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Debatte BundeswehrRohe Leber, nackte Männer

Kommentar von Rolf Pohl

Das Leitbild "Bürger in Uniform" verliert an Bedeutung und die brutalen informellen Aufnahmerituale verschärfen sich. Das ist kein Zufall.

Die in die Schlagzeilen geratenen bizarren Aufnahmerituale bei den Gebirgsjägern in Mittenwald haben für Aufregung gesorgt - und auch ihren Weg in den diese Woche veröffentlichten Wehrbericht gefunden.

Erinnern wir uns kurz: Um in der internen Mannschaftshierarchie aufzusteigen, müssen die Novizen bis zum Erbrechen rohe Schweineleber und mit Rohhefe gefüllte Rollmöpse essen, Alkohol trinken und splitternackte Kletterübungen vor den versammelten Kameraden absolvieren. Nur wer diese Prüfungen übersteht, gilt als "echter" Gebirgsjäger, was immer das angesichts der Lächerlichkeit dieser Torturen heißen mag.

Rolf Pohl

ist Professor für Sozialpsychologie an der Uni Hannover. 2002 publizierte er "Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen" (Offizin). Just erschien "Männliche Sexualität" (Kompakt).

Nun gehen sowohl die Skandalisierung dieser Initiationsriten als auch ihre Verharmlosung als spätpubertäre Mutproben am Kern der Affäre vorbei. Denn de facto handelt es sich hier um ein wichtiges Männlichkeitsritual für zukünftige Elitekrieger. Das Ziel besteht darin, grundlegende militärische Tugenden wie Pflicht, Treue, Tapferkeit sowie eine aggressive Kampfbereitschaft, Härte und Opferbereitschaft in den Körper und in die Seele des Soldaten einzuschreiben. Insofern dienen die Rituale dazu, eine abwehr- und kampfbereite Männlichkeit hervorzubringen und zu verstärken. Diese militarisierte Männlichkeit ist wichtig insbesondere für Eliteeinheiten mit einem stärker auf Kampf ausgerichteten Berufsbild sowie generell für die Bundeswehr. Eine Armee also, die sich im Übergang von einem stehenden Verteidigungsheer innerhalb der eigenen Landesgrenzen zu einer gegebenenfalls weltweit operierenden Interventionsarmee befindet.

So ist es kein Zufall, dass seit Beginn der Auslandseinsätze der Bundeswehr gehäuft Fälle von Schikanen und Misshandlungen im Dienst auftreten: Bereits 1996 wurden nachgestellte Folterungen, Hinrichtungen und Vergewaltigungen an der Infanterieschule in Hammelburg bekannt. Die größte Dimension aber hatten die bis heute juristisch verfolgten Vorfälle 2004 in Coesfeld, bei denen im Rahmen fingierter Geiselnahmen gefesselte Rekruten am Ende der Grundausbildung getreten, geschlagen, mit Stromstößen malträtiert und mit kaltem Wasser überschüttet wurden. Ähnliche Fälle von Körperverletzungen wurden in Kasernen in Ahlen, Kempten, Varrel und in Wunstorf öffentlich, oft im Rahmen "realitätsnah" simulierter Geiselnahmen. Gelegentlich waren sie auch verbunden mit rechtsradikalen Ausfällen, wie dem Hitlergruß, dem Aushängen einer Hakenkreuzfahne oder dem Saufen zu Ehren des Führers. Auf dem Flughafengelände in Stuttgart wurden Soldaten fingierten Überfällen von Palästinensern mit Scheinerschießungen und dem inquisitorischen Anbrüllen ausgesetzt: "Are you a jew, a damned fucking jew?"

Auch Fälle von schikanösen Behandlungen und Prüfungsritualen à la Mittenwald häufen sich auffällig seit Ende der 1980er-Jahre nicht nur, sie gewinnen sogar deutlich an Intensität und an Härte. Dem korrespondiert, dass in einer jüngeren Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr ein Nachlassen der Prägekraft des Konzepts der Inneren Führung bei den Soldaten festgestellt wurde. An die Stelle des Leitbilds vom Bürger in Uniform scheint mehr und mehr die Identifizierung mit einem archaischen Kriegerideal zu treten, zu dessen Grundausstattung die genannten "ewig gültigen" Soldatentugenden gehören. Angesichts der zunehmenden Auslandseinsätze und insbesondere der jüngsten Entwicklung des Kriegs in Afghanistan unter deutscher Beteiligung verwundert diese Renaissance des alten kriegerischen Männlichkeitsideals kaum.

