Debatte Bundespräsidenten-Kandidatur: Köhler, wozu?
Vom einstigen Amtsverständnis des Bundespräsidenten ist nicht viel übrig geblieben. Die integrierende Symbolfigur des Nationalstaats ist zum Standortvertreter verkommen.
H orst Köhler also will noch mal. Auch Gesine Schwan hat Interesse am Amt der BundespräsidentIn, vielleicht meldet sich noch ein Dritter. Im Mittelpunkt des Interesses steht derzeit, welche koalitionsarithmetischen Kalküle und innersozialdemokratischen Kabalen mit der Nominierung verbunden sind - und weniger, auf welche Art und Weise die Kandidaten das Amt zu führen gedenken. Konkurrierende Vorstellungen davon bleiben im Dunkeln, die Bundesversammlung findet ohne Aussprache statt und gleicht mehr einer Krönungsmesse denn dem Schlussakt eines demokratischen Wettbewerbs. Dabei böte gerade eine erneute Wahl Horst Köhlers Anlass zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Aufgaben des Amtes und die Anforderungen an seinen Inhaber.
Denn er steht für einen Wandel des Verfassungsorgans, der die Frage nach dessen Sinn aufwirft. Horst Köhler repräsentiert heute keinen Staat mehr, sondern er vertritt einen Standort. Der frühere IWF-Direktor verkörpert und propagiert wie kein Zweiter die Globalisierung, deren Opfer der Nationalstaat und damit sein eigenes Amt ist. Auch Exekutive und Legislative haben an Legitimation und Handlungsfähigkeit eingebüßt, doch der Repräsentant leidet unmittelbar, wenn der Staat an Bedeutung verliert.
Dies umso mehr, als der Bundespräsident im Verfassungsgefüge eh nicht viel zu sagen hat. Er darf vor allem Reden halten. Ihm wurden nur wenige Aufgaben zugesprochen, die zudem in der politischen Alltagspraxis entweder (wie die völkerrechtliche Vertretung) von der Regierung wahrgenommen werden oder (wie die materielle und formelle Prüfung der Gesetze) eigentlich eine Domäne des Bundesverfassungsgerichts sind.
Die Rolle einer "pouvoir neutre", die schlichtend bei Auseinandersetzungen zwischen den übrigen Verfassungsorganen eingreift, musste der Bundespräsident in der Geschichte der Bundesrepublik zum Glück nicht ausfüllen. Im System der Checks and Balances spielte er keine Rolle, die nicht von einem anderen Organ übernommen werden könnte.
Es bleibt die Aura des Amtes, die seine Inhaber befähigte, kommunikativ Einfluss auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen. Theodor Heuss entsprach als Vertreter der Weimarer Gründergeneration dem Autoritätsbedürfnis einer entpolitisierten Gesellschaft, die ihrer positiven Bezüge entkleidet ihr Heil im Privaten suchte. Richard von Weizsäcker formulierte als Exponent der Kriegsgeneration und als liberaler Konservativer den Konsens über das Ende des Zweiten Weltkrieges als Akt der Befreiung. Die Präsidenten der bundesrepublikanischen Ära entfalteten politische Wirkung aus dem Selbstverständnis, in einem geteilten Land oberster Repräsentant des ganzen deutschen Volkes zu sein.
Doch in dem Maße, wie sich die Vergangenheit als kollektive Identitätsressource erschöpfte, wie sich das Staatsvolk heterogenisierte und mit der Einheit nicht nur die Teilstaaten verschwanden, sondern sich staatliche Institutionen und nationale Politiken transnationalisierten, wurde und wird es schwierig, eine aufs Ganze dieses Staates bezogene Position zu verkörpern und aus ihr Autorität zu schöpfen.
Der letzte genuin staatspolitische Präsident war von Weizsäcker. Er definierte mit seiner Erklärung zum 8. Mai, was seitdem nationales Selbstverständnis ist. Und er gab mit seinem frühen Eintreten für Berlin als Hauptstadt dem Einheitsprozess eine staatliche Orientierung.
