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Debatte 20 Jahre nach JugoslawienkriegEuropas nicht bestandene Reifeprüfung

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Bis heute gibt die EU Bosnien keine wirkliche Perspektive. Die geltende Verfassung verhindert Reformen. Die Opfer des letzten Krieges in Europa werden abgestraft.

D er Krieg in Jugoslawien und noch mehr in Bosnien und Herzegowina von 1992 bis 1995 bedeutete einen Einschnitt in die Entwicklung Europas nach 1945. Er zwang angesichts der „ethnischen Säuberungen“, dem Auseinanderreißen einer traditionell multinationalen und multireligiösen Gesellschaft, mit dem Aufbau von Gefangenenlagern, den Massenvergewaltigungen und dem Genozid an der bosniakischen Bevölkerungsgruppe Europa dazu, politisch-moralisch Stellung zu beziehen. Und haben Europa und damit auch Deutschland die Prüfung bestanden?

Während des bosnischen Krieges selbst sicher nicht. Die politischen Debatten über das richtige Verhalten gegenüber dem Krieg in Jugoslawien führten oftmals ins Leere und die handfesten politisch-historischen Interessen Großbritanniens und Frankreichs, das alte Jugoslawien zu erhalten, wurden zumeist ausgeblendet.

In beiden Ländern herrschte damals die Meinung vor, man müsse den serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic beim Zusammenhalt Jugoslawiens als Gegengewicht zu dem wiedervereinigten Deutschland stützen.

Bild: taz
ERICH RATHFELDER

ist Südosteuropa-Korrespondent der taz. Er lebt in Sarajevo und berichtete während der neunziger Jahre von den Brennpunkten auf dem Balkan. Zuletzt erschien von ihm "Kosovo. Geschichte eines Konflikts" (Suhrkamp).

Man übersah, dass es Milosevic nicht um den Erhalt Jugoslawiens ging, sondern um den Aufbau eines Großserbiens, das den größten Teil des ehemaligen Vielvölkerstaates Jugoslawien unter seine Kontrolle bringen wollte. Die Vetomächte Frankreich und Großbritannien verhinderten in Brüssel und bei der UN eine schärfere Gangart gegen Milosevic und die serbischen Nationalisten. Sie bewirkten ein Waffenembargo, das ihre Gegner benachteiligte.

Konzept der „ethnischen Säuberungen“

Im Bündnis mit den rechtsextremen nationalistischen Kräften wurde in Belgrad das Konzept der „ethnischen Säuberungen“ entwickelt, geplant und letztlich mit internationaler Rückendeckung umgesetzt. Danach sollte Bosnien und Herzegowina auf ethnischer Grundlage territorial aufgeteilt werden. Der kroatische Präsident Franjo Tudjman, der im eigenen Land Krieg gegen serbische Truppen führte, akzeptierte diese Position Belgrads prinzipiell in Bezug auf Bosnien und Herzegowina. Kroatien begann 1993 den Krieg im Krieg, um sich ein Stück aus dem bosnischen Kuchen herauszubrechen.

Dass Milosevic und Tudjman diese Position hatten, ist nicht verwunderlich. Dass aber die internationale Gemeinschaft die völkisch-nationalistischen Positionen akzeptierte, hat nicht nur die Opfer des Krieges an Europa verzweifeln lassen. Menschenrechtler, einige Politiker und Publizisten und vor allem die Überlebenden des Nazi-Holocaust, die gegen die Verbrechen der ethnischen Säuberungen in Bosnien protestierten, konnten den Prozess nicht aufhalten.

Als endlich nach dem Genozid in Srebrenica 1995 wenigstens eine militärische Wende kam, war die bosnische Tragödie schon vollendet. Über 100.000 Menschen waren tot und weit über 2 Millionen, also die Hälfte der Bevölkerung, aus ihren Heimatorten vertrieben. Die multinationale bosnische Gesellschaft war fast völlig zerschlagen.

Ethnische Teilung nach Dayton

Im Friedensabkommen von Dayton 1995 wurde dann das Ergebnis des Krieges bestätigt: Das Land wurde, gemäß dem Wunsch der serbischen (und auch kroatischen) Nationalisten, territorial entlang ethnisch-religiöser Linien aufgeteilt. Die internationale Gemeinschaft gab damit den Kriegstreibern recht. Und missachtete die Interessen und Forderungen der zwar machtlosen, doch immer noch zahlreichen nichtnationalistischen und „normalen“ Menschen aus allen Teilen der bosnischen Bevölkerung.

Der bosnische Krieg birgt also bis heute eine moralisch-politische Herausforderung, die weit über das bosnische Problem hinausgeht. Die Bosniendebatte, der Krieg in Europa, gibt Aufschluss über die demokratische Reife der EU.