Erst vor diesem Hintergrund lässt sich die Bagatellisierung der Gebirgsjägerpraktiken als harmlose Initiationsrituale, die in allen Männerbünden vorkommen, richtig einordnen: In traditionellen Stammeskulturen mit männlicher Vorherrschaft ist die Initiation das wichtigste Mittel zur Herstellung und Sicherung der kulturell erwünschten Männlichkeit. Nach einer radikalen, häufig gewaltsamen Trennung von der weiblichen Welt werden die Initianden komplexen Inszenierungen und oft schmerzhaften Prüfungen unterworfen, um alle Spuren des Weiblichen aus ihrem Geist und Körper auszutreiben. Erst nach der Inszenierung eines symbolischen Todes und einer anschließenden zweiten Geburt, einer sozialen Wiedergeburt in der exklusiven Gruppe erwachsener Männer, ist eine Rückkehr in die "bedrohliche" weibliche Welt, nun als Mann, und das heißt (meistens) auch als Krieger, möglich. Dies gilt im Prinzip auch für "moderne", nach wie vor männlich bestimmte Gesellschaften und insbesondere für eine maskuline Einrichtung wie das Militär.

Die angestrebte mann-männliche Wiedergeburt ist auch hier von einer Abwehr der Weiblichkeit und einer Angst vor der Schwächung durch die Frauen und ihre Sexualität gekennzeichnet. Damit entsteht für die Soldaten ein Dilemma: Sexualität gehört elementar zum Ideal von männlicher Vitalität und Stärke, aber Homosexualität ist nach wie vor zutiefst verpönt.

In den Ritualen der Gebirgsjäger wird diese sexuelle Dimension zur Schau gestellt: Die nackten Kletterübungen demonstrieren, dass der Körper der Soldaten der ganzen Gruppe gehört. Nicht nur zum Zwecke der Abhärtung, sondern auch zur Kontrolle möglicher sexueller Anfeindungen, die gleichzeitig begrenzt und in voyeuristischer Form auf ihre Kosten kommen. Das Posieren von Angehörigen der Gebirgsjäger mit Totenschädeln bei ihrem Einsatz in Afghanistan 2006 neben ihrem entblößten und erigierten Geschlechtsteil erfüllt einen ähnlichen Zweck. Die Nähe von Sexualität, Tod und Potenz bei einer unter Kriegsbedingungen existenziellen Ängsten ausgesetzten soldatischen Männlichkeit ist auffällig.

Aber wo bleibt dann die Sexualität der Soldaten, die ständig mobilisiert und als Mittel des Potenzbeweises und der Überlegenheit eingesetzt wird? Das Thema Sexualität ist im Militär dauerpräsent, aber gleichzeitig mit Tabus versehen. Zum soldatischen Selbstbild gehört eine als "naturgegeben" aufgefasste urwüchsige Sexualität, die keinen Aufschub duldet. Das ist keine als Aufstau missverstandene "sexuelle Not", sondern ein aus Prestigegründen und Kameradschaftsdruck "notwendiger" Männlichkeitsbeweis - eine funktionierende Heterosexualität wird hier vorausgesetzt.

Zu den Folgen gehört, wie etwa 2000 bei den deutschen Kfor-Truppen im Kosovo bekannt geworden, ein organisiertes Bordellwesen mit den "üblichen" Begleiterscheinungen von Frauenhandel, Zwangsprostitution und Kindesmissbrauch. Symptomatisch für die Tabuisierung dieses Themas ist die Antwort des damaligen Verteidigungsministers Scharping auf eine entsprechende Anfrage von medica mondiale. Nach einem Bericht von Monika Hauser empfahl Scharping, das Thema nicht allzu breitzutreten, "um die Freundinnen und Frauen der Soldaten nicht zu verunsichern".

Wenn wir die Rituale der Männlichkeit mit initiationsähnlichen Zügen bei der Bundeswehr ernsthaft aufdecken und auf den Prüfstand stellen wollen, dann besteht vor allem ein riesiger Aufklärungsbedarf.

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8 Kommentare

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  • "Die Nähe von Sexualität, Tod und Potenz bei einer unter Kriegsbedingungen existenziellen Ängsten ausgesetzten soldatischen Männlichkeit ist auffällig."

     

    Dass die traditionelle männliche Sexualität etwas Teuflisches hat, war den Menschen früherer Epochen noch viel bewusster als uns. Hieronymus Bosch hat das wie kaum ein Anderer zum Ausdruck gebracht http://www.zeit.de/2016/09/hieronymus-bosch-bilder-niederlande-gemaelde-s-hertogenbosch/seite-2

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer von schwerem sexuellen Missbrauch wurden

  • M
    Merle

    Schade, dass der Artikel über Rituale der Aufnahme, simulierte Geiselnahmen, Auslandseinsätze sich so sehr auf die "neue Männlichkeit" beschränkt. Welche Stellung, welchen Platz haben dann überhaupt Frauen in der Bundeswehr? Ihre Existenz wird in dem Artikel bezogen auf eine natürlich deutlich von Männern dominierte Bundeswehrwelt komplett ausgeblendet.