Mit seinem Nachfolger Roman Herzog zog ein neuer Präsidententypus in das Amt ein, der den Präsidenten als gesellschaftlichen Akteur verstand. Seine berühmte Ruck-Rede war getragen von einem ausgesprochenen Anti-Etatismus, auch seine folgenden Interventionen versprühten eine gediegene Geringschätzung der Handlungswilligkeit und -fähigkeit der politischen Klasse.
Johannes Rau setzte sich davon bewusst ab, "Vorstandsvorsitzender der Deutschland AG" zu sein, konnte diese Negation aber letztlich nicht positiv füllen. Auch er war eher gesellschaftlicher Akteur denn Präsident des Staates. Horst Köhlers Interventionen nun stehen in der Herzogschen Tradition. Die Interessen des Standorts Deutschland sind die neue Staatsräson, in ihrem Sinne zu handeln wird zu einer Frage der Vernunft erhoben. Politik schrumpft damit zur Einsicht in die Notwendigkeit. Die "konzeptionelle Führung", die er bei seinem Amtsantritt ankündigte, reduziert sich allzu häufig auf das "dem Land die Leviten lesen", das sich damals der Politologe Arnulf Baring von ihm versprochen hat. Die Leviten hat Köhler vor allem der Regierung und dem Parlament gelesen und ging dabei recht freihändig mit den verfassungsrechtlichen und tradierten Normen seines Amtes um. Seine tagespolitischen Interventionen, sei es gegen die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I, sei es gegen den Mindestlohn und für betriebliche Bündnisse - um nur einige Beispiele zu nennen -, strapazieren arg den Geist des Artikels 58 Grundgesetz, der die exekutiven Befugnisse des Präsidenten an ihren Einklang mit der Bundesregierung bindet.
Als er noch Staatsrecht lehrte, formulierte Herzog den verfassungsrechtlichen Konsens, dass des Bundespräsidenten "vorrangige Aufgabe in der Repräsentation der Staatseinheit und damit zugleich in der Integration des Staatsvolkes bestehe". Deshalb sei es ein "selbstverständliches Gebot der Klugheit, dass vom Bundespräsidenten mehr als von jedem anderen Amtsträger verlangt wird, sein Amt nicht im Zwielicht häufiger und unnötiger öffentlicher Auseinandersetzungen zu entwerten".
Horst Köhlers Schwierigkeiten, diesem Amtsverständnis zu genügen, zeigten sich auch dort, wo er im Einklang mit der Regierung handelte. Sein Plazet für die vom damaligen Kanzler Gerhard Schröder geforderte Neuwahl ging weit über die verfassungsrechtlich gebotene Prüfung hinaus, sein düsteres Geraune von den gewaltigen Aufgaben, vor denen das Land stehe, und der Zukunft, die auf dem Spiel stehe, klangen wie die Ausrufung eines Staatsnotstandes.
Auf diese Weise erzielen Köhlers Positionen ihre öffentliche Resonanz. Indem er mit "den Politikern" ins Gericht geht, deren Trägheit anprangert, bedient er zudem ein in der Bevölkerung verbreitetes Ressentiment gegen die politische Klasse, der er ja eigentlich angehört. Er tut dies in der ihm eigenen charmanten Unbekümmertheit und wurde so zu einem der beliebtesten Politiker, obgleich der von ihm vertretene Kurs inhaltlich von der gleichen Mehrheit, die ihn feiert, abgelehnt wird.
In dem Maße, wie er sich solchermaßen exponiert, untergräbt er die Neutralität, auf der die Autorität seines Amtes ruht. Horst Köhler hat sich weit von diesem neutralen Boden entfernt, wohl auch, weil es darauf für ihn wenig zu bestellen gibt. Doch je weiter er sich entfernt, desto naheliegender wird die Frage, wozu das Amt des Bundespräsidenten eigentlich gut ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid