Debatte Buchmesse: Angst vorm Kontrollverlust
Chinas Literatur bleibt den Europäern fremd. Hinter dem Duell zwischen Staat und Dissidenten verblassten in Frankfurt die Zwischentöne.
V or der Frankfurter Buchmesse gab es viel Wirbel um zunächst eingeladene AutorInnen, die dann auf Druck der chinesischen Regierung wieder ausgeladen wurden. Dieses Hin und Her war im Vorfeld vielfach kritisiert worden, doch auf der Buchmesse selbst ging es dann ruhig zu. Statt Streit herrschte hier eher Langeweile vor.
Fragte man chinesische KollegInnen, warum die meisten Debatten so wenig ertragreich waren, waren sie sich erstaunlich einig. In Frankfurt erfahre man nichts vom normalen, lebendigen, im Umbruch befindlichen China. Stattdessen habe die Messe allein die Extreme präsentiert: das Staatschina auf der einen und die Sicht der Dissidenten auf der anderen Seite. Eine Auseinandersetzung mit jenen Themen, die das Berufs- und Privatleben der chinesischen Mehrheit dominieren, sei nirgends auch nur versucht worden. Die Gäste sind gelangweilt.
Und sie haben Recht. Die Messe hat über dem sattsam bekannten Duell zwischen Großtäter und Großopfer die Zwischentöne und Zwischenwelten vergessen. In diesem Streit aber gibt es keine Annäherung, keine Versöhnung, keine Dialektik, hier entsteht nichts Drittes oder Viertes.
Mozzarella-Sandwich in Schanghai
Warum tappt gerade die Buchwelt in diese Falle, während sich China dem Westen in der bildenden Kunst oder im Kino schon lange als bunte Welt mit tausend Widersprüchen, Schattenseiten und Verheißungen vermittelt? Anders gefragt: Warum gehört es in der Buchwelt nicht zum guten Ton, zumindest schon einmal in Schanghai und in Peking gewesen zu sein? Warum erscheint die Buchmesse so unbeweglich, so gähnend langweilig abstrakt?
Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Kunstszene und dem Literaturbetrieb ist, dass es in China keinen offiziellen Verband der bildenden Künstler gibt. Insofern übt der Staat auf die bildende Kunst auch deutlich weniger Druck aus als auf das Verlagswesen. Die bildenden Künstler sind schlicht unabhängiger und müssen sich keinem staatstragenden Schriftstellerverband unterordnen, das kommt ihrer Arbeit zugute.
Ines Kappert ist Redakteurin im Meinungsressort der taz. Sie hat in den Literaturwissenschaften promoviert. Zuletzt erschien von ihr das Buch: "Der Mann in der Krise. Oder: Kapitalismuskritik in der Mainstreamkultur" (2008, transscript Verlag).
Der zweite Unterschied lautet, dass die Kunstwelt prinzipiell zugänglicher erscheint. So bieten die künstlerischen Arbeiten auch demjenigen Betrachter Anschauungsmaterial, der das jeweilige Zeichensystem der anderen Kultur nicht beherrscht. Bilder sind in diesem Sinne integrativer als Bücher. Zudem befördern die vielen Biennalen den Jetset, und immer werden die Aussteller daran gemessen, ob es ihnen gelungen ist, neue Räume zu entdecken und das Publikum zu überraschen. Dieser Trend hat zumindest ein Gutes: Er verlangt dem Betrieb eine gewisse Beweglichkeit ab. Er muss sich immer wieder auf neue Orte einstellen - auch wenn das mittlerweile dazu geführt hat, dass es nun überall auf der Welt Mozzarella-Tomaten-Sandwiches gibt.
Chinas Kulturen, Narrationsweisen und Ästhetiken sind für Europäer grundlegend fremd. Annäherung ist anstrengend, bedeutet Aufregung und Arbeit, denn es gilt, die eigene Unwissenheit und Verunsicherung auszuhalten, um wenigstens eine Ahnung davon zu bekommen, was man gerade wieder nicht verstanden hat. Das ist die Voraussetzung für den auf der Buchmesse so viel beschworenen Dialog - kein Loblied auf den Exotismus.
Vielleicht sorgt nicht zuletzt dieser in der Auseinandersetzung mit China bislang nicht wegzudenkende Rest an Kontrollverlust dafür, dass sich der Literaturbetrieb für chinesische Literatur nicht erwärmen mag. Ob auf der Messe selbst oder den abendlichen Verlagsempfängen - viele Kritiker, nicht zuletzt die namhaften, zuckten nur mit den Schultern. China? Sie verstünden nichts von dem Land, insofern wollten sie sich auch kein Urteil über diesen oder jenen Roman erlauben. Wenn man so will, ging es vielen deutschen KritikerInnen ähnlich wie ihren chinesischen Kollegen: Auch an ihnen perlte die von der Messe vorgeschlagene Debatte Staat versus Staatsfeinde ab. Hinzu kommt, dass es dem eigenen Status als Experte keinen Abbruch tut, etwa Mo Yan, einen möglichen nächsten Literaturnobelpreisträger, nicht zu kennen. In der bildenden Kunst hingegen kann es sich niemand mehr leisten, vom riesigen Pekinger Galeriencompound "798" nichts gehört zu haben.
Yoga ja, aber sonst?
Dem Leiter der Buchmesse, Jürgen Boos, ist sein unprofessioneller Umgang mit den verhärteten Fronten zwischen Staatsdelegation und Dissidenten vorgeworfen worden. Tatsächlich scheinen er und sein Team etwas Wesentliches nicht bedacht zu haben: Im Umgang mit China geht es um Fremdheit, also um Kulturvermittlung. Aber es geht auch und vor allem um einen Kampf, wer in der globalisierten Welt die kulturelle Hegemonie beanspruchen kann. Während China offen für das Aufholen und die Anpassung an westliche Standards kämpft, hält sich der Westen bedeckt: er wehrt ab. Für ihn scheint klar: Sehen wir mal vom Yoga ab, dann birgt die westliche Kultur die wesentlichen Antworten auf die großen Zukunftsfragen: Demokratie, Umweltschutz, Wohlstand. Darüber muss man nicht groß debattieren, wenn die Musik in Frankfurt spielen soll, in Berlin, in Barcelona, in London.
Wer aber einmal in Peking oder Schanghai war, der kann nicht mehr ignorieren, dass hier eine riesige Welt pulsiert, die ihrer eigenen Kultur und ihre eigenen Regeln folgt und diese fortentwickelt und von der westlichen Besuchern in aller Regel jedes Wissen fehlt. Auf einmal fühlt sich der selbstsichere Westler ganz klein in der großen Welt. Das Desinteresse an China ist damit auch einem tiefsitzenden westlichen Minderwertigkeitskomplex geschuldet. Dies zu thematisieren, und zwar nicht als Anklage, sondern als Problem, hätte neue Zugänge eröffnen können. Die Kunst als Medium der Zwischentöne und der Gleichzeitigkeit des Unzeitgleichen bietet sich dafür an, sofern das Publikum die Irritation des eigenen Blickes zulässt.
Frankfurt allerdings hat einmal mehr gezeigt: Ordnet man die Kunst Überschriften wie "Kulturaustausch" oder "Kampf für die Menschenrechte" unter, nimmt sie also in den Dienst der Diplomatie im weitesten Sinne, dann passiert gar nichts. Das Publikum jedweder Couleur verliert das Interesse und wendet sich umgehend den feinen Unterschieden im je eigenen Betrieb zu.
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