piwik no script img

NATIONALISTEN VERBAUEN BOSNIEN WEITERHIN DIE ZUKUNFTDayton der Realität anpassen

Man kann die vielen jungen Leute verstehen, die Bosnien und Herzegowina Jahr für Jahr verlassen. Sollten die jüngsten Wahlen die herrschenden nationalistischen Extremisten bestätigen, werden noch mehr von ihnen versuchen, in die USA, nach Kanada oder Australien auszuwandern. Die bosnische Tragödie würde sich fortsetzen.

Schon während des Krieges verließen vor allem jene das Land, die für die multikulturelle, demokratische Gesellschaft in Bosnien und Herzegowina eintraten. Die serbischen und kroatischen Nationalisten dagegen, deren Ziel es nach wie vor ist, Bosnien territorial aufzuteilen, blieben. Die Hoffnung, die serbischen und kroatischen Wähler würden die Wahlen nutzen, um die Nationalisten von ihren Sesseln zu verjagen, ist am Samstag enttäuscht worden. Die nationalistischen Kräfte können also weiterhin alle Fortschritte bei der Etablierung einer demokratischen und zivilen Gesellschaft blockieren. Der „brain-drain“, der Abfluss von Intelligenz, hatte im Kriege begonnen. Diese katastrophale Tendenz könnte sich nun im Frieden weiter verstärken.

Leidtragende dieser Entwicklung sind – neben der Internetgeneration – vor allem die Muslime (Bosniaken), die in ihrer großen Mehrheit nichtnationalistischen oder moderaten Parteien wie den Sozialdemokraten und der „Partei für Bosnien“ des Haris Silajdžić ihre Stimme gegeben haben. Die Bosniaken wollen einen Wandel, sie wollen Wirtschaftsreformen, funktionierende Staatsorgane, den Weg nach Europa gehen. An den Wahlurnen haben sie bewiesen, dass sie mit der Politik der internationalen Gemeinschaft einverstanden sind.

Immerhin ist es nach den bisherigen Ergebnissen wahrscheinlich, dass die Nichtnationalisten die Mehrheit im bosnischen Gesamtparlament stellen werden. Das ist ein Hoffnungszeichen. Die Zukunft hängt jedoch davon ab, ob es gelingt, den bosnischen Gesamtstaat zu stärken. Nur so kann man den Nationalisten entgegentreten. Deshalb ist die internationale Gemeinschaft herausgefordert zu handeln. Das Abkommen von Dayton, das den Nationalisten in entscheidenden Punkten entgegenkam, muss in diesem Sinne weiterentwickelt werden. ERICH RATHFELDER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen