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Debatte ANCMandelas falsche Erben

Vor zwanzig Jahren kam Südafrikas Freiheitsheld Nelson Mandela aus der Haft frei. Heute hat der ANC seine Werte und damit das Land verraten.

Interview von William Gumede

Wenn der kranke Nelson Mandela wüsste, so sagte seine Exfrau Winnie Madikizela-Mandela vor wenigen Wochen, was heute mit seinem ANC (Afrikanischer Nationalkongress) los sei, würde es "seine Reise in die Ewigkeit beschleunigen".

Tatsächlich ist der ANC, für den Mandela 26 Jahre im Gefängnis saß und Millionen einfache Südafrikaner ihr Blut vergossen haben, unter dem heutigem Präsidenten Jacob Zuma nicht wiederzuerkennen. Er macht durch Streit, Skandale und moralische Schlüpfrigkeit von sich reden.

William Gumede

ist südafrikanischer Publizist, ehemaliger Vizechefredakteur der Tageszeitung Sowetan und Gastprofessor in Oxford. Sein bekanntestes Buch ist der Bestseller "Thabo Mbeki and the Battle for the Soul of the ANC" (2005).

Dank ihrer zentralen Rolle im Widerstand gegen Kolonialismus und die weiße Minderheitsherrschaft erwarben der ANC ebenso wie andere afrikanische Befreiungs- und Unabhängigkeitsbewegungen eine außerordentliche Legitimität. Sie sind nicht normale politische Parteien. Sie funktionieren eher wie Kirchen. Wer ihnen beitritt, verinnerlicht gewisse Regeln. Werden ihre Handlungen nach außen und ihr Verhalten nach innen undemokratisch, dann strahlt das auf die gesamte politische Kultur ihres Landes aus.

Dies ist die traurige Erfahrung von Südafrika heute. "ANC-Kader sollten als Prinzipienwächter des grundsätzlichen Wandels auftreten und sich durch beispielhaftes Verhalten den Respekt ihrer Freunde sowie der Gesellschaft erarbeiten", steht im Grundsatzpapier des ANC. "Ihre Leitwerte sind Ehrlichkeit, harte Arbeit, Demut, Dienst am Volk und Respekt für das Gesetz." Die Realität ist das genaue Gegenteil. Es ist kein stärkerer Kontrast denkbar als zwischen der moralischen Autorität Nelson Mandelas und der Zwielichtigkeit Jacob Zumas.

Am heutigen Donnerstag wird Zuma vor dem südafrikanischen Parlament die alljährliche Rede zur Lage der Nation halten und die Prioritäten seiner Regierung für das kommende Jahr erläutern. Der Termin wurde eigens auf den Jahrestag der Freilassung Nelson Mandelas aus der Haft vor zwanzig Jahren gelegt. Doch Zumas Rede wird nicht im Licht dieses historischen Ereignisses stehen, sondern im Gegenteil von einem weiteren Skandal überschattet werden, einem von vielen. Diesmal geht es darum, dass der polygame Zuma öffentlichen Ekel erregt hat, weil er mitten im Wahlkampf 2009 ein uneheliches Kind zeugte.

Schon vor Jahren wurde Zuma von dem Vorwurf freigesprochen, eine Frau vergewaltigt zu haben, die ihn als Vaterfigur betrachtete. Das Gericht akzeptierte seine Ansicht, dass es in Ordnung war, ungeschützten Sex mit einer HIV-positiven Frau im Alter seiner eigenen Tochter zu haben. Und wenige Wochen vor seinem Wahlsieg wurden schwerwiegende Korruptionsvorwürfe gegen Zuma unter kontroversen Umständen fallengelassen. Zumas enger Freund Schabir Shaik war zuvor zwar ins Gefängnis gegangen, weil er nach Auffassung der Richter Schmiergelder zugunsten Zumas organisiert hatte. Aber ANC-Jugendliga-Chef Julius Malema sagte, er sei bereit, zu "töten", damit die 16 Korruptionsanklagen gegen Zuma fallengelassen werden und Zuma Präsident werden könne. Die Klagen wurden fallengelassen. Zuma wurde Präsident.

Der ANC hat Zuma bei all diesen Machenschaften unterstützt. Mit Mandelas Abgang als ANC-Führer verwandelte sich der ANC von einer moralischen Bewegung, die einen gerechten Kampf führt, in eine ganz normale politische Partei. Im Herzen des ANC und Südafrikas insgesamt klafft heute ein moralisches Vakuum.