Sicherlich, die Europäische Union und die internationale Gemeinschaft insgesamt haben nach dem Krieg nicht alles falsch gemacht. Den Nachfolgestaaten Jugoslawiens eine Perspektive der Integration in die EU zu geben, wenn bestimmte demokratische Reformen und die Entwicklung hin zu einem Rechtsstaat vollzogen würden, war richtig und zwingt die Balkanstaaten zu Reformen. Auch wurde die Infrastruktur mit internationaler Hilfe erneuert.

Und was macht Deutschland?

Doch nach wie vor muss zu denken geben, dass nach all den Jahren der internationalen Präsenz, nach den Hilfsgeldern, der Tätigkeit des Office of High Representative, der OSZE, der EU, der Nato, Bosnien – wie übrigens Kosovo auch – zu den ärmsten Ländern der Hemisphäre gehört mit der höchste Arbeitslosigkeit in der Region.

Es muss auch zu denken geben, dass, um nur ein Beispiel zu nennen, die OSZE federführend das Schulsystem nach den Wünschen der nationalistischen Eliten gestaltete: die sogenannten „Ethnien“ (die ja keine sind ) wurden getrennt, unterschiedliche Curricula und damit in letzter Konsequenz die Erziehung zu Hass statt zur Versöhnung erlaubt. Die Mischung aus Inkompetenz, falscher Analyse, divergierenden Interessen der beteiligten Mächte innerhalb der EU und die Mutlosigkeit der internationalen Institutionen haben die Gesellschaft in Bosnien und Herzegowina in die Sackgasse geführt.

Anstatt rechtzeitig auf eine Verfassungsänderung hinzuwirken, die es dem geteilten Staat erlaubt, überhaupt Reformen – auch in Bezug auf die Integration in die Gemeinschaft – einzuleiten, wurde vonseiten der EU bis heute immer wieder den Forderungen der radikalen Nationalisten nachgegeben. Bosnien kann mit dieser komplizierten Verfassung aber nicht weiterentwickelt werden.

Immerhin haben sich die politischen Konstellationen in Europa in Bezug auf Bosnien etwas verändert. Frankreich und Großbritannien haben schon vor Jahren eine Kehrtwende gemacht. Deutschland, das während des bosnischen Krieges politisch keine und militärisch eine nur sehr untergeordnete Rolle spielte, ist in den letzten Jahren politisch aufgewertet worden.

Gerade von der jetzt führenden Macht in Europa, dem demokratischen Deutschland, das völkisch-nationalistischen Traditionen den Kampf angesagt hat, wird vonseiten der nichtnationalistischen und proeuropäischen Menschen in Bosnien erwartet, endlich politisch initiativ zu wirken. Man wird sehen, ob Deutschland politisch-moralisch reif dafür ist.

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Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
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4 Kommentare

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  • B
    Balkanese

    Es ist immer wieder bemerkenswert wie sich die Serben das Weltbild zusammenschustern wie es in deren Weltbild passt.

    Da werden Quellen genannt, Bücher u.ä. mit fragwürdigen Autoren und als Bare Münze verkauft. Am Ende sind sie selber felsenfest davon überzeugt. So eine Massen-Gehirnwäsche häte im restlichen Europa nur vor mehreren Dekaden funktioniert. Bei den Serben ist das heute noch Gang und Gebe.

     

    Auch die Gleichung Kroaten=Ustasas und das Leben im 2.WK gehört heute noch in jede serbische Kinderstube.

    Das die Kroaten gar keine Ustasas waren sondern lediglich diese Gruppe sich duch Hitlers Gnaden an die Macht geputscht hatte, das die Partisanenbewegung von Kroaten in Kroatien gegründet wurde und von einem Kroaten angeführt wurde, das die Serben ein ethnisch freie serbische Monarchie (Tschetniks) MIT großer Unterstützung im eigenen Volke im Gegensatz zu den Ustasas verfolgten, das das Leid das sie jüngst auf dem Balkan gebracht haben ausschliesslich auf deren Mist (Großserbische Gedanken wurden keinesfalls wiederlegt -> vor allem nicht für den klar denkenden Rationalisten) gewachsen ist. DAS alles wird systematisch geleugnet, vertuscht und mit dem Finger auf den bösen Nachbarn gezeigt. Armes Volk sollte man dazu nur sagen können. Leider kann man das nicht sagen denn die in mitleidenschaft gezogenen Nachbarsvölker sind die bemitleidenswerten hier. Nachbarn kann man sich leider nicht aussuchen sondern sich mit dnene vertagen oder, wenn es nicht geht, einfach ignorieren...

