich "weiter" sind. So wird im Verfassungs- und Strafrecht spätestens seit Nine Eleven die Notwendigkeit eines Feindrechts behauptet. Ganz im Geiste von Carl Schmitt argumentiert etwa der emeritierte Verfassungsrechtler Gerd Roellecke: "Feinde bestraft man nicht. Feinde ehrt und vernichtet man." Und explizit auf Roellecke bezieht sich wiederum der jüngst von Innenminister Wolfgang Schäuble wärmstens empfohlene Staatsrechtler Otto Depenheuer.
Wie seine Kollegen Brugger und Jakobs sieht er das Grundgesetz als für den terroristischen Ernstfall nicht gerüstet an. Nach seiner Ansicht ist der Terrorist keine rechtliche Person. Der Staat fingiere den terroristischen Feind lediglich als Rechtssubjekt. Als Feind der Rechtsordnung hat der Terrorist in dieser Denklogik seinen Anspruch verwirkt, als Rechtsperson behandelt zu werden, und existiert nur noch als rechtloses Individuum im Hobbesschen Naturzustand. Er darf folglich mit allen zu Gebote stehenden kriegerischen Mitteln bekämpft werden, ganz im Sinne der Maxime Otto Schilys: "Wer den Tod will, kann ihn haben."
Der Schirrmacher-Diskurs überführt nun den Feindbegriff aus der Terrorismusdebatte in die innenpolitische Diskussion. Am Ende der Eskalationslogik, die ohne jede empirische Faktenbasis auskommt, stehen "wir, die Bürger" auf der einen, und die anderen, "die Fremden und Feinde", auf der anderen Seite - beim Kampf auf Leben und Tod. Hier zeigt sich: Wer den Feindbegriff reimportiert, leistet letztlich der Rebarbarisierung der Gesellschaft Vorschub. Noch sind wir zum Glück nicht so weit; noch muss der Rechtsstaat seine Gegner, selbst wenn sie sich als Feinde gerieren, als Rechtssubjekte achten und entsprechend behandeln. Der jüngste Feuilleton-Diskurs hat jedoch der ohnehin herrschenden Tendenz zur Verfeindung Tür und Tor geöffnet.
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