Debatte #Aufschrei und Feminismus: Neuer Feminismus?
Die Sexismusdebatte hat die altgediente Erzählung von den zerstrittenen Feministinnen wieder populär gemacht. Wem nützt sie?
I ch glaube nicht an den „neuen Feminismus“. Er ist eine mediale Konstruktion. Spätestens seit sich ausgerechnet unser Innenminister Hans-Peter Friedrich als „Neofeminist“ outete, möchte ich die Bezeichnung wegen Konstruktionsfehlern zurückgeben. Dabei ist Friedrichs Selbstbenennung nicht nur absurd, sondern tragischerweise auch konsequent. Absurd, weil sich im Jahr 2013 plötzlich konservative Politiker zu einer revolutionären politischen Strömung bekennen. Konsequent, weil es den einen Feminismus nie gegeben hat und es immer auch konservative Anknüpfungspunkte gab.Tragisch, weil die neue Anschlussfähigkeit Resultat einer Banalisierung feministischer Inhalte und Analysen ist.
Doch zunächst zum Feminismus selbst: Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass bereits die Suffragetten (solidarisch) darum gestritten haben, welcher Weg der richtige sei. Auch in Deutschland herrschte über Weg und Ziel des Feminismus nie Einigkeit. Mutterrolle stärken? Oder Frauen den Zugang zu den Institutionen ermöglichen? An diesen Fragen hat sich bis heute wenig geändert: Betreuungsgeld, Kitaausbau, Quote.
Zudem waren die innerfeministischen Diskussionen durchzogen von der Klassenfrage, von Fragen der Differenz oder Gleichheit der Geschlechter, solchen der Sexualität und sexuellen Orientierung sowie der Verschränkung von Sexismus und Rassismus. Diese Debatten werden bis heute heftig geführt. Mit einem gemeinsamen Anliegen: der Diskriminierung von Frauen ein Ende zu setzen, wer auch immer – mit Judith Butler gesprochen – die Frauen im Einzelnen sind.
ist Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung und promoviert über Intimchirurgie. Sie ist Mitinitiatorin von #Aufschrei, wofür unter anderen sie mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde.
Nun kann man sich angesichts der routinemäßig heraufbeschworenen feministischen Zeitenwende fragen: Ist das Geschichtsvergessenheit? Oder passt der Neofeminismus einfach besser in die mediale Logik des Spektakels, wenn er dem alten Klischeebild Bilder von jungen, (hetero)sexuell aktiven Frauen mit festen nackten Brüsten entgegensetzt? Vermutlich trifft beides zu. Spannender aber ist die Frage: Wer profitiert eigentlich von dieser Erzählung der Brüche?
„Ist das schon sexistisch?“
Feminismus immer wieder (als) historisch losgelöst zu beschreiben, ist der Versuch, ihm die Schärfe, das Revolutionäre, die Kraft und Macht der Vielen zu nehmen. Gleiches gilt für die Beschreibung der feministischen Bewegungen als „zerstritten“.
Dieser Narrativ ermöglicht es einer Gesellschaft, sich zurückzulehnen und „denen da“ ein bisschen beim Streiten zuzusehen, ohne das eigene Verhalten überdenken zu müssen. Dass der Narrativ im Zuge des #Aufschrei wieder auftritt, ist der typische Backlash, der Versuch einer stabilisierenden Reaktion auf den revolutionären Akt.
Die Sexismusdebatte hat offenbar so vieles grundsätzlich infrage gestellt, dass laut einigen FeuilletonschreiberInnen „Ist das schon sexistisch?“ zum häufigsten Satz avancierte. Hier zeigt sich, wie sehr die Kritik an Normen immer auch Komplexität und damit Verunsicherung schafft. Die Routinereaktion: Komplexität reduzieren. Und das gelingt am besten damit, den Fokus vom Inhalt (Sexismus) auf die Form (Feminismus) zu lenken und diese abzuwerten und zu banalisieren.
Doch, liebes Patriarchat, allen Disputen zum Trotz gab und gibt es stets auch die Solidarisierung gegen den Backlash. Wer ernsthaft an den Streitnarrativ glaubt, übersieht, wie viele feministische Errungenschaften es gerade wegen der vielfältigen und produktiven Debatten gibt.
„Der Feminismus“ funktioniert wie jede politische Bewegung: Er lebt vom Streit in der Sache, von den unterschiedlichen Positionen, den vielfältigen Verbindungslinien. Er lebt von der Auseinandersetzung zwischen Idealismus und Pragmatismus. Zwischen Theorie und Praxis. Zwischen wütender Revolution und ruhigem Erklären. Zwischen dem Eintritt in den Mainstream und der Kritik am Kapitalismus. Und er lebt von gemeinsamen Anliegen: Es geht um den Kampf gegen Diskriminierung, um das Infragestellen der Machtverteilung, um die Kritik an rigiden Rollenerwartungen und Schönheitsnormen, um die Kritik an der Objektifizierung von Frauenkörpern und der Norm der Heterosexualität.
Es geht um Selbstbestimmung, und dazu gehört immer auch der Kampf um Deutungshoheit und Selbstdeutungsmacht. Auch das hat die Sexismusdebatte gezeigt. Was dabei unsichtbar blieb, war die Vielfalt an Dimensionen, die mit Sexismus verschränkt sind. Dass die Erfahrungen junger, weißer, heterosexueller und nichtbehinderter Frauen nur ein Ausschnitt sexistischer Realität sind. Dass auch hier Privilegien wirken, die nicht minder wirkmächtige Diskriminierungsformen wie Rassismus, Trans- und Homofeindlichkeit unsichtbar machen. Nun geht es darum, diese Vielfalt an Ungleichheitsdimensionen in den Blick zu nehmen. Nur so erreichen wir eine gerechtere Gesellschaft.
Die Kunst des Fragens
Auf dem Weg dorthin gibt es einiges zu verhandeln, und diese Kämpfe haben in der Tat gerade Hochkonjunktur. Die Wissenschaftlerin Aline Oloff begreift feministische Theorie als Kunst des Fragens, und das ist es, was alle feministischen Strömungen eint: die Kunst, bestehende Macht- und Geschlechterverhältnisse zu hinterfragen und dabei das, was zuvor unsichtbar und vermeintlich nicht zu hinterfragen war, der Kritik und Auseinandersetzung zugänglich zu machen. Diese Kunst ist an keine Theorie gebunden. Ja, sie kann ganz ohne Theorie auskommen. Aber sie reißt Normen und Normalitäten, Gewissheiten und Restriktionen ein, um aus den Bruchstücken etwas Neues und Schöneres zu formen. Um Freiheiten zu schaffen. Das Infragestellen ist ein revolutionärer Akt.
Wie revolutionär, zeigt sich immer dann, wenn wir es sind, deren Status befragt wird. Sei es aufgrund unserer Sprache, unserer Politik oder unserer Verhaltensweisen. Es gibt zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Entweder wie die Hollsteins, Martensteins und Fleischhauers dieser Welt lautes Wehklagen anzustimmen. Oder die Fragen anzunehmen und die eigene Position zu reflektieren. Das wäre wirklich mal eine neue Reaktion auf feministische Inhalte.
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