  • J
    Jörg

    Da hat mal wieder eine grundpazifistische Plaudertasche ihre linke Seele ausgeschüttet. Betrunkene haben sich übergeben, davor mussten sie -oh graus- rollmöpse essen...

    Männerbünde habe seltsame Rituale, die nur von den Männern verstanden und akzeptiert werden, die auch daran teilnehmen. Außenstehende sollten weder darüber urteilen noch ihr eigenes jämmerliches Gemüt als Grundlage nehmen.

  • CD
    christian d.

    Das Thema Sexualität ist innerhalb der Bundeswehr nicht präsenter als im Sportverein oder einer Großbaustelle mit überwiegend männlichen Arbeitern. Woher der Autor sein Wissen bezieht, wird nicht deutlich, ich war 4 Jahre lang Soldat und habe das wie beschrieben nicht annähernd erlebt. Es wimmelt geradezu von Klischees. Die hirnrissigen "Rituale" jedweder Art allerdings gab es bereits vor 20 Jahren und waren allen bekannt! Auch wenn es in einige Köpfe nicht rein will: Soldaten sind Menschen & Bürger, und zwar aller Couleur. Und es sollte nicht mehr Reflexionsvermögen von SoldatInnen verlangt werden, als mensch selbst zu bringen bereit ist!

  • EN
    Ein Name

    Der Ex-Heeresinspekteur Hans-Otto Budde hat den "Staatsbürger in Uniform" als Leitbild schon vor einiger Zeit (2002?) zugunsten des 'archaischen Kämpfers und High-Tech-Kriegers' ausrangiert. Ein Zitat dass gut in diesen Zusammenhang passt.

     

    Ein anderer, hier nicht angesprochener Aspekt, ist die Tatsache, dass sich solche Rituale selbst reproduzieren. Hat eine Generation von Rekruten gelitten, nimmt sie für sich selbst das Recht in Anspruch anderen (der nächstfolgenden Generation) ebenfalls Leid zuzufügen.

  • M
    Makeze

    Wer das liest muss ja glauben alle Soldaten und vor allem die Gebirgsjäger seien absolte Monster.

    Keine der hier beschriebenen Rituale habe ich jemals erlebt. Als ich zur Bundeswehr ging habe ich weniger Getrunken und den konsum aller Drogen völlig eingestellt. Um ehrlich zu sein hat der morgige 7-Kilometerlauf mit Kater einmal gereicht.

    Es gab keinerlei Männlichkeitsrituale, nur den üblichen Schwachsinn, den sich junge aufgedrehte Männer überall einfallen lassen (mit meinen Fruenden die fast alle Zivildienst geleistet haben, habe ich weitaus krasseres erlebt. Die Bundeswehr war im Vergleich dazu ein haufen frigider Weichlinge). Und wenn es mal eine Feier gab, dann waren sowohl die Weiblichen Soldaten, sowie die Freundinnen und Partnerinnen von uns immer herzlich Wilkommen.

    Ich will hier nicht sagen, dass die ganzen Vorwürfe aus dem Artikel ausgedacht sind. Jedoch spiegelt er in keinster weise das normale Kasernenleben wieder. Gerade bei den Gebirgsjägern und anderen Einheiten die einen gehobenen Standard für sich beanspruchen, ist der Dienstplan meist viel zu streng als dass er Zeit und energie für so einen Schwachsinn ließe. Das verhältnis zu den Vorgesetzten war zwar hierarchisch aber fair. Man hat sich immer bemüht so sehr Gentleman zu beliben wie es bei einem so ungehobelten Haufen möglich ist. Im Einsatz sind dann nämlich doch alle aufeinander angewiesen.

    Bundeswehr mag ja nicht jedermanns Geschmack sein, über sie lässt sich trefflich streiten, aber der Artikel grenzt ja schon an beleidigung!

  • DF
    Der Frosch

    Was schwierig ist, scheint wichtig. Aufnahmerituale haben schwierig und v. A. sinnlos zu sein, der geistige Ausweg muss versperrt bleiben.

    Die diversen Castingshows mit Seelenstriptease und Schwerpunkt Gewinnmaximierung (nicht etwa Karriereförderung) gehen in eine ähnliche Richtung, finde ich.

  • TF
    Thomas Fluhr

    Was sollen solche Typen wieder aufbauen, oder welche 'westlichen Werte' vermitteln?