Mandela glaubte an Führung durch gutes Vorbild. Es war entscheidend, dass er tatsächlich so auftrat, als stünde er über dem Gesetz, als sei er unantastbar. Indem er dann trotzdem dem Gesetz folgte, setzte er den anderen ein Beispiel. So erschien Mandela in seiner Funktion als Staatspräsident vor Gericht, als es darum ging, die Einrichtung einer Untersuchungskommission zu rassistischen Praktiken in Südafrikas Rugbyverband gegen eine Klage des einstigen Rugbyführers Louis Luyt zu verteidigen. Mandelas Anwalt sagte, als Präsident solle sich Mandela keiner gerichtlichen Befragung stellen. Mandela widersprach: Gerade als Präsident müsse er sich zur Verantwortung ziehen lassen.

"Ich will keine Schoßhunde"

Mandela ermutigte eine Kultur der Direktheit: Jedes ANC-Mitglied, insistierte er, müsse Kritik üben dürfen, vor allem auch an ihm. Bei der ersten ANC-Vorstandssitzung nach seiner Wahl zum Parteichef sagte er: "Ich will keine Schoßhunde." Sein Nachfolger Mbeki hingegen ermutigte seine Mitstreiter, ihm das zu sagen, was er selbst hören wollte. Wenn ANC-Führungspersönlichkeiten wie Cyril Ramaphosa, Tokyo Sexwale und Mathews Phosa auch nur sanfte Kritik an Mbeki äußerten, wurden sie lächerlicherweise der "Verschwörung" beschuldigt. Auch Zuma schwieg, als Jugendligachef Malema drohte, Kritiker zu "töten". Als ANC-Veteran und Exbildungsminister Kader Asmal letztes Jahr Zuma und andere ANC-Führern kritisierte, riet ihm der mit Zuma verbündete ANC-Veteranenverband, er solle "zum nächsten Friedhof gehen und sterben".

Mandela warb bei seinen Gegnern um Vertrauen. Mbeki war unfähig, um Vertrauen zu werben, sogar innerhalb des ANC. Zumas Verbündete schüchtern ihre Gegner einfach ein, im ANC und außerhalb.

Mandela stand für eine nichtrassische Politik. Zuma spielt die ethnische Karte. Als er sich um die ANC-Führung bewarb, nannte er seine Plattform "100 % Zulu". Manche seiner radikaleren Anhänger setzten auf schwarzen Unmut und vertieften die Gräben zwischen den Rassen damit weiter. Mandela stand für die Wahrung der Einheit des ANC; unter Zuma wandten sich viele ANC-Mitglieder enttäuscht ab und gründeten den "Volkskongress" (Cope). Im nächsten Monat wird es eine weitere Spaltung geben, wenn Gewerkschaftler, Kommunisten und Sozialisten aus dem ANC austreten und eine "Demokratische Linke" als Opposition gegen Zuma gründen.

Je weiter sich Afrikas älteste Befreiungsbewegung von den Idealen Mandelas entfernt, desto einfacher werden es ihre Mitglieder begründen können, dass sie ihr den Rücken kehren. Die Legitimität, die der ANC im Kampf erwarb, wird heute von ihrer Führung zerstört.

Aus dem Englischen von

Dominic Johnson

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4 Kommentare

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  • F
    FelixSchwarz

    Wer in dieser Welt daran glaubt, dass man durch Ideale die Welt regieren kann, der ist ein Dummkopf! Ideale braucht man um die Machverhältnisse zu ändern, sie sind Mittel zum Zweck. Alles was zählt ist: Man muss der Sieger sein!

  • D
    deuk

    Nach manchen Kommentaren macht sich in Einem das Gefühl der Leere und Frust breit....

  • A
    anke

    Sicher, es tut weh, Ideale demontiert zu sehen. Aber vielleicht ist es manchmal notwendig.