  • S
    Sale

    Mir ist es eigentlich nie klar geworden, warum sollte Bosnien, praktisch Jugoslawien im Kleinen, gut funktionieren, wenn Jugoslawien gescheitert ist. Es hätte einfach nicht gut gehen können, denn da sind die gleichen Animositäten und Problemen vorhanden wie vorher in YU auch. Dass Deutschland versagt hat, sehe ich nur in der viel zu verfrühten Anerkennung Bosniens. Ob das ein Abschiedsgeschenk an Genscher war, mag ich nicht zu sagen aber überflüssig und gefährlich war es allemal, wie man es hinterher sah. Und was ihn dazu geritten hat, wird wohl niemand mehr erfahren, ein katastrophaler Fehler war es aber.

     

    Was hätten Europäer denn tun sollen? Millionen Soldaten hineinschicken, die auf aufeinander gehetzte Nachbarn aufpassen? Das funktioniert auch in Kosovo nicht gut, wo die verfeindeten Parteien relativ gut zu unterscheiden sind, wie hätte so was in Bosnien funktionieren sollen, wo alle die gleiche Sprache sprechen und auch, was die Folklore angeht, gleich aussehen? Bosnien war schon immer ein Pulverfass und jetzt insbesondere, nach der Radikalisierung aller ethnischen Gurppen in den letzten Dekaden.

     

    Die Leute dort wollen jetzt Frieden und Fortschritt, sicherlich, aber ob das im Staat Bosnien klappen kann, wage ich zu bezweifeln. Wenn man die Leute dort fragt, sind alle, bis auf Bosniaken, für die Spaltung: Serben zu Serbien, Kroaten zu Kroatien. Der Rest ist kaum mehr lebensfähig als Staat. Interessierte sollten das Buch "Die Brücke über die Drina" lesen, vom Nobelpreisträger Ivo Andric.

  • D
    Deko

    Ne is klar, die Serben sind die eigentlichen Opfer der weltweiten Verschwörung gegen sie und eigentlich wollten sie nur einen islamischen Staat im Herzen Europas verhindern. Das hat ja vor allem in Srebrenica wunderbar funktioniert.

     

    Wie im Artikel richtig gesagt ist die große Zahl der normalen Leute diese Geschichten einfach nur satt und hungrig nach Frieden und Verständigung. Stattdessen sollte man sich endlich mal die Hand geben, sich eigene Fehler eingestehen und zusehen, dass wir alle zusammen endlich mal einen schlanken Staat hinbekommen (anstatt aktuell alles dreifach). Wir sollten endlich mal die zerstörte Industrie aufbauen, Investoren ins Land bekommen und endlich mal nach vorne schauen. Mit dem aktuellen Serbischen Präsidenten bin ich als Bosnier eigentlich sehr zufrieden.

  • J
    Jugofreund

    Nachdem E.Rathfelder gestern schon einen Beitrag in gleicher Sache gebracht hat, hier nochmal - die bisher nicht gebrachten Einwände:

    "Die Voraussetzungen, die Vorgeschichte sollten nicht außer Acht gelassen werden.

    - 2.Weltkrieg: Historiker sprechen von bis zu 750000 ermordeten Serben durch die mit den Nazis verbündeten Kroaten.

     

    - der hier angesprochene Konflikt begann durch die Vertreibung von tausenden von Serben durch die Kroaten , immerhin nach einem Beitrag in der taz, der sich auf meiner Erinnerung nach auf Galinsky berief.

     

    - die Legende vom Streben nach Großserbien durch Milosevic wurde im Haager Sondergerichtsprozess widerlegt. Anscheinend macht sich niemand mehr die Mühe, die einschlägigen Veröffentlichungen nachzulesen.

     

    - Genscher wurde vom damaligen UNO-Generalsekretär gerade prophetisch vor der völkerrechtswidrigen Anerkennung Kroatiens gewarnt. Die taz hat dies damals als fast einzige Zeitung nicht an versteckter Stelle berichtet!"

     

    Wie gezielt die Öffentlichkeit betrogen wurde, hat ausgerechnet der CDU-Bundestagsabgeodnete Wimmer deutlich gemacht:

    http://www.glasnost.de/kosovo/cduwimmer.html

    "Zum Beispiel die UCK. Zum Beispiel diejenigen, die hinter der UCK stehen und die Fäden ziehen. Die internationalen Beobachter, die OSZE-Beobachter, sie haben eindeutig erklärt - die Verantwortlichen wohlgemerkt -, daß die jugoslawische Seite nach den Oktober-Vereinbarungen sich an diese auch gehalten hat. Und daß hingegen die UCK systematisch diese unterlaufen hat. Sie ist in die leeren Räume wieder eingedrungen, sie hat provoziert und, und, und. Das sind Dinge, vor denen ich doch meine Augen nicht verschließen kann. Und deswegen kann ich nur sagen: Hier haben interessierte Kreise kein Interesse am Erfolg der OSZE gehabt ..."