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De Klerks kleiner Finger ist nicht genug

Massendemonstrationen nach weißen Wahlen nur von kurzer Dauer / Pretoria will Aufwind der Opposition bremsen  ■  Aus Johannesburg Hans Brandt

In Südafrika ist in den letzten Wochen ein regelrechtes Marschfieber ausgebrochen. Nach den ersten großen Anti -Apartheid-Demonstrationen seit mehr als 20 Jahren in Kapstadt und Johannesburg vor zwei Wochen, sind inzwischen fast 300.000 Menschen überall im Land auf die Straßen gegangen, um ihren Widerstand gegen Rassentrennung und Polizeibrutalität bei der Unterdrückung von Protesten zu demonstrieren. Das hat der außerparlamentarischen Opposition neuen Aufwind gegeben. Und die Proteste hören nicht auf. Nächste Woche planen oppositionelle Gewerkschaftsföderationen Massendemonstrationen gegen repressive Arbeitsgesetzgebung, Wehrdienstverweigerer wollen für ihre Sache auf die Straße gehen.

Die Stimmung in der Opposition ist nach schweren Rückschlägen aufgrund des Ausnahmezustandes und nach Monaten der Depression wieder positiv. Andauernder Druck trotz der Ausnahmebestimmungen hat die Regierung dazu gezwungen, friedliche Proteste endlich zu erlauben. Dieser Sieg für die Opposition bedeutet eine entscheidende Abschwächung der Ausnahmegesetze. Manche Oppositionsvertreter hoffen nun sogar auf die Aufhebung des Ausnahmezustandes. Solche Hoffnungen sind allerdings verfrüht. Die Regierung scheint in den letzten Tagen erschreckt über das Ausmaß der Proteste. Jetzt versuchen die Behörden, Proteste durch administrative Maßnahmen unter Kontrolle zu bringen. Präsident Frederick De Klerk konnte mit der Erlaubnis von friedlichen Protesten kurz nach der Parlamentswahl Anfang September negative Schlagzeilen über Polizeibrutalität bei der Unterdrückung von Protesten gegen die Wahl auffangen.

Inzwischen haben die Demonstrationen jedoch Ausmaße angenommen, die den ohnehin schon erheblichen Druck auf De Klerk noch verstärken. Spekulationen über die Freilassung von Nelson Mandela, dem seit mehr als 25 Jahren inhaftierten Führer des verbotenen Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), machen wieder die Runde. Und die Welt wartet auf entscheidende Schritte, die eine Abschaffung der Apartheid ankündigen könnten.

Thatcher noch immer

gegen Sanktionen

De Klerks erster Test wird wohl das am 18. Oktober in Kuala Lumpur stattfindende Gipfeltreffen des Commonwealth sein. Commonwealth-Generalsekretär Sir Shridath Ramphal betonte in seinem vorab veröffentlichten Jahresbericht, daß die Organisation „den Druck aufrechterhalten muß, bis Fortschritte bei der Abschaffung der Apartheid nicht mehr zurückzunehmen sind“. Zwischen der britischen Premierministerin Margaret Thatcher und den anderen Commonwealth-Staaten wird es Ramphal zufolge zu erneuten Differenzen über die Verhängung weiterer Sanktionen gegen Südafrika kommen.

„Thatcher ist noch immer gegen Sanktionen, aber sie ist andererseits auf Hilfe von der südafrikanischen Regierung angewiesen“, sagte die liberale südafrikanische Politikerin Helen Suzman nach einem Gespräch mit Thatcher Ende September. Die britische Premierministerin benötige „ein Zeichen, daß De Klerk es ernst meint mit seiner Absichtserklärung für ein neues Südafrika“, sagte Suzman.

Ein solches Zeichen könnte Mandelas Freilassung sein. De Klerk selbst hat sie für die nächste Zeit ausgeschlossen. Doch es wird über die mögliche Freilassung eines anderen prominenten Gefangenen vor Mitte Oktober spekuliert. Die Rede ist von Walter Sisulu.

Commenwealth-Generalsekretär Ramphal warnte seinerseits vor einer „weiteren Runde der Scheinheiligkeit Pretorias“. De Klerk selbst hat trotz seiner starken, reformorientierten Reden in letzter Zeit betont, daß er ein Südafrika plant, in dem die Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozeß noch immer nach Rassen definiert wird. Und während er den ANC als Verhandlungspartner nicht mehr vollkommen ausschließt, besteht er nach wie vor darauf, daß die Organsation ihren bewaffneten Kampf aufgibt, um einen Platz am Verhandlungstisch zu bekommen. Den Rahmen für Verhandlungen, den will De Klerk selbst bestimmen.

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