     

    Der ANC war eine aus der Zeit geborene Institution, Mandela ein aus den Umständen erwachsener Held. In Anbetracht eines überaus mächtigen und nicht minder brutalen weißen Establishments waren die längst überfälligen Veränderungen ohne eine einheitliche schwarze Gegenmacht schlicht undenkbar. Diese Macht war, gewachsen aus der Not, zwar da, sie bedurfte aber zu ihre Manifestation eine intellektuell und menschlich herausragende Führungspersönlichkeit (ohne glaubhaften Gegenentwurf zum Bestehenden keine Motivation zum Neuen). Nach dem Sturz des Apartheid-Regimes scheinen etliche Menschen diese Art der Führungsfigur für verzichtbar zu halten, und vielleicht ist sie es ja tatsächlich. Die Normalität einer Demokratie, schließlich, besteht darin, mehr als keine Wahl zu haben, nicht in makelloser Schönheit.

     

    Nein, die schwarzen Afrikaner sind dem Vorsitzenden des ANC seinerzeit nicht gefolgt, weil sie ihn als moralische Institution angesehen haben, deren ethische Werte sie sich unbedingt aneignen wollten. (Das war schon deswegen nicht vorstellbar, weil die negativen Folgen der Apartheid nicht allein materieller Art sind.) Sie sind ihm auch nicht gefolgt, weil er ihre Hautfarbe heilig gesprochen hat. Sie sind ihm gefolgt, weil sie sich unter seiner Führung stark und mutig gefühlt haben. Sie haben an sich geglaubt, weil Mandela es getan hat – und weil er die Welt dazu gebracht hat, es ihm gleich zu tun.

     

    Nein, der Vergleich hinkt. Mandela war nie ein religiöser Führer sondern immer ein militärisch-politischer. Und auch Exfrau Winnie irrt. Die eigene Person war Mandela nie das aller wichtigste. Publicity scheint ihm Mittel zum Zweck gewesen zu sein, nicht reiner Selbstzweck. Anders als seine Geschiedene hatte er seine eventuellen Egoismen immer recht gut im Griff. Es würde mich also nicht wundern, wenn er nur zu genau wüsste, was im ANC derzeit vorgeht – und wenn er die Umbrüche und Verwerfungen (ähnlich wie ein Vater pubertierender Halbstarker) für absolut unausweichlich halten würde.

     

    Zwar scheint der Zustand "seiner" Partei Mandela keinen Grund für einen übereilten Abgang zu geben, dass er aber jemals geglaubt hat, sein Wirken könne bis in alle Ewigkeit Bestand haben, kann ich mir nicht vorstellen. Er muss gewusst haben, dass die Nach-Mandela-Ära keine sein würde, in der eine Reinkarnation seiner selbst für Moral und Ordnung sorgt. Ob Mandela tatsächlich jemals an "sein Volk" geglaubt, oder ob er diesen Glauben nur geschickt suggeriert hat, mag ich nicht beurteilen. Dass er aber nach dem Sieg des ANC nicht aufgehört hat, an die Kraft der Demokratie, an die positiven Folgen politischer Freiheiten und an die Fähigkeit der Afrikaner zur Selbstbestimmung zu glauben, halte ich für ausgesprochen wahrscheinlich. Der Mann war ein Phänomen. Jahrzehnte in Haft haben ihn nicht gebrochen. Warum sollten es ausgerechnet das Alter und diverse Zipperlein tun?

  • DK
    Dimitri Kowalek

    Zum reiht sich in eine Reihe afrikanischer Machthaber ein, die völlig unverantwortlich handeln.

    Sie sind gleichzeitig Karikatur und Machthaber.

    Ich frage mich, ob die Ursache für dieses Phänomen nicht in der afrikanischen Kultur liegt, die zwar in der Lage ist, beispielsweise über ihren amerikanischen Ableger Hip-Hop, berühmte Sportler, Reggae, Salsa, Models, popkulturelle Leitmuster der globalisierten Welt hervorzubringen, aber die Mühen der Ebenen, des Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsaufbaus scheut. Es ist doch kein Wunder, dass den konfuzianischen Gesellschaften dies offensichtlich besser gelingt. Übrigens lieben die Westler, Europäer, Weißen ihre Afrikaner und Afroamerikaner so wie sie jetzt sind. Sie bewundern die Popstars, sie lieben beispielsweise jamaikanische Sprinter, aber betrachten einen chinesischen Hürdenläufer mit Abschätzung. Dies ist auch die wahre Ursache des China-Bashings. Die MEnschenrechte sind nur ein Vorwand. In Wahrheit fühlen sich die Europäer in ihren Privelegien bedroht. Die Afrikaner dagegen sind keine Bedrohung.Deswegen dürfen ihre Popstars gerne die Narren am Königshofe spielen.